Gesundheitsreform
: Erst bauen, dann denken?


Sicher ist nur, dass 3,43 Milliarden Euro bis 2016 bei einem Gesamtvolumen von circa 95 Milliarden eingespart werden sollen und ein Topf von 30 Millionen (1/1.000 – ach wie großzügig und zukunftsorientiert!) für Präventionsprogramme zur Verfügung stehen soll.
Sicher ist auch, dass ambulante Versorgungszentren (AVZ), die noch zu errichten sind, neben den §2-Ordinationen eine tragende Rolle spielen sollen, zumindest in der Secondary Health Care. Dieses „Juwel“ der Gesundheitspolitik wird dann länger (Öffnungszeiten), qualifizierter und vor allem günstiger die Nöte der Bevölkerung erkennen und behandeln.
Sonnenklar, dass die Ärzteschaft dem nichts Positives abgewinnen will, weshalb es mit diesen auch nichts mehr zu diskutieren gibt.

„Shoot first, think later“: Damals, im „wilden Westen“, war dieser Cowboy-Spruch Überlebensstrategie. Im Gesundheitswesen sind mehr Cowboys unterwegs, als man wahr haben möchte. 

In Erfüllung des Paradigmenwechsels von der Nahversorgung (Kassenordination) zur Zentralversorgung (AVZ) würde kein Stein auf dem anderen bleiben. Wenn das Credo wäre: Österreich braucht ein besseres Gesundheitssystem und wir machen dafür zusätzliche Milliarden locker, wir beginnen die Geldflüsse so zu steuern, dass am Ende des Tages mehr Organisation, mehr Transparenz, mehr Gerechtigkeit und vielleicht sogar mehr Gesundheit entsteht, dann würde es freilich Sinn machen, ein altes Haus einzureißen und neu zu errichten. Das Credo aber ist: Wir wollen es billiger (3,4 Milliarden einsparen), die Hausmieter (ÄrztInnen) sind bockig, der Mieterschutz (Kassenverträge) nicht zu umgehen, wir sagen einfach, aus sicherheitstechnischen Gründen („Hygieneverordnung“) ist die Bausubstanz nicht zu erhalten, also Abbruch und Neubau. Erst bauen, dann denken, oder: „Shoot first, think later“ – Déjà-vu, eine Neuauflage des Atomkraftwerkes Zwentendorf?
Es wird wohl nicht reichen zu beteuern, dass dies alles zum Wohle der PatientInnen geschieht.

Wenn man an einem Rädchen dreht, drehen sich hundert Räder mit: Die anonyme Zentralversorgung (angestellte ÄrztInnen mit sinkender Motivation) wird der sympathischen und praktischen Nahversorgung durch niedergelassene Freiberufler nicht das Wasser reichen können. Diese Erfahrung machen Länder, die diesen scheinbar reizvollen Weg bereits eingeschlagen haben. Dazu kommt, dass Österreich in absehbarer Zeit einen veritablen Ärztemangel verzeichnen wird. Junge KollegInnen laufen uns davon, suchen ihr Glück im Ausland und in ländlichen Gebieten sind viele Kassenplanstellen kaum nachzubesetzen. Vorarlberg beispielsweise kämpft mit einer regelrechten Auswanderungswelle heimischer ÄrztInnen in die benachbarte Schweiz.

Behandlungspfade, die unter dem Kuratel der Behandlungsökonomie stehen werden, sollen Kosten sparen und werden KollegInnen unweigerlich in forensische Fallen treiben.

Kosten senken auf Kosten der Versicherten? Ein hochschwelliger Zugang zur Medizin, wie sie in einer Zentralisierung zu sehen ist, schafft kurzfristig Einsparungen, würde uns aber unter Missachtung aller Regeln der Präventivmedizin neue Kosten bescheren.

Die Schwächen einer zentralen, „staatlichen“ Versorgung (keine freie Arztwahl!) könnten auch für PatientInnen rasch erkennbar sein und Massen in die Privatmedizin drängen.
Ist es das, was gewollt ist, eine Verschärfung der Zweiklassenmedizin?
40.000 ÄrztInnen lassen sich nicht in ein Korsett schnüren. Der von der Politik eingeschlagene Weg ist nicht revolutionär, aber evolutionär, und wird in kleinen bis mittelgroßen Schritten erfolgen, sodass jeder neue Gesundheitsminister die Chance bekommen wird, entschärfende Anpassungen an die Stimmungslage der Bevölkerung vorzunehmen – denn Wählerstimmen haben Vorrang und so schließt sich vielleicht der Kreis zum demokratisch abgewählten Kernkraftwerk Zwentendorf.