Hohe Zahl an nicht diagnostizierten und falsch interpretierten Fällen – Lichen sclerosus und Lichen planus als Ursache chronischer vulvärer Beschwerden

Das Beschwerdespektrum ist vielfältig mit chronischem, oft quälendem Pruritus, Kratzzwang, Rissneigung, Brennen, Schmerzen, massiver Berührungsempfindlichkeit, Schwellungsgefühl, Spannungs- und Tro – ckenheitsgefühl, offenen Arealen der Haut/Schleimhaut mit Neigung zu Kontaktblutungen, Engegefühl des Introitus sowie Dyspareunie mit Unmöglichkeit des Geschlechtsverkehrs in schweren Fällen. Veränderungen der Vulva wie Pigmentierungsstörungen, Rötungen und Architekturveränderungen, insbesondere Schrumpfungsvorgänge sind für die Frauen oft stark beunruhigend. Die möglichen Ursachen sind vielfältig und beinhalten Infektionen, Allergien, Hypersensitivitätsreaktionen, falsche Hygienemaßnahmen, Präkanzerosen, Malignome, neurologische Krankheitsbilder, aber auch Manifestation von Dermatosen im Vulvabereich. Hier kommt dem Lichen sclerosus (LS) und Lichen planus (LP) die größte Bedeutung zu.

Epidemiologie

LS and LP gehören zu den chronisch-entzündlichen Hauterkrankungen. Beide Erkrankungen werden heute – ähnlich der Schuppenflechte – als multifaktorelle (Auto-)Immunerkrankung interpretiert. Der LS tritt fast ausschließlich anogenital auf, der LP ist eine Systemerkrankung mit möglicher anogenitaler Beteiligung. Schätzungen zur Prävalenz reichen beim LS von 1:1.000 in einer dermatologischen Klinik bis zu 1:60 in einer gynäkologischen Praxis. In unserem Patientenkollektiv fanden wir eine Prävalenz von 8,5 % bzw. 1:12 Frauen. Der LP ist wesentlich seltener mit einer weltweiten Prävalenz unter 1 % und einer geschätzten anogenitalen Beteilung in circa 25 % der Patienten. Die Prävalenz des anogenitalen LP beträgt in unserem Patientenkollektiv 2 %. Der Beginn beider Erkrankungen ist vom Kindesalter bis ins Senium möglich. Grundsätzlich ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, deren Ursache im geringen Kenntnisstand der Frühformen, der Kompetenzverteilung auf verschiedene Fächer (Gynäkologie, Dermatologie, Pädiatrie) und im fächerübergreifend niedrigen Ausbildungsniveau vulvärer Erkrankungen zu sehen ist. Letztendlich spielt natürlich auch die Tabuisierung durch Betroffene selbst, die oft erst spät einen Arzt aufsuchen, keine unwesentliche Rolle.

Vulvärer Lichen sclerosus

Ein wesentlicher Aspekt der Frühform ist die teilweise massive klinische Symptomatik mit Pruritus, Spannungsgefühl, Rhagaden und Schmerzen vor allem beim Geschlechtsverkehr, die in Diskrepanz zu den sehr diskreten Veränderungen der Vulva stehen, die bei oberflächlicher Inspektion dem ungeübten Untersucher durchaus entgehen können. Lange Abheilungsphasen von Rhagaden bedingen die oft protrahierten Beschwerdephasen. Häufig sind Rötungen (Abb. 1B) und beginnende, oft auch asymmetrisch imponierende Schrumpfung der Labia minora (Abb. 1A) und periklitorale Verwachsungen (Abb. 1C), die im Endstadium das Bild der „buried clitoris“ ergeben. Nahezu pathognomonisch für den frühen LS sind furchenartige Einker – bungen der Sulcus interlabiales, die Hinweise auf frühere Rhagadenbildung sein können (Abb. 1A, 1B). Weißliche Hautveränderungen sind in der Frühform ebenfalls diskret (Abb. 1A). LS mit porzellanartig verdickter weißlicher Haut kann sehr fokal ausgeprägt (Abb. 1C) oder im Endstadium den „ausgebrannten“ LS mit vollständig aufgebrauchten Labien, nicht mehr sichtbarer Klitoris, massiven weißlichen Hautveränderungen und ekchymotischen Einblutungen zeigen. Patientinnen mit Introitus – stenose klagen weniger über Symptome wie Juckreiz und Schmerzen als über die mechanischen Auswirkungen des rigiden massiv verengten Introitus (Abb. 1D).

Vulvärer Lichen planus

Der LP geht oft mit quälenden vulvären Beschwerden einher. Der Krankheitsbeginn ist häufig akut mit massivem, oft unerträglichem Berührungsschmerz der Vulva, aber auch Juckreiz, Trockenheitsgefühl und Kontaktblutungen, wobei aber – ähnlich dem LS – die sichtbaren Vulvaveränderungen diskret sind. Für manche Frauen ist Geschlechtsverkehr unmöglich, was oft zu einer erheblichen Belastung der Patientinnen und derer Partner führt. Häufig sieht man nur zarte, scharf begrenzte Rötungen, die den veralteten Namen Lichen ruber planus erklären (Abb. 2A, 2B), aber auch großflächige „wund“ imponierende Haut-/Schleimhautareale mit einer Prädilektion im Introitusbereich. Architekturveränderungen mit Schrumpfung der Labien schreiten rasch fort, die Sulci interlabiales und periklitorale Zone wirken oft „verklebt“ (Abb. 2B). Für LP diagnostisch sind weißliche, streifenoder netzartige Hautveränderungen, die so genannte „Wickham- Striae“ (Abb. 2C, 2D). In fortgeschrittenen Stadien können sich in den Rötungen Erosionen (sog. erosiver LP) und durch Schrumpfungsprozesse Introitusstenosen entwickeln (Abb. 2C). Ein wichtiger, auch differenzialdiagnostischer Aspekt des LP ist die mögliche Beteiligung von Schleimhäuten (vaginal, zervikal, oral, ösophageal) durch die erosive Form, die intravaginal ausgeprägte Stenosen verursachen kann. Ebenso sind extragenitale Hautveränderungen beim LP häufig.

Differenzialdiagnostik

Die Basis jeglicher Diagnostik vulvärer Beschwerden ist natürlich eine genaue Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung. Zur Diagnosesicherung ist eine Vulvabiopsie hilfreich. Hier sind jedoch profunde Kenntnisse des Pathologen in Dermatopathologie gefordert. Sehr wichtig sind in diesem Zusammenhang detaillierte klinische Angaben bzw. optimalerweise eine Fotodokumentation. Frühformen von Dermatosen zeigen oft noch nicht alle diagnostischen Kriterien eines Vollbildes oder des Endstadiums des LS oder LP. Gerade fortgeschrittene Dermatosen sind aufgrund histologischer Kriterien alleine oft schwierig zu unterscheiden. Die für die Gewebeschäden und den klinischen Verlauf der Erkrankungen verantwortlichen Lymphozyten sezernieren zahlreiche Zytokine, von denen mindestens zwei große Gruppen unterscheiden werden: die sog. proinflammatorischen (TH1) Zytokine, typisch für die Psoriasis, und die antiinflammatorischen (TH2) Zytokine, die für den LS typisch sind. Der LP ist durch eine simultane Aktivierung von Lymphozyten des TH1- und TH2-Zytokinprofils charakterisiert. Je nach Zytokinausschüttung kann beim LP also die inflammatorische (histologisch diagnostische) Komponente im Vordergrund stehen oder die sklerotischen Veränderungen, insbesondere in lang bestehendem inaktiven LP. In diesem Stadium ist die Histologie des LP oft nicht von der des LS zu unterscheiden und braucht enge klinisch-pathologische interdisziplinäre Zusammenarbeit.

SCHLUSSFOLGERUNGEN: Trotz der hohen Prävalenz vulvärer Dermatosen und des teilweise starken Leidensdrucks der betroffenen Frauen ist die Zahl der nicht diagnostizierten oder falsch interpretierten Fälle sehr hoch, wogegen eine adäquate Therapie diese Krankheitsbilder deutlich bessern kann (siehe Abb. 2C vor und Abb. 2D nach Lokaltherapie). Wünschenswert wäre daher eine verstärkte Sensibilisierung der KollegInnen sowie eine verbesserte und vertiefte Ausbildung betreffend Vulvaerkrankungen für alle damit befassten Fachdisziplinen, wobei wir bedenken sollten, dass die ersten Ansprechpartner der Patientinnen wir FrauenärztInnen sind.