Schwangerschaft, Entbindung und Beckenboden: 5-Jahres-Daten

Kontext: Prävalenzstudien zeigen, dass die vaginale Entbindung ein wesentlicher Risikofaktor für Beckenorgansenkung (im englischen „Pelvic Organ Prolapse“ – POP) ist. Daten zum Kaiserschnitt sind widersprüchlich, da einige Studien dessen protektive Wirkung zeigten1, 2, während andere dies nicht bestätigen konnten3, 4. Neben der Geburt wurden auch andere Risikofaktoren (Alter, genetische Faktoren etc.) identifiziert, so dass bei der Ätiologie des POP von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen ist. Prospektive Studien mit Langzeit-Follow-up sind spärlich. Bislang evaluierten nur zwei kleine longitudinale Studien mit kurzem Follow- up5, 6 die Rolle der Entbindung auf POP mit prä- und postnatale Visiten. Obwohl diese beiden Studien objektive POP-Veränderung evaluierten, liefern sie keine Daten bezüglich Symptomen und ihrer Auswirkungen auf die Lebensqualität.

Das Ziel dieser longitudinalen Kohortenstudie war die Beobachtung der Veränderungen bei POP, Symptomen und Lebensqualität in ante- und postnatalen Perioden mittels validierter Methoden.

Studiendesign: Im Rahmen der Studie wurden 182 Nulliparae rekrutiert und 97 (53,3 %) erschienen zur 5-Jahre-Follow-up-Untersuchung. Es wurden insgesamt 5 Kontrollen durchgeführt: im zweiten und im dritten Trimenon, 14 Wochen, 1 Jahr und 5 Jahre nach der Entbindung. Bei jedem Besuch erfolgte die objektive Beurteilung von POP mittels des standardisierten Pelvic Organ Prolapse Quantification Systems (POPQ). Diese Methode wurde durch die Internationale Kontinenz Gesellschaft (International Continence Society – ICS) validiert.7 Die subjektive Einschätzung der Symptomatik und Evaluierung von Lebensqualität wurde mittels des validierten Fragebogen-Instruments „Personal Assessment Questionnaire“ (ePAQ-PF) vorgenommen.

Diese Studie zeigte folgende Resultate: In der Schwangerschaft, zwischen dem zweiten und dritten Trimenon, zeigten sich keine Veränderungen in Deszensus-Stadium. Im Einklang damit fanden sich keine subjektiven Veränderungen in der vaginalen Domäne des Fragebogens, die Prolaps-Symptome beinhaltet. Interessant fanden wir die deutliche Zunahme des genitalen Hiatus und des perinealen Körpers in der Schwangerschaft. Die mögliche Erklärung dafür könnte die Volumenzunahme der Beckenbodenmuskulatur sein und somit möglicherweise die physiologische Geburtsvorbereitung. Die Studien, die eine solche Zunahme der Muskelkraft des Beckenbodens in der Schwangerschaft zeigten8, untermauern diese Hypothese zusätzlich, allerdings sind noch weitere Studien notwendig, um eine definitivere Aussage treffen zu können. Nach der vaginalen Entbindung wurden statistisch signifikante persistierend Verschlechterungen des POP bei allen postpartalen Kontrollen festgestellt. Nach einem Kaiserschnitt gab es jedoch nur eine vorübergehende Verschlechterung im POP-Stadium und es zeigte sich komplette Rückbildung ein Jahr nach der Entbindung. Bezüglich der subjektiven Prolaps-Symptomatik zeigten sich Verschlechterungen 14 Wochen und 1 Jahr nach der vaginalen Entbindung, ohne eine entsprechende Änderung in der Lebensqualität. Es gab keine signifikante Veränderung der Symptomatik nach einem Kaiserschnitt.

„Take-Home Message“: Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass, obwohl Beckenbodensenkung und Prolaps-Symptome sich nach einer vaginalen Entbindung verschlechtern, sie keine Auswirkung auf die Lebensqualität haben. Diese Veränderungen stellen somit eher die physiologische „Normalität“ als eine „Krankheit“ dar.

 

  1. Lukacz et al.. Obstet Gynecol 2006; 107:1253-60
  2. Tegerstedt et al., Am J Obstet Gynecol 2006; 194:75-81
  3. MacLennan et al., BJOG 2000; 107:1460-70
  4. Dolan et al., Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2010; 21:535-44
  5. Sze et al., Obstet Gynecol 2002; 100:981-86
  6. O’Boyle et al., Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2005; 16:69-72
  7. Bump et al., Am J Obstet Gynecol 1996; 175:10-17
  8. De Oliveira et al., Clinics (Sao Paulo) 2007; 62 (4):439-46