Zu den Krankheitsbildern und zur Diagnostik – Harninkontinenz der Frau – häufiger, als man denkt

Inzidenz

Laut Definition der internationalen Kontinenzgesellschaft (ICS) ist Harninkontinenz “jeder unfreiwillige Harnverlust” – doch weder der Begriff Harninkontinenz noch die Beschreibung “unfreiwilliger Harnverlust” werden ohne Umschweife von Ratsuchenden als Problem genannt. Hinzu kommt, dass viele Menschen glauben, ungewollter Harnverlust sei eine unvermeidliche, altersbedingte Verschleißerscheinung, gegen die sich mit medizinischen Mitteln wenig ausrichten lasse – solche Fehleinschätzungen und Vorurteile sowie das daraus resultierende Verschweigen des Problems sind eins. Aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung der Bevölkerung und der daraus resultierenden Umstrukturierung der Alterspyramide stellt die Harninkontinenz ein zunehmendes sozioökonomisches Problem dar. Ein Überblick über verschiedene epidemiologische Studien über die weibliche Harninkontinenz zeigte eine Prävalenz von 4,5-53%. Die starke Variation der Ergebnisse ist vor allem abhängig von Unterschieden im Studiendesign und der verwendeten Inkontinenzdefinition! Unsensible, direkte Fragen nach Problemen mit dem Wasserlassen werden teilweise geradezu reflexartig verneint und führen zu einem “Underreporting”, also einer zu geringen Aufdeckung des Problems. Beispielsweise bezeichneten fast ein Drittel der Befragten in einer Studie (Teasdale et al., 1988) sich zwar selbst als nicht inkontinent, gaben aber auf die Frage nach konkreten Inkontinenzsymptomen – wie nicht beherrschbarer Harndrang, Urinverlust unter Belastung – an, dass sie solche hatten! In einer Studie von Hunskaar et al. lag die Prävalenz der weiblichen Harninkontinenz in vier europäischen Ländern bei 35%, wobei sich die mittlere Verteilung der Inkontinenzformen wie folgt darstellte: mit 37% war die Gruppe der Frauen mit Stressharninkontinenz die größte, eine Mischinkontinenz kam bei 33%, die Dranginkontinenz bei 20% der Frauen vor. Auch die EPINCONT-Studie belegt mit 25% eine hohe Prävalenz der weiblichen Harninkontinenz, wobei auch hier die Stressharninkontinenz die häufigste Form darstellt. Im geriatrischen Bereich leiden bis zu 60% der Frauen an dieser Krankheit. Wegen der Häufigkeit des Leidens und des damit verbundenen Leidensdrucks müssen wir diese Problematik kennen, die Basisdiagnostik und die Therapie beherrschen und vor allem Gesprächsbereitschaft zeigen!

Krankheitsbilder

Urogenitale Beschwerden wie Harninkontinenz, Reizblase, Harnwegsinfekte, Brennen und Juckreiz im Intimbereich sind häufige Frauenleiden und diese sollen erläutert werden:

Urogenitale Atrophie: Unter urogenitaler Atrophie versteht man die hormonmangelbedingten Gewebe- und Funktionsveränderungen des weiblichen Urogenitalsystems im Rahmen von Alterungsprozessen. Die atrophische oder Östrogenmangel-Kolpitis beginnt als nicht-infektiöse Scheidenentzündung auf dem Boden von atrophischen Veränderungen; Bakterien oder Pilze besiedeln aber oft im weiteren Verlauf das veränderte Scheidenepithel. Etwa 10-40% der postmenopausalen Frauen leiden an einer urogenitalen Atrophie. Während vasomotorische Beschwerden unbehandelt bei der Mehrheit der Frauen nach 4 bis 5 Jahren nachlassen, bleiben urogenitale Beschwerden entweder bestehen oder nehmen zu. Wichtig zu betonen ist, dass sich das klinische Bild der vulvovaginalen Atrophie nicht auf die Postmenopause begrenzt, sondern auch etwa 15% der prämenopausalen Frauen betrifft, insbesondere Tumorpatientinnen, die mit Chemotherapeutika, Aromatasehemmer oder Antiöstrogenen behandelt werden. Klinisch betrachtet spricht ein Juckreiz für Pilzinfektionen, Dermatosen (bevorzugt Frühstadien), Allergien, Hauttrockenheit und Parasitenerkrankungen. Brennende Schmerzen sind häufiger und finden sich bei Infektionen mit Ausnahme der Candidose, bei vielen Dermatosen und ganz besonders bei Hautbeschädigung!

Harnwegsinfekt der Frau: Harnwegsinfektionen (HWI) gehören zu den häufigsten Infektionen der Frau. Eine untere Harnwegsinfektion (Zystitis) wird angenommen, wenn sich die akuten Symptome nur auf den unteren Harntrakt begrenzen, z. B. neu aufgetretene Schmerzen beim Wasserlassen (Dysurie), imperativer Harndrang, Pollakisurie, Schmerzen oberhalb der Symphyse. Eine obere Harnwegsinfektion (Pyelonephritis) wird dann angenommen, wenn sich bei den akuten Symptomen z. B. auch ein Flankenschmerz, ein klopfempfindliches Nierenlager und/oder Fieber finden. Eine rezidivierende Harnwegsinfektion wird angenommen, wenn eine Rezidivrate von mehr als 2 symptomatischen Episoden pro Halbjahr oder mehr als 3 symptomatische Episoden pro Jahr vorliegen. Eine Änderung des pH-Wertes und eine verminderte Besiedelung durch Laktobazillen führen zu einer vermehrten Besiedelung der Vagina mit Enterobacteriaceae und Anaerobiern. Ihr Konzentrationsanstieg disponiert zu Harnwegsinfektionen, wobei eine Korrelation mit zunehmendem Alter besteht.

Dranginkontinenz: Dranginkontinenz bezeichnet den unfreiwilligen Harnverlust, der mit einem imperativen Harndrang einhergeht, wobei ein intakter Harnröhrenverschluss vorliegt. Pollakisurie, Nykturie und imperativer Harndrang mit oder ohne Harnverlust werden auch als Syndrom der überaktiven Blase (OAB – Overactive Bladder) bezeichnet. Physiologischerweise tritt ein erster Harndrang normalerweise bei 150-250 ml Blasenfüllung, ein imperativer Harndrang bei einer Blasenkapazität von 350-450 ml auf. Typische Symptome der Dranginkontinenz sind Pollakisurie (> 8 Miktionen pro Tag) sowie Nykturie (> 2 Miktionen pro Nacht) und imperativer Harndrang. Frauen können in jedem Lebensalter betroffen sein, typisch ist aber die Häufung in der Postmenopause. Pathophysiologisch liegt der Dranginkontinenz ein gestörtes Gleichgewicht zwischen den Dehnungsafferenzen der Blase und der zerebralen Hemmung mit nachfolgender Detrusorinhibition zugrunde. Die betroffene Frau wird dann gezwungen, ihre Blase früher als normal zu entleeren, was als imperativer Harndrang empfunden wird. Bei der eigentlichen Dranginkontinenz kommt es zum unwillkürlichen Urinverlust, kombiniert mit einem nicht unterdrückbaren imperativen Harndrang. Besteht bei der Patientin lediglich ein rezidivierend auftretender imperativer Harndrang ohne unwillkürlichen Harnverlust, so sprechen wir von einer “Urgency” (Harndrangsymptom) – damit verbunden sind Pollakisurie und Nykturie, nicht jedoch Urininkontinenz. Ätiologisch wichtig sind Harnwegsinfekte, Genitalatrophie und der Deszensus (z. B. große Zystozele). Weitere Ursachen sind die Kolpitis und zerebrovaskuläre Erkrankungen wie multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Syringomyelie, senile Demenz, Alkoholismus sowie Medikamentenabusus.

Stress-Harninkontinenz: Typische Symptome der Stress-Harninkontinenz sind Urinverlust beim Husten, Niesen, Lachen, beim Heben von schwereren Lasten, Treppensteigen und beim Laufen. In diesen Situationen entsteht ein hoher Blasendruck, dem der Harnröhrenverschlussdruck nicht genügend Kraft entgegenbringen kann, wodurch es zum Harnverlust kommt. Die Ätiologie der Stress-Harninkontinenz ist multifaktoriell. Durch Geburten kann es zur Schädigung der periurethralen Aufhänge- und Muskelstrukturen kommen. 25% der Erstgebärenden, unabhängig vom Geburtsmodus, geben 6 Monate post partum Symptome der Inkontinenz an, wobei das Risiko für Frauen nach vaginaler Geburt 2,8-fach höher ist als für per sectionem Entbundene. Durch hormonelle Veränderungen, beispielsweise in der Schwangerschaft, jedoch auch in der Peri- und Postmenopause, kann es zur Abnahme der periurethralen quergestreiften Muskelfasern kommen, was ebenfalls eine Belastungsinkontinenz begünstigt. Weiter prädisponierende Faktoren in der Entstehung einer Stress-Harninkontinenz sind schwere körperliche Arbeit, Übergewicht sowie chronische intraabdominale Drucksteigerungen wie Obstipation oder chronische Bronchitis.

Kombinierte Stress- und Dranginkontinenz: Bei der Mischharninkontinenz kann es sich entweder um zwei voneinander unabhängige Krankheitsbilder oder um eine stressinduzierte Dranginkontinenz handeln. Bei letzterer kommt es unter körperlicher Belastung aufgrund einer Harnröhrenverschlussinsuffizienz zum Urinübertritt in die hintere Harnröhre, wodurch eine Drangsymptomatik mit konsekutiver Detrusorhyperaktivität und Dranginkontinenz resultiert. Bei der Zielsetzung diagnostischer und therapeutischer Interventionen ist es wichtig, das am meisten störende Symptom zu erkennen.

Andere Inkontinenzformen: Wesentlich seltener kommt es zum Auftreten von anderen Inkontinenzformen, die in der Regel schwieriger zu behandeln sind. Im gynäkologischen Bereich sind dabei die extraurethrale Inkontinenz wie z. B. das Auftreten von Fistelbildungen und die Überlaufinkontinenz zu nennen. Eine Überlaufinkontinenz kann durch einen hypoaktiven oder akontraktilen Detrusor verursacht sein oder auch durch eine infravesikale Obstruktion (zum Beispiel Überkorrektur bei Kolporraphia anterior, TVT-Operationen etc.), die zu einer Überdehnung und zum Überlaufen der weiblichen Harnblase führt.

Rationale Diagnostik

Die Inkontinenzdiagnostik ist im Wesentlichen eine anamnestisch-klinische Diagnostik. Diese muss sich am Leidensdruck der Patientin und der Bereitschaft, eine bestimmte Therapie durchführen zu lassen, orientieren. Zu Beginn der Abklärung einer Inkontinenz kommen alle Arten eines Harnverlustes differenzialdiagnostisch ins Spiel:

Anamnese: Die Qualifizierung der Symptome erfolgt durch die anamnestische Erhebung von Art und Dauer der Harninkontinenz, bisherigen Therapien, Geburten, sozialem Umfeld und beruflicher Tätigkeit, Erfassung der Komorbidität (z. B. chronische Bronchitis, Asthma, Nikotinabusus), Medikamenten- und Sexualanamnese. Die Quantifizierung der Symptome erfolgt durch ein Miktionstagebuch (Miktionsprotokoll): Erfassung der Miktionshäufigkeit, Harnvolumen, Zahl der erforderlichen Vorlagen und der Trinkmenge. Die Bewertung des Leidensdruckes kann durch einen Lebensqualitätsfragebogen erfolgen (KHQ, ICIQ-SF, VAS-Skala 0-10).

Klinischer Befund:

  • Inspektion des äußeren Genitales: Fisteln, Fehlbildungen, Entzündungen, Tumoren
  • Spekulumeinstellung: Prolaps, Vaginalhautbeschaffenheit (Östrogenisierungsgrad), Veränderung des Deszensus beim Husten und Pressen
  • Hustentest: Die Patientin wird aufgefordert, mit gefüllter Harnblase (Volumen über 200 ml) wiederholt im Liegen und im Stehen zu husten. Ein beobachteter hustensynchroner Harnaustritt aus der Urethra gilt als klinischer Nachweis einer Stressharninkontinenz.
  • neurologischer Status: Sensibilität der Segmente S2-S4 (Reithosengebiet), Analsphinktertonus, Reflexe

Funktionsdiagnostik: Mit Hilfe der Urodynamik lässt sich die Blasensensitivität (Kapazität und Compliance der Blase) ermitteln und die Kompetenz der Harnröhre im Harnröhrendruckprofil (Ruhe-Stressprofil) überprüfen. Mit Hilfe der Sonographie kann die Dynamik des weiblichen Beckenbodens besser dargestellt bzw. dokumentiert werden.

Endoskopie: Bei der Belastungsinkontinenz wird eine Urethrozystoskopie dann empfohlen, wenn zusätzliche Drangsymptome, Entleerungsstörungen, rezidivierende Harnwegsinfekte oder eine Hämaturie bestehen, um morphologische Ursachen wie Harnblasentumoren oder Steine, Harnröhrenverengungen oder chronische Blasenschleimhautveränderungen auszuschließen.

Diagnostik-Empfehlungen: Vor Beginn einer konservativen Therapie sind folgende Untersuchungen ausreichend:

  • Anamnese/Miktionsprotokoll
  • klinische Untersuchung mit gynäkologischem Befund
  • Urinuntersuchung
  • Restharnmessung
  • Hustentest
  • Introitus-/Perinealsonographie – Sonodynamik des Beckenbodens.

Vor einer Operation sind folgende weitere Untersuchungen zu empfehlen:

  • Dokumentation der Pathomorphologie – Introitussonographie
  • Überprüfung der Blasenentleerung – Uroflowmetrie/ Restharn
  • bei Rezidivstressharninkontinenz: Harnröhrendruck – profil/Stressprofil (Bestimmung der Druck-Transmission)
  • Valsalva, Leak-Point-Pressure
  • Urethrozystoskopie
  • ev. EMG
  • MRT (bei speziellen Fragestellungen