Komplementärer Einsatz von Selen in der Onkologie

Selen – ein essenzielles Spurenelement

Selen (Se) ist ein Halbmetall mit chemischer Ähnlichkeit zu Schwefel und hat im Periodensystem der Elemente die Ordnungszahl 34. Bereits im Jahre 1957 wurde postuliert, dass es sich bei Se um ein wichtiges Spurenelement handeln könnte, dem bei einer Vielzahl enzymatischer Vorgänge Bedeutung zukommt. In der Zwischenzeit ist Se allgemein als essenzielles Spurenelement anerkannt, wobei bis heute mehr als 25 Gene für Se-abhängige Proteine mit oxidativen, antiinflammatorischen und antikanzerogenen Funktionen im menschlichen Genom entdeckt worden sind. Sowohl In-vitro- als auch Invivo- Daten sprechen dafür, dass einer Se-Supplementation ein Benefit einerseits im Rahmen der Krebsprävention und andererseits in Bezug auf die Reduktion von Nebenwirkungen unter den verschiedenen Krebstherapien zukommt.

Der Selenbedarf beträgt 30–70 mcg/Tag, der pharmakologische Wirkspiegel liegt zwischen 110 und 130 mcg/l im Serum. Mangelsymptome äußern sich in Infektanfälligkeit, Müdigkeit, reduzierter Immunkompetenz und nicht zuletzt auch Schilddrüsenfunktionsstörungen. Zeichen einer chronischen Überdosierung sind Haarausfall, brüchige Fingernägel, Neuropathien sowie Übelkeit und Bauchschmerzen.

Einfluss des Selenspiegels auf die Gesamt- und Krebsmortalität: Im Jahre 2008 erschien eine detaillierte epidemiologische Analyse, mit den Ergebnissen einer Langzeitbeobachtung von 13.887 erwachsenen US-Bürgern. Die Arbeit unterstützt die Hypothese, dass bei Selenwerten im Serum zwischen 110 und 130 mcg/l eine optimale Expression aller Selenproteine erfolgt und damit ein gesundheitsförderliches Optimum der Selenversorgung erreicht wird. Unterhalb und oberhalb dieses Wertes ergab sich eine tendenziell erhöhte Gesamt- bzw. Krebsmortalität.

Seleneinsatz in der Onkologie

Krebsprävention (Primär- bzw. Sekundärprävention): Zwar wurde im Oktober 2008 die so genannte SELECT-Studie (Selenium und Vitamin E Cancer Prevention Trial) auf Grund eines fehlenden protektiven Effektes der Se-Supplementierung auf die Prostatakrebsinzidenz abgebrochen, allerdings gab es Kritik am Studiendesign, insbesondere darin, dass die Studienteilnehmer zusätzlich Finasterid einnehmen durften. Die Studie lieferte insbesondere keinerlei Hinweise auf die Schädlichkeit einer Selen-Supplementierung, entsprechend der Datenlage ist die tgl. Supplementierung von 100–300 mcg Se unbedenklich. In jedem Fall sollte bei Selen-Supplementierung 2–3-mal jährlich der Selenstatus im Blut bestimmt werden, um zu kontrollieren, ob man die angestrebten Selen-Werte im Serum einhält.

Adjuvanz unter onkologischer Therapie: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Selen nicht nur ein Nahrungsergänzungsmittel ist, sondern Se auch in der Adjuvanz ein Benefit bei TumorpatientInnen zukommt. Durch Einsatz von Selen lassen sich unter anderem Chemo- bzw. Strahlentherapie-bedingte Nebenwirkungen deutlich reduzieren, wobei Tagesdosierungen von 500–1.000 mcg kurz vor und während der Therapie empfohlen werden, um rasch einen optimalen Selenwert im Blut zu erreichen (Serum ca. 110–130 mcg/l). Insbesondere auch unter antihormoneller Therapie (z. B. mit Tamoxifen) kommt der Supplementierung mit Selen ein Benefit zu, da die Antihormontherapie erhebliche immunsuppressive Wirkung hat. Und nicht zuletzt ergibt die Datenlage, dass eine gezielte Supplementierung mit Selen bei laufender zytostatischer Chemotherapie zu verminderter Kardiotoxizität unter Adriamycin und verminderter Nephrotoxizität unter Cisplatin, ohne Beeinträchtigung der zytostatischen Wirkung, führt. Eine Studie ergab weiters, dass Ovarialkarzinompatientinnen unter Chemotherapie durch die Se-Supplementierung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe weniger unter Haarausfall, abdominellen Schmerzen sowie Schwäche, Unwohlsein und Appetitverlust litten.

Bei Lymphödem: Ein weiterer Indikationsbereich für Se-Supplementierung besteht bei akutem bzw. chronischem Lymphödem. In diesem Fall ist die Gabe von 500 mcg Se täglich über 4–6 Wochen hilfreich.