Neurogene orthostatische Hypotonie: eine Kurzübersicht

Der neurogenen orthostatischen Hypotonie (NOH) liegt eine Störung der peripheren und/oder zentralen noradrenergen Neurotransmission zugrunde. Das Kardinalsymptom ist der unmittelbar nach posturaler Belastung einsetzende systolische und diastolische Blutdruckabfall. Dieser ist häufig mit einem nur unzureichenden reflektorischen Herzfrequenz­anstieg assoziiert. Das klinische Bild präsentiert sich mannigfaltig. Es reicht von einer asymptomatischen Präsentation bis hin zu wiederkehrenden Stürzen durch Synkopen. Daneben bemerken PatientInnen mit NOH häufig ein allgemeines Müdigkeitsgefühl, Konzentrationsschwäche, lageabhängige Dyspnoe sowie Nacken- und Schulterschmerzen1, 2 (Tab.). Die Symptomatik verschlechtert sich während Heißwetterperioden, Fieber, nach üppigen Mahlzeiten, langem Stehen sowie frühmorgens3. Interessanterweise ist die frühmorgendliche Symptomaggravation häufig durch eine nächtliche Diurese bei erhöhtem Liegendblutdruck bedingt4.

 

 

Als Hauptpathomechanismus wird die unzureichende Vasokonstriktion und die damit verbundene inadäquate periphere Widerstandserhöhung auf die physiologisch auftretende thorakale Hypovolämie im Rahmen einer posturalen Belastung diskutiert.
Ätiologisch kann zwischen einer präganglionären und einer postganglionären Läsion unterschieden werden. Prominente präganglionäre Beeinträchtigungen finden sich unter anderem bei der Multisystematrophie, der multiplen Sklerose sowie bei Querschnittsyndromen, wohingegen das reine autonome Versagen, der Morbus Parkinson, die Demenz mit Lewy-Körperchen, die autonome Beteiligung bei Polyneuropathie sowie das Guillain-Barré-Syndrom charakteristisch für eine postganglionäre Läsion sind (Abb. 1). Mittels kardialer 123I-Metaiodobenzylguanidin-Szinti­graphie (MIBG-Szintigraphie) kann die Lokali­sation der Läsion bildgebend unterschieden werden, und daher erscheint eine Durchführung der MIBG-Szintigraphie in der Differenzialdiagnose neurodegenerativer Parkinson-Syndrome sinnvoll5 (Abb. 2).

 

 

 

Diagnostik

Aktuelle Diagnosekriterien fordern einen Blutdruckabfall von mindestens 20 mmHg systolisch und/oder 10 mm Hg diastolisch innerhalb von 3 Minuten nach Kippung oder im verkürzten Schellong-Stehversuch6. Auf Grund der Tatsache, dass das Ausmaß des Blutdruckabfalls auch von den Ruhebedingungen beeinflusst wird, erscheint ein höherer Trennwert von 30 mm Hg systolisch bei PatientInnen mit erhöhten Blutdruckwerten in Rückenlage angebracht6. Zusätzlich kann die Diagnose einer NOH von einem Ausbleiben des reflektorischen Herzfrequenzanstiegs („Pulsstarre“) bei Lageänderung begleitet sein. Darüber hinaus scheint die Ausprägung und die Häufigkeit der OH bei präganglionären Läsionen mit dem Ausmaß der Hirnstamm-Pathologie assoziiert zu sein7.

Behandlung

Die Behandlung der NOH ist von der klinischen Herausforderung geprägt, eine zufrieden stellende Symptomkontrolle zu erzielen, ohne iatrogene Entgleisungen des (Liegend-)Blutdrucks auszulösen – daher sollte die Therapie ausschließlich stufenweise erweitert werden8 (Abb. 3).

 

 

Nichtpharmakologische Therapieansätze: Physikalische Maßnahmen und Verhaltensmaß­nahmen sind in der Behandlung der NOH unumgänglich. Insbesondere die nächtliche Oberkörperhochlagerung um 30 Grad, das Tragen einer Bauchbinde oder von Stützstrümpfen, ein langsames, stufenweises Aufrichten aus dem Liegen, regelmäßige behutsame körperliche Betätigung sowie das Vermeiden einer erschwerten Defäkation tragen zur Symptomlinderung bei9, 10. Darüber hinaus sollten PatientInnen über Möglichkeiten einer Überwindung plötzlich eintretender NOH-Symptome informiert werden. Dazu zählen das Überkreuzen der Beine, das Anspannen der Oberschenkelmuskulatur und das In-die-Hocke-Gehen11. Schließlich haben sich das Aufteilen der täglichen Kohlenhydrat-Zufuhr auf mehrere kleine Mahlzeiten12 sowie eine ausreichende Salz- und Flüssigkeitszufuhr in der Behandlung der NOH bewährt10, 13–16.

Pharmakologische Therapie: Die medikamentöse Therapie bedient sich zweier unterschiedlicher Angriffspunkte:

  1. der Volumensexpansion und
  2. der Vasokonstriktion.

Eine medikamentöse Volumensexpansion kann mit Fludrocortison (synthetisches Mineralokortikoid; 0,1–0,2 mg/d) erzielt werden; eine ausreichende Flüssigkeits- und Salzeinnahme ist hierbei unerlässlich17. Sollte dies nur einen unzureichenden Effekt bieten, ist eine Therapie mit Sympathomimetika bei NOH-PatientInnen unausweichlich. Midodrin (α1-Adrenorezeptor-Agonist; 5–10 mg/d) zeigte in zwei unabhängigen multizentrisch durchgeführten randomisiert kontrollierten Zulassungsstudien eine Reduktion des Blutdruckabfalls und eine Abschwächung der NOH-Symptomatik18, 19. Die derzeit in Phase-III-Studien geprüfte Noradrenalin-Vorläufersubstanz L-Dihydroxyphenylserine (L-DOPS, Droxidopa) konnte in Dosisfindungsstudien bei PatientInnen mit NOH im Rahmen einer neurodegenerativen Erkrankungen ihre Wirksamkeit zeigen20, 21.
Abschließend sei erwähnt, dass es weitere Medikamente gibt, die in seltenen Einzelfällen Anwendung finden. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich hierbei jedenfalls um Off-Label-Behandlungen handelt. Hinsichtlich ausführlicherer Informationen möchten wir diesbezüglich auf den Übersichtsartikel von Lahrmann und KollegInnen verweisen22.

Zusammenfassung: Die NOH führt zu einer erhöhten Morbidität und bedingt häufig eine deutliche Verschlechterung der Lebensqualität der Betroffenen. Die Diagnose NOH kann mithilfe eines Blutdruckmessgerätes und eines Orthostasetests (vereinfachter Schellong-Test) ohne eingehende autonome Testung diagnostiziert werden. Bei eindeutigen Symptomen und unauffälligen Orthostasetests ist eine ausführliche Kipptisch-Untersuchung jedenfalls indiziert. Die Therapie bedarf einer strukturierten Herangehensweise, wobei nichtpharmakologische Therapieoptionen die Grundlage darstellen und medikamentöse Therapieformen nur in Verbindung mit Allgemeinmaßnahmen angezeigt sind.

Unterstützt durch Fördermittel des Austrian Science Fund (FWF): F04404-B19

 

1 Robertson D, Kincaid DW et al., The head and neck discomfort of autonomic failure: an unrecognized aetiology of headache. Clin Auton Res 1994; 4(3):99–103.
2 Low PA, Opfer-Gehrking TL et al., Prospective evaluation of clinical characteristics of orthostatic hypotension. Mayo Clin Proc 1995; 70(7):617–622.
3 Low PA, Singer W. Management of neurogenic orthostatic hypotension: an update. Lancet Neurol 2008; 7(5):451–458.
4 Ozawa T, Tanaka H et al. (1999), Nocturnal decrease in vasopressin secretion into plasma in patients with multiple system atrophy. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1999; 67(4):542–545.
5 Braune S, Reinhardt M et al., Cardiac uptake of [123I]MIBG separates Parkinson‘s disease from multiple system atrophy.Neurology 1999; 53(5):1020–1025.
6 Freeman R, Wieling W et al., Consensus statement on the definition of orthostatic hypotension, neurally mediated syncope and the postural tachycardia syndrome. Clin Auton Res 2011; 21(2):69–72.
7 Wenning GK, Granata R et al., Orthostatic hypotension is differentially associated with the cerebellar versus the parkinsonian variant of multiple system atrophy: a comparative study. Cerebellum 2012; 11(1):223–226.
8 Freeman R (2003), Treatment of orthostatic hypotension. Semin Neurol 2003; 23(4):435–442.
9 Diedrich A, Biaggioni I, Segmental orthostatic fluid shifts. Clin Auton Res 2003; 14(3):146–147.
10 Freeman R. Current pharmacologic treatment for orthostatic hypotension. Clin Auton Res 2008; 18 Suppl 1:14–18.
11 Wieling W, van Lieshout JJ et al., Physical manoeuvres that reduce postural hypotension in autonomic failure. Clin Auton Res 1993; 3(1):57–65.
12 Lipsitz LA, Ryan SM et al., Hemodynamic and autonomic nervous system responses to mixed meal ingestion in healthy young and old subjects and dysautonomic patients with postprandial hypotension. Circulation 1993; 87(2):391–400.
13 Jordan J, Shannon JR et al., A potent pressor response elicited by drinking water. Lancet 1999; 353(9154):723.
14 Shannon JR, Diedrich A et al., Water drinking as a treatment for orthostatic syndromes. Am J Med 2002; 112(5):355–360.
15 Wieling W, Van Lieshout JJ et al., Extracellular fluid volume expansion in patients with posturally related syncope. Clin Auton Res 2002; 12(4):242–249.
16 Jordan J, Shannon JR et al., Water potentiates the pressor effect of ephedra alkaloids. Circulation 2004; 109(15):1823–1825.
17 Van Lieshout JJ, ten Harkel AD et al., Fludrocortisone and sleeping in the head-up position limit the postural decrease in cardiac output in autonomic failure. Clin Auton Res 2000; 10(1):35–42.
18 Low PA, Gilden JL et al., Efficacy of midodrine vs placebo in neurogenic orthostatic hypotension. A randomized, double-blind multicenter study. Midodrine Study Group. JAMA 1997; 277(13):1046–1051.
19 Wright RA, Kaufmann HC et al., A double-blind, dose-response study of midodrine in neurogenic orthostatic hypotension. Neurology 1998; 51(1):120–124.
20 Mathias CJ, Senard JM et al., L-threo-dihydroxyphenylserine (L-threo-DOPS; droxidopa) in the management of neurogenic orthostatic hypotension: a multi-national, multi-center, dose-ranging study in multiple system atrophy and pure autonomic failure. Clin Auton Res 2001; 11(4):235–242.
21 Kaufmann H, Saadia D et al., Norepinephrine precursor therapy in neurogenic orthostatic hypotension. Circulation 2003; 108(6):724–728.
22 Lahrmann H, Cortelli P et al., EFNS guide­lines on the diagnosis and management of orthostatic hypotension. Eur J Neurol 2006; 13(9):930–936.