Arzneimittelwechselwirkungen

Bei 56 % der Patienten zwischen 70 und 103 Jahren treten unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) auf und davon werden 4,6–22 % durch Interaktionen hervorgerufen. Auch Patienten, die aus Kliniken entlassen werden, erhalten häufig Arzneimittelkombinationen, die potenzielle Interaktionen beinhalten und die in 12,2 % der Fälle als schwerwiegend bezeichnet wurden. Das Risiko einer Arzneimittelinteraktion steigt letztlich noch bei Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite, bei Arzneimittel mit steilen Dosis-Wirkungs-Kurven, bei Polypragmasie (laut FDA mehr als 6 Arzneimittel pro Patient) und bei Einschränkung der funktionellen Kapazität der Organe des Patienten.

Arzneimittelinteraktionen können zustande kommen durch:

  • Beeinflussung der Pharmakokinetik: Resorption, Verteilung, Biotransformation, Ausscheidung
  • Beeinflussung der Pharmakodynamik: Synergismus, Antagonismus
  • Pharmazeutische Interaktionen (Inkompatibilitäten).

Die pharmakokinetischen Beeinflussungen betreffend Biotransformation und Ausscheidung sind dabei von herausragender Wichtigkeit. Viele Arzneimittel werden über die Cytochrom-P450-Isoenzyme metabolisiert.
Die Kenntnisse über diese Isoenzyme hat enorm zugenommen und folgende Wechselwirkungen sind denkbar:

  1. zwei Arzneimittel sind Substrat für dasselbe Isoenzym
  2. Arzneimittel hemmen ein Isoenzym (Abbauhemmung)
  3. Arzneimittel induzieren ein Isoenzym (Abbausteigerung)
  4. Arzneimittel sind Substrat und Hemmstoff in einem

Während eine Enzyminduktion erst im Verlauf von 2 Wochen zum Tragen kommt, kann eine Enzymhemmung im Verlauf weniger Tage eintreten.

Die 5 am häufigsten verordneten Arzneimittelgruppen: Da Arzeimittelwechselwirkungen in ihrer Gesamtheit nicht darzustellen sind, werden in diesem Artikel nur solche Interaktionen besprochen, die mit den 5 am häufigsten verordneten Arzneimittelgruppen in Zusammenhang stehen. Diese sind:

  • kardiovaskulär wirksame Substanzen (v. a. ACE-Hemmer)
  • Gefäßtherapeutika (v. a. Coumarine, ASS und Lipidsenker)
  • Magen-Darm-Therapeutika (v. a. Protonenpumpenhemmer)
  • Psychopharmaka (v. a. SSRI)
  • Antirheumatika (v. a. NSAR)

Die Verordnungen dieser Arzneimittelgruppen machen immerhin über 50 % aller Verordnungen aus und sind dementsprechend beachtenswert.

  • ACE-Hemmer und Hemmer der Cyclooxygenasen: Die ACE-Hemmer hemmen nicht nur die Bildung von Angiotension II, sondern hemmen auch den Abbau von Bradykinin. Das vermehrt vorhandene Bradykinin stimuliert in der Folge die Prostaglandinsynthese. Über die gefäßerweiterende Wirkung der Prostaglandine kommt letztlich ein wichtiger Teil der blutdrucksenkenden Wirkung der ACE-Hemmer zustande. Wird dieser Teil durch Hemmer der Cyclooxygenasen wie Acetylsalicylsäure oder NSAR vermindert, wird auch die blutdrucksenkende Wirkung der ACE-Hemmer reduziert. Für Acetylsalicylsäure ist dieser Zusammenhang in einigen Studien gezeigt. Auch eine Metaanalyse kommt zu dem Schluss, dass Aspirin die blutdrucksenkende Wirkung von ACE-Hemmern antagonisiert. In zwei Arbeiten hatte jedoch Aspirin in einer Dosis von 75 mg bis 325 mg/Tag keinen Effekt auf die blutdrucksenkende Wirkung von ACE-Hemmern bzw. Angiotensinrezeptorantagonisten. NSAR hemmen aber auch die Wirkung von Diuretika, Betablockern und Angiotensinrezeptorantagonisten. Es wird daher angeraten, bei Patienten, die Antihypertensiva und NSAR erhalten müssen, den Blutdruck genauestens zu kontrollieren. Es sei daran erinnert, dass alle NSAR die Nierenfunktion einschränken und über diese Wirkung einen blutdruckerhöhenden Effekt verursachen.
  • Protonenpumpenhemmer (PPIs): Alle PPIs sind Substrat und Hemmer der Cytochrom-P450-Isoenzyme 3A4 und 2C19. Wechselwirkungen der Protonenpumpenhemmer mit anderen Arzneimitteln werden als selten eingestuft und betreffen vor allem Coumarine und Benzodiazepine. Laut Fachinformation von Esomeprazol (Nexium®) nimmt die Clearance von Diazepam, einem Substrat des Cyp2C19, um 45 % ab. Auch die Blutspiegel anderer Substanzen, die von diesem Enzym metabolisiert werden sollen, wie Citalopram, Imipramin, Clomipramin und Phenytoin, können deutlich erhöht werden. In dem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass die Eliminationshalbwertszeit von Citalopram schon ohne Beeinflussung 36 Stunden beträgt. Eine Verlängerung durch Hemmung des Abbaus würde in jeden Fall zu einer Kumulation und damit zu einer mögliche Zunahme aller Nebenwirkungen führen. Der in vielen Arbeiten beanspruchte Unterschied hinsichtlich Wechselwirkungsinzidenz verschiedener PPIs wird unter Verwendung von Daten der FDA wiederlegt. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass PPIs eine Arzneimittelgruppe mit einer geringen Neben- und Wechselwirkungsinzidenz sind, im Einzelfall jedoch auf Abbauhemmungen anderer Arzneimittel geachtet werden muss und mögliche Nebenwirkungen so eine Erklärung finden können.
  • SSRI und NSAR: Das Risiko gastrointestinaler Blutungen unter NSAR ist bekannt. SSRI, die heute am meisten verordneten Psychopharmaka, die die Benzodiazepine weitgehend abgelöst haben, zeigen ebenfalls ein erhöhtes Risiko gastrointestinaler Blutungen. Dies ist besonders ausgeprägt bei Patienten mit einer gastrointestinalen Blutung oder einem Geschwür in der Anamnese. Die Kombination eines SSRI mit einem NSAR erhöht jedoch das relative Risiko einer gastrointestinalen Blutung um das beinahe 10-Fache. Die Zahlen sind so beeindruckend, dass man diese Kombination faktisch nur unter Magenschutz mit einem Protonenpumpenhemmer riskieren darf.
  • Acetylsalicylsäure und Ibuprofen: Wird Acetylsalicylsäure in niederer Dosierung als Thrombozytenaggregationshemmer verwendet, darf vor der Gabe kein Ibuprofen genommen werden. Ibuprofen blockiert die Stelle der Cyclooxygenase 1 in den Thrombozyten, an der die irreversible Hemmung dieses Enzyms durch Acetylsalicylsäure stattfinden soll. Da die Acetylsalicylsäure eine sehr kurze Halbwertszeit im Blut hat (10–15 Minuten), Ibuprofen aber mehrere Stunden an dieser Stelle verweilt, ist die thrombozytenaggregrationshemmende Wirkung von Acetylsalicylsäure unter diesen Bedingungen aufgehoben. In einem größeren Kollektiv gab es unter dieser Konstellation mehr Todesfälle als unter Acetylsalicylsäure mit anderen NSAR.
  • SSRI und Serotoninsyndrom: Ein Serotoninsyndrom tritt auf bei Überdosierung von SSRI oder wenn SSRI mit anderen serotonergen Arzneimitteln kombiniert werden. Wichtige Arzneimittel, die über Serotonin wirken, sind: Venlafaxin, Moclobemid, trizyklische Antidepressiva, Mirtazapin, Clomipramin, Imipramin, Tramadol, Pargylin, Seligilin, Linezolid, Buspiron und v. a. Um die Gefährlichkeit des Serotoninsyndroms deutlich zu machen, sei erwähnt, dass eine Einzeldosis eines falschen Arzneimittels in Kombination zum Tod führen kann. Wenngleich schwere Fälle eines Serotoninsyndroms nicht sehr häufig sind und letztlich in der Intensivstation landen, werden leichtere Fälle oft nicht erkannt, wenngleich sie für den Patienten eine extreme Belastung darstellen. Die Ursache wird oft nicht auf eine falsche Arzneimittelkombination zurückgeführt und der Patient letztlich mit seinem Problem allein gelassen. Die Symptomatik des Serotoninsyndroms manifestiert sich in der Regel sehr rasch nach Veränderung der Medikation (Dosissteigerung oder Kombination). Sie umfasst neuromuskuläre Symptome wie Tremor, Myoklonien und Hyperreflexie, psychische Symptome wie Agitiertheit und delirante Symptome sowie vegetative Symptome wie Schwitzen, Durchfall, Tachykardie und, in schweren Fällen, Hyperthermie über 40 °C. Weiters können Krampfanfälle, respiratorisches Versagen, ventrikuläre Arrhythmien, Rhabdomyolyse, disseminierte intravaskuläre Koagulopathie und eben auch Todesfälle vorkommen.
    Die wichtigste therapeutische Maßnahme ist Absetzen des Arzneimittels, das die Symptomatik hervorgerufen hat, eventuell Benzodiazepine und Olanzapin, ein atypisches Neuroleptikum. Neben den genannten Substanzen können auch Opiate, Antiemetika vom Typ Serotoninantagonisten, Valproinsäure, Triptane zu Migränetherapie u. v. a. zum Serotoninsyndrom führen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Kombination eines SSRI mit einen anderen Arzneimittel sehr sorgfältig geprüft werden muss.
  • Wechselwirkungen mit Statinen: Statine werden über das Enzymsystem CYP 450 3A4 abgebaut und Hemmer dieses Enzyms, vor allem die Antimykotika, Makrolidantibiotika und der Lipidsenker Gemfibrocil dürfen mit Statinen daher nicht kombiniert werden. Die Komplikationen, die auftreten können, sind vor allem Rhabdomyolyse bzw. das Myositissyndrom.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die gemeinsame Verordnung mehrerer Arzneimittel immer potenzielle Gefahren enthält. Die alleinige Verwendung elektronischer Interaktionsdateien ist insofern problematisch, als diese nicht besser sein können als die jeweilige Fachinformation der zu kombinierenden Arzneimittel. Wege aus dem Dilemma sind:

  1. eine genaues schriftliches Therapieschema auch bei mehreren behandelnden Ärzten
  2. laufende Überprüfung, ob die eine oder andere Therapie nicht unterbrochen oder abgesetzt werden könnte
  3. Erfragen und Auflistung zusätzlicher Selbstmedikationen
  4. Arzneimittel, die zur Kupierung von Nebenwirkungen verwendet werden, auf ein Minimum reduzieren
  5. Funktionskontrollen (Ganganalyse, Mobilitätsscreening, Beachtung kognitiver Störungen etc.) Oft kann es durchaus besser sein, zugunsten einer verbesserten Lebensqualität auf die ein oder andere „Evidence-based Medicine“-Therapie zu verzichten, zumal ein Therapieerfolg für den Einzelnen ja nie garantiert ist.

 

Literatur beim Verfasser