Update Kristallarthropathien

Häufigste Kristallarthropathie: Gicht

Gicht, die zahlenmäßig bedeutendste der Kristallarthropathien und häufigste Arthritis bei Männern über 40 Lebensjahren, lässt sich in verschiedene Stadien bzw. Verlaufsformen einteilen. Nach einer mehr oder weniger langen Phase der asymptomatischen Hyperurikämie und Ablagerung von Mononatriumuratkristallen in Gelenken kann es zu einer akuten Arthritis (oft des Großzehengrundgelenkes) kommen, wobei als Auslöser sowohl Änderungen des Harnsäurespiegels nach oben (alimentäre Exzesse oder Alkoholkonsum) als auch nach unten (harnsäuresenkende Therapie, Gabe von Röntgenkontrastmittel u.a.) dienen können. Der scheinbar paradoxe Umstand, dass die harnsäuresenkende Therapie oft am Beginn der Behandlung zu einer akuten Exazerbation führen kann, wird dadurch erklärt, dass intraartikulär ein Lipoproteinüberzug die Erkennung der Kristalle durch das angeborene Immunsystem verhindert, dieser Überzug bei Abbau der Harnsäure im Gelenk aber verloren geht.
Dieser akute Gichtanfall klingt (auch ohne Therapie) meist innerhalb von 7-10 Tagen ab, ab hier beginnt die so genannte interkritische Phase bis zum nächsten Gichtanfall. Mit der Zeit verlaufen derartige Anfälle in der Regel milder, über Jahre kann eine tophöse Gichtarthropathie entstehen, interessanterweise nach der Menopause auch bei Frauen, hier dann oft im Bereich der Hände.

Wie kommt es nun zur Hyperurikämie?

Den meisten Formen der Hyperurikämie liegt eine primäre Ausscheidungsstörung von Harnsäure zu Grunde, wobei hier bereits vielfältige Urattransporterpolymorphismen identifiziert wurden (URAT-1, OAT4, GLUT-9 u.a.). Neben diesen so genannten primären “Underexcretors” sind eine Vielzahl an sekundären Ursachen einer gestörten Uratausscheidung, wie chronische Niereninsuffizienz, Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus oder Einfluss von Medikamenten (Diuretika, Ciclosporin u.v.a.) bekannt. Auf der anderen Seite kann aber auch ein vermehrter Anfall von Harnsäure zu unphysiologisch höhen Serumspiegeln und damit einer Gewebsablagerung führen. Hierzu zählen Enzymdefekte, wie ein Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferasemangel (Lesch-Nyhan-Syndrom) oder erhöhter Zellumsatz bei myeloproliferative Erkrankungen, hämolytischen Anämien oder Psoriasis.
Bemerkenswert ist, dass im Laufe der Evolution des Menschen die Fähigkeit, Harnsäure zu wasserlöslichem und damit leicht ausscheidbarem Allantoin abzubauen, verloren gegangen ist. Dies lässt sich nur verstehen, wenn Harnsäure nicht nur schädliche, sondern auch positive Wirkungen entfaltet. Harnsäure besitzt eine starke antioxidative Wirkung, gleichzeitig werden z.B. bereits oxidierte LDL-Partikel durch den Einfluss von Harnsäure weiter oxidiert. Wie so oft in der Medizin macht hier die “Dosis die Gicht”.
Aber nicht nur bei der Pathogenese der Hyperurikämie, sondern auch der des akutes Gicht- oder Pseudogichtanfalls (durch Pyrophosphatkristalle) sind in den letzten Jahren neue Erkenntnisse und damit auch potenzielle therapeutische Ansätze entstanden. Als Folge der Erkennung von pathogenen Kristallen durch sogenannte “pattern recognition receptors” und Aktivierung eines intrazellulären Proteinkomplexes (Cryopyrin-Inflammasom) erfolgt die Umwandlung von Pro-Interleukin-1 zu aktivem Interleukin-1b durch das Enzym Caspase-1. IL-1b wiederum übt vielfältige Wirkungen wie Induktion einer Akut- Phase-Reaktion, vermehrte Knorpel- und Knochenresorption und Rekrutierung zytokinfreisetzender Leukozyten aus.

Alte und neue therapeutische Optionen bei Hyperurikämie und Gicht

Zur Behandlung der Hyperurikämie standen neben Lebensstilmodifikation bislang Urikostatika (Hemmung der Harnsäureproduktion) und Urikosurika (Steigerung der renalen Ausscheidung) zu Verfügung. Letztere waren in Österreich wenig in Verwendung und zuletzt auch nur noch in Form von Benzbromaron in einem Kombinationspräparat mit Allopurinol verfügbar. Allopurinol als potentes und gut verträgliches Urikostatikum war für Jahrzehnte die gebräuchlichste Medikation zur Behandlung der Hyperurikämie in Österreich. Bei massiver Hyperurikämie im Rahmen eines Tumorlysesyndroms steht eine rekombinant aus dem Schimmelpilz Aspergillus flavus hergestellte Uricase zur intravenösen Verabreichung zu Verfügung, die allerdings mit einer nicht unbeträchtlichen Rate an allergischen Reaktionen bis zur Anaphylaxie einhergeht.

Als neues Urikostatikum steht seit Kurzem nun mit Febuxostat eine Alternative bei Allopurinolunverträglichkeit, mangelnder Wirksamkeit oder gering bis mittelgradiger Niereninsuffizienz zu Verfügung. In den Zulassungsstudien zeigte sich eine Allopurinol überlegene Wirksamkeit, wobei anzumerken ist, dass die Dosis von Allopurinol mit 300 mg (bzw. 100 mg bei Niereninsuffizienz) fixiert war. Die erhöhte Wirksamkeit war erwartungsgemäß von einer gesteigerten Flare-Rate begleitet, was die Notwendigkeit einer routinemäßigen Flare-Prophylaxe mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (oder Colchizin) unterstreicht. Zur Behandlung einer therapieresistenten Hyperurikämie wurde von der FDA zuletzt eine neue rekombinant hergestellte pegylierte Uricase (Pegloticase) zugelassen. Aufgrund der ra schen Harnsäuresenkung ist eine effiziente Flare-Prophylaxe sowie Prämedikation zur Verhinderung allergischer Reaktionen vor intravenöser Verabreichung nötig.

Gemäß der oben erwähnten Pathogenese des akutes Gichtanfalls wurden schon länger vorhandene Therapeutika zur Blockierung der vermehrten Interleukin-1-Wirkung eingesetzt und nach erfolgreichen Pilotstudien auch in randomisierter Form untersucht. Zu diesen Substanzen zählen Anakinra (zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen, randomisierte Studie bei Gicht im Laufen), Rilonacept und Canakinumab.
Letztere 2 sind als Orphan-Drugs bei Cryopyrin-assoziierten Fiebersyndromen zugelassen, wobei sich die FDA rezent gegen einen Einsatz von Canakinumab bei akuter Gicht aufgrund eines unvorteilhaften Sicherheitsprofils ausgesprochen hat.

Gichtdiagnostik

Auch im Bereich der Gichtdiagnostik hat mit der so genannten Dual-Source-Energy-Computertomographie eine neue bildgebende Technik Einzug gefunden. Mit Hilfe zweier in 90° zueinander stehenden Röntgenröhren lasst sich eine farbcodierte Gewebstypisierung mit der Möglichkeit der Differenzierung von urat- oder kalziumreichen (Kalziumpyrophosphat) Kristallen vornehmen. Damit besteht die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Gicht und Pseudogicht, wobei größere systematische Untersuchungen diesbezüglich noch ausständig sind.

Andere Kristallarthropathien

Abseits der durch Harnsäurekristalle verursachten Gicht gibt es noch andere Kristallarthropathien, die in ihrer Häufigkeit sicherlich nicht an die der Gicht heranreichen, allerdings, zumindest was die Pyrophosphatarthropathie betrifft, auch deutlich unterdiagnostiziert sein dürften. Dabei handelt es sich um eine akut und oder chronisch verlaufende Arthropathie, die ähnlich der Gicht lange asymptomatisch (Chondrokalzinose) verlaufen kann, sich allerdings auch akut als so genannte “Pseudogicht” manifestieren kann. Klinisch (ohne Gelenkspunktion) ist diese Erscheinungsform kaum von einem akuten Gichtanfall zu unterscheiden, lediglich etwas unterschiedliche Prädilektionsstellen (Kniegelenk öfter als Handgelenk, Schulter oder Hüfte) können hinweisend sein. Verschiedene prädisponierende Grunderkrankungen wie Hämochromatose, Hyperparathyreoidismus, Hypomagnesiämie und verschiedene genetische Nephropathien begünstigen das Auftreten der Pyrophosphatarthropathie, die Behandlung der Grunderkrankungen hat üblicherweise jedoch keinen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung. Im akuten Pseudogichtanfall bestehen aufgrund der ähnlichen Pathogenese zum Urat-Gichtanfall ähnliche therapeutische Optionen, wie NSAR, Glukokortikoide oder theoretisch Interleukin-1 blockierende Substanzen wie Anakinra, Canakinumab oder Rilonacept. In dieser Indikation gibt es außer Fallberichten bislang weder kontrollierte Evidenz noch eine Zulassung.
Die dritte Gruppe an Kristallarthropathien entsteht durch Ablagerung von Monophosphaten in Sehnen und anderen gelenksnahen Strukturen. Klinisch kann sich diese Ablagerung als akute oder chronische Periarthritis bis hin zu ihren Maximalvarianten der so genannten Milwaukee-Schulter oder rapid progressiven Coxarthrose manifestieren. Neben lokalen Faktoren wie Sehnenüberlastung oder chronischen mechanischen Reizen begünstigen entzündliche Bindegewebserkrankungen wie Sklerodermie oder Polymyositis diese Erkrankung. Therapeutisch stehen neben Steroidinfiltrationen und physikalisch-therapeutischen Maßnahmen die extrakorporale Stoffwellenlithotripsie oder als Ultima Ratio die operative Entfernung der Kalkschollen zu Verfügung.

Literatur beim Verfasser