Kinderwunsch beim männlichen onkologischen Patienten

In den USA wurden 2010 ca. 1,5 Millionen Männer und Frauen mit malignen Erkrankungen neu diagnostiziert, davon waren ca. 10 % unter 45 Jahren. Berücksichtigt man die demografischen Entwicklungen in Industrieländern, so zeigt sich bereits in Österreich, dass das Alter erstgebärender Mütter von 1984 mit durchschnittlich 24,1 Jahren auf 29,8 Jahre im Jahr 2007 gestiegen ist. Dieser Trend besteht jedoch nicht nur bei den Müttern, sondern auch Väter werden älter. Das Durchschnittsalter der Väter ehelich geborener Kinder lag in Österreich im Jahr 2007 bei 34,1 Jahren, 7 Jahre zuvor betrug dieses noch 32,8 Jahre. Gleichzeitig stieg die Zahl der Väter im Alter von 35 bis 40 von ca. 11.400 im Jahr 2000 auf ca. 12.000 im Jahr 2007. Anhand der Angaben der Statistik Austria war dieser Trend noch stärker bei Männern zwischen 40 und 45 Jahren, wo es zu einem signifikanten Anstieg kam. Auch bei älteren Männern setzte sich diese Entwicklung fort, lediglich bei den 20–34-Jährigen waren die Vaterschaften rückläufig.

Therapieassoziierte Azoospermie

In Abhängigkeit der Chemotherapeutika sowie deren Dosierung kann anhand verschiedener Studien jenes Risiko abgeschätzt werden, wodurch es durch die Therapie zu einer transienten Beeinträchtigung der Spermatogenese bis hin zur Azoospermie kommen kann. Weiters sind mittlerweile mehrere Substanzen bekannt, die meist zu einer persistenten Azoospermie führen. Ähnlich ist dies bei der Strahlentherapie, wobei ab einer testikulären Strahlendosis > 1,2 Gy eine permanente Azoospermie resultiert. Die Problematik des Kinderwunsches ist somit für den Mann mit maligner Erkrankung neben der Hoffnung auf bestmögliche Lebensqualität und Heilung ein weiterer Aspekt, der berücksichtigt werden muss.
Welche Möglichkeiten gibt es, um die Spermatogenese zu erhalten bzw. bestehen Alternativen?

Möglichkeiten des Fertilitätserhalts

Möglichkeiten zum Erhalt der Fertilität sind die Gewinnung von Samenzellen vor Chemo- und/oder Radiotherapie. Gerade darauf sollte vor der ersten Therapie nicht vergessen werden, da dies unter laufender Therapie nicht indiziert ist.

Das Kryokonservieren von Spermien ist eine etablierte Methode und wurde 2004 durch eine Gesetzesänderung dahingehend patientenorientierter geregelt, dass mittlerweile die Bewahrung des Kryokonservats bis zum Lebensende gestattet ist, dies jedoch kostenpflichtig ist. Der Vorteil des Kryokonservats besteht darin, dass einerseits die Gewinnung durch Masturbation, Vibrostimulation oder Elektroejakulation zumeist erfolgreich ist, den Prozess des Kryokonservierens überleben jedoch lediglich ca. 50 % der Spermien.

Testikuläre Spermienextraktion (TESE): Bekanntermaßen haben Patienten mit Malignomen in vielen Fällen bereits beeinträchtigte Spermiogramme, sodass das Kryokonservieren grundsätzlich möglich ist, jedoch der Outcome des Ejakulats so schlecht sein kann, dass es nicht sinnvoll ist einzufrieren. In diesen Fällen kann im Rahmen einer operativen Hodenbiopsie (sog. testikuläre Spermienextraktion [TESE]) testikuläres Gewebe aus verschiedenen Stellen des Hodens gewonnen werden, das in weiterer Folge kryokonserviert wird. Grundsätzlich kann dies auch durch perkutane Punktion des Hodens und Spermaaspiration (PESA) erfolgen.
Die Erfolgsraten der TESE sind je nach Zentrum unterschiedlich, wobei unsere eigenen Schwangerschaftsraten (inkludiert alle Männer mit Indikation zur TESE, nicht nur onkologische Genese) in Kooperation mit dem Kinderwunschzentrum im Goldenen Kreuz bei 52,3 % liegen. Die Analyse der eigenen Ergebnisse anhand von 300 Männern mit unerfülltem Kinderwunsch, die sich einer TESE unterzogen, ergab als Indikation zur Operation in 80,3 % eine nicht-obstruktive Azoospermie (angeboren, post Chemotherapie, post Radiotherapie), in 14,3 % eine obstruktive Azoospermie (Z. n. Vasektomie, Z. n. Hernien-OP, bilaterale Ductus-deferens-Aplasie etc.) sowie in 4,3 % eine Anejakulation bei neurogener Genese, die mittels transrektaler Elektrostimulation nicht erfolgreich therapiert werden konnte. Die multilokuläre bilaterale TESE ergab eine Spermiengewinnungsrate von 80,7 %, nur in 19,3 % konnten keine Spermien nachgewiesen werden. Jedoch wurde aufgrund der geringen Spermiendichte nur bei 35,8 % ein Kryokonservat eingefroren.
Somit kann die TESE auch beim onkologischen, azoospermen Mann erfolgreich angeboten werden, wobei die Erfolgsrate (pos. Samenzellgewinnung) in Abhängigkeit der Grunderkrankung anhand rezenter Literatur bis zu 45 % beträgt. Wichtig ist hierbei hervorzuheben, dass die TESE nur dann Sinn macht, wenn sie in Kooperation mit einem reproduktionsmedizinischen Zentrum durchgeführt wird und bei diesen Patienten in weiterer Folge eine assistierte Reproduktion (IVF oder ICSI) erfolgt. Eine intrauterine Insemination mit operativ gewonnen Samenzellen ist nicht indiziert.
Auch beim Kind und adoleszenten Mann wurden Berichte mit erfolgreichen Schwangerschaften nach Kryo-TESE publiziert. Somit darf auch bei diesen seltenen Indikationen nicht auf den Erhalt der Fertilität vergessen werden. Die Kryokonservierung von Spermien und/ oder testikulärem Gewebe ist die einzige, wissenschaftlich nachgewiesene Methode, die beim männlichen onkologischen Patienten angeraten werden kann.

Derzeit keine Alternativen: Möglichkeiten der Gonadenprotektion durch Hormontherapie mit GnRH-Analoga oder Testosteron unter Beeinflussung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse zur Protektion der Spermatogonien wurden experimentell untersucht, haben sich bis dato jedoch leider nicht durchgesetzt. Ähnlich steht es mit der Xenotransplantation (Übertragung von lebens- und funktionstüchtigen Zellen oder Zellverbänden zwischen verschiedenen Spezies) sowie In-vitro-Maturation von Spermiogenesezellen. Hierzu gibt es einige positive Berichte, die vielleicht in Zukunft neue Optionen ermöglichen, derzeit aber im klinischen Alltag nicht zur Verfügung stehen.

RESÜMEE: Leider gibt es auch heute noch immer keine sichere Methode, die Fertilität onkologischer Patienten zu sichern. Wie bei vielen Problemen in der Medizin ist auch bei dieser Fragestellung das frühe und offene „Counseling“ des Patienten bzw. der Eltern besonders wichtig, wobei derzeit die Kryokonservierung von Samenzellen die einzig valide Methode zum Erhalt der Fertilität ist.