Zuckerhaltige Getränke als Grundlage von Adipositas

N Engl J Med 2012 Oct 11;367(15):1397-406. Epub 2012 Sep 21
A trial of sugar-free or sugar-sweetened beverages and body weight in children
de Ruyter JC, Olthof MR, Seidell JC, Katan MB

N Engl J Med 2012 Oct 11;367(15):1407-16. Epub 2012 Sep 21
A randomized trial of sugar-sweetened beverages and adolescent body weight
Ebbeling CB, Feldman HA, Chomitz VR, Antonelli TA, Gortmaker SL, Osganian SK, Ludwig DS

N Engl J Med 2012 Oct 11;367(15):1387-96. Epub 2012 Sep 21
Sugar-sweetened beverages and genetic risk of obesity
Qi Q, Chu AY, Kang JH, Jensen MK, Curhan GC, Pasquale LR, Ridker PM, Hunter DJ, Willett WC, Rimm EB, Chasman DI, Hu FB, Qi L

 

Janne de Ruyter und Kollegen gingen der Frage nach, ob der Ersatz gezuckerter Softdrinks durch zuckerfreie, künstlich gesü.te Getränke die Gewichtszunahme verringern kann. Dazu erhielten 614 normalgewichtige Kinder im Alter zwischen 4 und 11 Jahren randomisiert täglich entweder 250 ml eines künstlich gesüßten Getränks oder 250 ml eines gezuckerten Getränks mit einem Energiegehalt von 104 kcal; die Abgabe erfolgte in der Schule bzw. im Kindergarten. Nach 18 Monaten waren sowohl die durchschnittliche Gewichtszunahme (6,35 kg vs. 7,27 kg) als auch die Fettakkumulation bei Kindern, die zuckerfreie Getränke erhalten hatten, signifikant geringer. Dies galt ebenso für den Z-Score des Body Mass Index (BMI; Erhöhung um 0,02 vs. 0,15 Standardabweichungen). Die Daten jener Kinder (26 %), welche die Testgetränke nicht über den gesamten Beobachtungszeitraum konsumierten, sind in diesen Analysen inkludiert.

In der Untersuchung von Cara Ebbeling et al. bei übergewichtigen und adipösen Jugendlichen war der Konsum von zuckerhaltigen Getränkten ebenfalls mit einem signifikant höheren BMI-Anstieg verbunden. Das Ziel dieser Untersuchung unterschied sich insofern von jenem der Studie von de Ruyter et al., als gezeigt werden sollte, dass der Konsum zuckerhaltiger Getränke durch eine gezielte Intervention verringert und damit auch die Gewichtszunahme gebremst werden kann. In die zweijährige Untersuchung waren 224 Teilnehmer im Alter von durchschnittlich 15 Jahren und einem mittleren BMI von 30 kg/m2 eingeschlossen, die regelmäßig gezuckerte Getränke konsumierten. Die Hälfte von ihnen wurde – allerdings nur im ersten Jahr – in ein spezifisches Interventionsprogramm eingeschlossen. Der primäre Studienendpunkt war die Gewichtsentwicklung nach zwei Jahren. Nach einem Jahr lag der durchschnittliche BMI in der Interventionsgruppe um 0,57 kg/m2 unter jenem der Kontrollgruppe, das Gewicht war um durchschnittlich 1,9 kg geringer, der Körperfettanteil hingegen vergleichbar. Nach 2 Jahren war der Benefit der Intervention allerdings nicht mehr nachweisbar.

Schließlich lässt sich aus der Untersuchung der Gruppe um Qibin Qi ableiten, dass der Konsum gezuckerter Getränke möglicherweise mit der genetischen Prädisposition für Adipositas interferiert. Analysiert wurden die Daten von 6.934 Frauen der Nurses’ Health Study (NHS) sowie von 4.423 Männern der Health Professionals Follow-up Study (HPFS), ergänzt durch die separate Evaluierung der Daten einer Kohorte von 21.740 Frauen der Women’s Genome Health Study (WGHS). Die genetische Prädisposition wurde auf Basis von 32 mit dem BMI assoziierten Loci berechnet, der Konsum zuckerhaltiger Getränke in Relation zum BMI prospektiv erhoben. Tatsächlich zeigte sich in der NHS– und in der HPFS-Kohorte bei Personen mit vermehrtem Konsum eine engere genetische Assoziation mit dem BMI: Pro 10 Risikoallelen war der BMI-Anstieg bei Personen, die täglich mindestens ein gezuckertes Getränk konsumierten, um 78 % gegenüber jenen erhöht, die weniger als ein Getränk monatlich zu sich nahmen; gleichzeitig verfünffachte sich das relative Risiko für Adipositas. Ein vergleichbares Ergebnis brachte die Analyse der WGHS-Daten. Die genetische Assoziation mit Adipositas scheint demnach durch den Konsum zuckerhaltiger Getränke enger zu werden. Für künstlich gesüßte Getränke ließ sich kein solcher Zusammenhang zeigen.

Kommentar – Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak

In den vorliegenden Studien wird der Zusammenhang von gesüßten Getränken und Gewichtszunahme aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Generell bleibt vorweg zu kommentieren, dass kleinere prospektive Studien an übergewichtigen oder adipösen Patientengruppen an sich besser geeignet sind, solche Zusammenhänge zu entdecken, da einerseits die erreichte Qualität der Ernährungsaufzeichnungen besser ist, anderseits bereits eine Disposition nicht nur „genetisch“ vorbedingt, sondern bereits glaubhaft erkennbar ist.

Bereits prominent vorpubliziert (Stanhope et al., J Clin Invest 2009) waren die deletären Effekte der Fruktose (erhöht viszerales Fett und die Synthese/Akkumulation von VLDL-Cholesterin in der Leber und möglicherweise auch im extrahepatischen Gewebe, senkt die Lipoproteinlipaseaktivität und damit den Triglyzeridabbau, erhöht Insulinresistenz und steigert „small dense“-LDL sowie oxidiertes LDL, während Glukose eher das subkutane Fett steigert und das HDL-Cholesterin erniedrigt). Stanhope & Havel (J Nutr 2009) haben in einer kleinen Studie mit Fruktose vs. Glukose belegt, dass eine Steigerung der Zufuhr des jeweiligen Zuckers auf 25 % der Gesamtkalorien innerhalb von 10 Wochen zu 1,4 kg Gewichtszunahme bei beiden Zuckern führt, die postprandiale Hyperlipidämie aber von der Fruktose stärker verschlechtert wird. Ob diese Ergebnisse aus Studien über gesüßte Getränke auf (vermehrten) Obstkonsum zu übertragen sind, ist nicht unmöglich, könnte aber vom glykämischen Index und insbesondere von der glykämischen Last abhängen.

Die Analysen von Qi et al. aus zwei großen Kohortenstudien mit 32 (bekannten) Dispositions-Loci zur Adipositas ergeben dennoch erstaunliche Ergebnisse: Es gibt eine klare Korrelation der Konsumation von Süßgetränken mit der Gewichtsentwicklung. Auch wenn die Schlussfolgerung lautet, dass ein vermehrter Genuss solcher Getränke klarere Ergebnisse liefert, muss betont werden, dass sich das auf 2–6 Getränke pro Woche (38 % Risikozuwachs) und eines oder mehr Getränke pro Tag (78 % Risikozuwachs) bezieht, also auf heute als niedrig betrachtete Mengen – schließlich steht in US-Hotels der Orangensaft des Morgens bereits selbstverständlich auf dem Tisch.

Die Studie von de Ruyter und Mitarbeitern an normalgewichtigen Kindern beinhaltet sicher viele, die nicht zur Gewichtssteigerung disponiert sind. Dies ist erfahrungsgemäß also ein methodischer Ansatz, der die potenziellen Effekte unterbewertet. Trotzdem betrug die Differenz im Durchschnitt 1 kg nach 18 Monaten – wenn man 50–60 Jahre Zeit hat, könnte das im Durchschnitt bis zu 40 kg ausmachen. Außerdem entwickeln sich mit längerfristiger Gewichtszunahme Sekundäreffekte wie Zunahme des „Sedentarismus“, der Inaktivität; damit kann ein Teufelskreis entstehen.

Die Studie von Ebbeling et al. an übergewichtigen bis adipösen Adoleszenten geht in eine ähnliche Richtung, lässt aber nach 2 Jahren keinen Effekt mehr erkennen, obwohl behauptet wird, dass die experimentelle Gruppe noch immer weniger „Beverages“ zu sich genommen hat. Zu berücksichtigen ist eine relativ geringe primäre Angabe von gesüßten Getränken (1,7 pro Tag) und die in größeren Gruppen meist nicht haltbare Therapieadhärenz bzw. auch Genauigkeit der gemachten Angaben. Die Arbeit spricht also nicht für, aber auch nicht wirklich gegen die gemachten Hypothesen.

Zusammenfassend ist die Schlussfolgerung, dass vermehrte Kalorienzufuhr mittels gesü.ter Getränken bedeutsam sein könnte (da Getränke ja meist additiv zum Essen konsumiert werden) stimmig und kann, bei allen methodischen Problemen von Ernährungsstudien, unterstützt werden. Das ist jedenfalls bei der Beratung von Patienten zu berücksichtigen.