Vestibulitis/Vestibulodynie: eine Diagnose zum Verzweifeln

Symptome: Die International Society for the Study of Vulvovaginal Diseases (ISSVD) fasst die Symptome der Vestibulitis in Brennen, Stechen, eine Reizung im Genitalbereich, das Gefühl des Wundseins und eine starke Empfindlichkeit bzw. Überempfindlichkeit im Introitus vaginae, die eine vaginale Penetration sehr schmerzhaft oder sogar unmöglich macht, zusammen. Die Persistenz der Symptome beträgt mindestens 3 Monate. Die Vestibulitis ist durch eine fleck- oder halbmondförmige Rötung an der hinteren Kommissur nach Berührung gekennzeichnet. Mittels Kolposkopie wird in dieser Region eine essigweiße Reaktion erzielt. In der histologischen Aufarbeitung nach Biopsie findet sich in diesem Areal eine squamöse Metaplasie der vestibulären Drüsen. Als Test zur Erfassung des Punctum maximum des Schmerzes wird der Cotton-Swab-Test herangezogen. Vor allem weiße Frauen sind von dieser Erkrankung betroffen. In der Literatur werden 5 % aller Schmerzen im Genitalbereich und davon 16 % der chronischen vulvären Schmerzen der Vestibulitis zugeordnet.

Als häufigste Ursachen der Vulvodynie werden eine sekundäre psychische Traumatisierung, aber auch andere psychischen Ursachen und eine gesteigerte Innervation des vulvären Vestibulums angeführt. Genetische und immunologische Kofaktoren bei dieser Erkrankung sind Genveränderungen des Leukin- 1-Rezeptor-Antagonisten, Sensibilisierung auf Sperma mit einem positiven Titer von antiseminalem Immunoglobin E, ein Mangel an Mannose-bindendem Lektin, das zur Abwehr von Mikroorganismen dient, eine verminderte Funktion der natürlichen Killerzellen, eine verminderte Reaktion auf Interferon gamma und eine gestörte Regulation der proinflammatorischen Immunantwort.

Fehl- und Differenzialdiagnosen sind

  • vulväre Dermatosen
  • zyklische Vulvitis
  • vulväre Papillomatose
  • essenzielle Vulvodynie

Unter vulvären Dermatosen werden die Kontaktdermatitis, der Lichen chronicus simplex, der Lichen ruber planus und der Lichen sclerosus zusammengefasst. Bei der zyklischen Vulvitis handelt es sich um die häufigste Zweit- oder Fehldiagnose! Es handelt sich hierbei um Candida-assoziierte zyklisch wiederkehrende Beschwerden oder eine chronisch rezidivierende Vaginalkandidose. Die vulväre Papillomatose ist eine Normvariante. Die beobachteten Papillen oder Hirsuties sind papillenartige haarförmige Epithelfortsätze. Als Differenzialdiagnose ist die HPV-Infektion in Form von Kondylomen (Feigwarzen) anzuführen. Bei der essenziellen Vulvodynie zeigen sich klinisch keinerlei Auffälligkeiten. Es sind vor allem postmenopausale Frauen betroffen. Die im Vordergrund liegenden Symptome sind ein konstantes Brennen der Vulva, das häufig einseitig lokalisiert ist. Es werden Schmerzen vor allem im Sitzen beschrieben, die in die Labia majora und in den Damm ausstrahlen. Ursächlich dürfte eine Pudendusneuralgie, das sympathische Nervensystem betreffend, sein.

Mögliche Therapieversuche beim vulvären Vestibulitis-Syndrom sind:

  • Lokalanästhetika (LA)
  • lokale Östrogene oder Kortikoide
  • trizyklische Antidepressiva
  • selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren
  • Injektionen mit Clonidin (Alpharezeptoren- Stimulation) in den die Vulva versorgenden Periduralraum
  • Blockade sympathischer präganglionärer Nervenzellen durch Injektion von LA
  • (Blockade von hyogastrischen Ganglien)
  • (chemische Sympathikolyse mit Alkohol)
  • Lasertherapie?
  • Antihistaminikum: Cetirizin
  • schmetterlingsförmige Exzision der schmerzenden Introitushaut – Vestibuloplastik, partielle Vestibulektomie
  • Perineoplastik
  • Calcineurin-Antagonisten: Pimecrolimus, Tacrolimus
  • Antikonvulsivum: Gabapentin 3 x 300 mg oral/Tag
  • Neocutis Bio-restorative Skin Cream: Lysat aus kultivierten Zellen mit antinflammatorischen Zytokinen
  • Botulinumtoxin A (Botox®): blockiert die periphere Azetylcholin-Freisetzung an den präsynaptischen Nervenendigungen – Muskelrelaxans/Injektion in Vulvamuskulatur. Erfolg: 6–12 Monate

An der Vielzahl der Therapieansätze zeigt sich auch, dass der Therapieplan sehr individuell gestaltet werden soll. Es empfiehlt sich die nebenwirkungsärmste Therapie firstline zu wählen.

Der Abklärungsbaum bei Verdacht auf Vestibulitis:

  • zuerst alle lokalen Therapien und orale Antibiotika absetzen!
  • exakte Anamnese und Aufklärung
  • Pilzkultur abnehmen
  • bei Candidose: orale/systemische Therapie Einleiten
  • Nativpräparat aus Vaginalsekret und pH-Messung erheben
  • die Patientin nicht zur psychisch Kranken erklären!

Wichtig erscheinen die persönliche Betreuung der Patientin und regelmäßige Verlaufskontrollen. Den Frauen ist alleine die Zuordnung der Symptome zu einem definierten Krankheitsbild eine große Erleichterung.

 

Literatur bei der Autorin