Aktenzeichen XY ungelöst: Chemoprävention

Der Stellenwert chemopräventiver Medikamente für das Prostatakarzinom ist Bestandteil aktuell kontrovers geführter Debatten. Die Chemoprävention von Krebs fokussiert auf die Verwendung natürlicher oder synthetischer Wirkstoffe, welche die Entwicklung von Tumoren unterdrücken, verzögern oder verhindern können1–4. Natürliche Substanzen mit unterschiedlichen Ergebnissen für die Prostatakarzinom-Prävention sind schon lange in Anwendung5–8. Die Verwendung von 5-Alpha-Reduktase-Inhibitoren (5-ARI) hat hingegen erst kürzlich Einzug in die Chemoprävention gehalten9–11. Diese Substanzen fokussieren sowohl auf die primäre als auch sekundäre Prävention. Die primäre Prävention zielt darauf ab, ein Neuauftreten von Krebs zu verzögern oder zu verhindern. Die sekundäre Prävention zielt darauf ab, prämaligne Läsionen und Low-Grade-Tumoren am Progress zur tatsächlichen Krebsformation zu hindern12. Beim Prostatakarzinom richtet sich die sekundäre Prävention insbesondere auf die Progression von high-grade prostatischen intraepithelialen Neoplasien (HGPIN) oder Tumoren mit einem niedrigen Gleason-Grad (Gl 3 + 3) zu High-Grade-Tumoren bei Patienten im Rahmen der Active Surveillance.
Im Dezember 2010 hat das Oncology Drugs Advisory Committee (ODAC) der US Federal Food and Drug Administration (FDA) die Indikation für 5-ARI zur Chemo-Prävention des Prostatakarzinoms bei Männern mit einem erhöhten Risiko für Prostatakrebs untersucht. Das Komitee hat sich gegen die Verwendung von 5-ARI zur Chemoprävention von Prostatakrebs ausgesprochen.

Ergebnisse der 5-ARI-Studien zur primären Chemoprävention: Finasterid und Dutasterid sind beide medikamentöse 5-ARI, die erfolgreich das Prostatawachstum inhibieren. Beide Wirkstoffe sind für die Therapie der benignen Prostatahyperplasie (BPH) zugelassen worden. In Studien konnte eine Reduktion des Prostatavolumens um 20–30 % und des PSA-Spiegels um 50–60 % durch eine kontinuierliche Einnahme von Finasterid oder Dutasterid nachgewiesen werden.
Beide 5-ARI-Medikamente wurden auf ihren möglichen Nutzen bezüglich einer Chemoprävention in multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, placebo- kontrollierten Studien getestet – z. B. die PCPT-Studie (Prostate Cancer Prevention Trial) und die REDUCE-Studie (Reduction by Dutasteride of Prostate Cancer Events). Die Tabelle vergleicht das Studiendesign und die Ergebnisse beider Studien.

 

 

Die PCPT-Studie war die erste große multizentrische, randomisierte, doppelblinde Prostatakarzinom-Präventionsstudie mit der Verwendung eines 5-ARI: Finasterid 5 mg täglich oder Placebo9. Prostatakrebs wurde in 24,4 % der Placebogruppe und in 18,4 % der Finasterid-Gruppe detektiert. Zusätzlich reduzierte Finasterid das Risiko von HGPIN im Vergleich zu Placebo. Interessanterweise war die Prävalenz von High-Grade-Tumoren mit einem Gleason-Grad von 7–10 deutlich höher in der Finasterid- Gruppe (37 %) als in der Placebogruppe (22 %; p < 0,001).
Die erhöhte Prävalenz von High-Grade-Tumoren in der therapierten Gruppe hat enorme Spekulationen und weitere Subanalysen erzeugt.

Die REDUCE-Studie ist ebenfalls eine multizentrische, randomisierte, doppel-blinde, placebokontrollierte Studie über einen Zeitraum von 4 Jahren mit Dut­asterid 0,5 mg täglich oder Placebo10. Im Dutasterid-Arm konnte eine absolute Risikoreduktion von 5 % und eine relative Risikoreduktion von 23 % (p < 0,001) gezeigt werden. Bei HGPIN-Patienten ließ sich auch eine relative Risikoreduktion von 39 % (p < 0,001) und bei ASAP-Patienten („atypical small acinar proliferation“) von 21 % (p = 0,04) nachweisen. In der REDUCE-Studie ließ sich initial, anders als in der PCPT-Studie, keine statistisch signifikante Gesamterhöhung von High-Grade-Tumoren zeigen. In der zweiten Runde der Biopsien (in den Studienjahren 3 und 4) wurde jedoch eine Erhöhung von High-Grade-Tumoren mit einem Gleason-Grad von 8–10 im Vergleich zur Placebogruppe beobachtet (12 vs. 1; p = 0,003).
Die Autoren spekulierten, dass dieses Phänomen durch häufige Früherkennung von Low-Grade-Tumoren in der Placebogruppe bedingt sein könnte, die ohne eine Therapie fortschreiten hätten können.
Zusammenfassend zeigten die REDUCE- und die PCPT-Studie einen statistisch signifikanten Effekt auf Low-Grade-Tumoren (Gleason 5, 6), jedoch ohne einen Einfluss auf die Prävalenz von High-Grade-Karzinomen zu haben. Insgesamt waren die Medikamente gut verträglich, zeigten aber statistisch signifikante Effekte auf die Libido, die erektile Dysfunktion und das Samenvolumen.

Kontroverse: Risiko von High-Grade-Tumoren

Der Effekt von 5-ARI auf Low-Grade-Tumoren lässt sich sowohl in der PCPT- als auch in der REDUCE-Studie übereinstimmend nachweisen. Nichtsdestotrotz zeigen beide Studien einen Trend zu High-Grade-Tumoren. Initial schätzen die Autoren der PCPT-Studie das Risiko von Finasterid auf High-Grade-Tumoren als unklar ein. Die Verwendung von Finasterid als chemopräventives Medikament wurde nicht empfohlen.
Sekundäre Analysen der PCPT-Daten von verschiedenen Arbeitsgruppen haben zeigen können, dass eine erhöhte Sensitivität der DRU eines Patienten unter Finasterid-Einnahme nicht nur die Sensitivität zur Detektion von Prostataknoten, sondern auch von Prostatakarzinomen von 16 % auf 21 % (p = 0,015) steigerte13. Unter der Verwendung von 5-ARI ließ sich auch eine erhöhte PSA-Sensitivität zur Detektion von Prostatakarzinomen nachweisen. Finasterid und Dutasterid reduzieren beide den PSA-Wert um etwa die Hälfte. Dementsprechend funktioniert PSA besser (ist sensitiver) bei der Detektion von High-Grade-Tumoren14.
Eine weitere Studiengruppe untersuchte anhand der PCPT-Daten die Prostatektomie als Endpunkt (statt der Prostatabiopsie) und konnte tatsächlich sowohl ein statistisch signifikantes Upstaging der Karzinome in der Placebogruppe als auch eine Reduktion der High-Grade-­Tumoren um 16 % zeigen15. Die Autoren konkludierten, dass Finasterid wahrscheinlich keine High-Grade-Karzinome verursacht, sondern vielmehr ihre Detektion verbessert.
Trotz der erbrachten Ergebnisse der PCPT- und REDUCE-Studien spricht die FDA aufgrund des ODAC-Beschlusses aktuell keine Empfehlung für die Verwendung von 5-ARI als Prostatakarzinom-Chemoprävention aus, was sich auch bei der Verschreibung von 5-ARI niederschlägt.
Ungefähr 64 % der Urologen und 80 % der erstversorgenden Hausärzte verschreiben niemals Finasterid zur Chemoprävention von Prostatakrebs. Über die Hälfte der Urologen geben deutliche ­Bedenken an, höhergradige Tumoren zu induzieren. Des Weiteren wusste die Hälfte der Hausärzte nicht, dass 5-ARI als Chemoprävention verwendet werden können16.

 

1 Dong Y et al., Cancer Res 2003; 63:52–9.

2 Duffield-Lillico AJ et al., BJU international 2003; 91:608–12.

3 Lippman SM et al., JAMA 2009; 301:39–51.

4 Bonovas S et al., Int J Cancer 2008; 123:899–904.

5 Heinonen OP et al., J Natl Cancer Inst 1998; 90:440–6.

6 Jacobsen BK, Knutsen SF, Fraser GE, Cancer Causes Control 1998; 9:553–7.

7 Johnson JJ et al., Phytomedicine 2010; 17:3–13.

8 Bettuzzi S et al., Cancer Res 2006; 66:1234–40.

9 Thompson IM et al., NEJM 2003; 349(3):215–24

10 Andriole GL et al., NEJM 2010; 362:1192–202.

11 Hamilton RJ, Freedland SJ, BMC medicine 2011; 9:105.

12 Price D, Stein B, Sieber P et al., J Urol 2006; 176:965–70; discussion 70–1.

13 Thompson IM et al., J Urol 2007; 177:1749–52.

14 Thompson IM, Chi C, Ankerst DP et al., J Natl Cancer Inst 2006; 98:1128–33.

15 Pinsky P et al., Cancer Prev Res (Phila) 2008; 1:182–6.

16 Hamilton RJ et al., Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2010; 19:2164–71.