Bladder Pain Syndrome: Eine Krankheit mit neuem Gesicht

Definition: 1986 wurden erstmals vom amerikanischen NIH/NIDDK Krankheitskriterien definiert, um die Diagnose der interstitiellen Zystitis (IC) zu standardisieren. Diese Kriterien dienten allerdings vor allem dazu, homogene Patientengruppen für Studien zu definieren. Im klinischen Alltag waren sie untauglich, da ein Großteil der Betroffenen aufgrund der zahlreichen und strikten Ein- und Ausschlusskriterien eigentlich keine IC hatte, obwohl die klinische Symptomatik dieser Diagnose entsprach.
Eine europäische Expertenrunde (ESSIC) definierte schließlich 2006 das Bladder Pain Syndrome (BPS) als „Schmerzen, die Betroffene in ihrer Harnblase verspüren, kombiniert mit mindestens einem Miktionssymptom wie vermehrter Harndrang und Pollakisurie über eine Dauer von mehr als 6 Wochen“. Andere Erkrankungen, die für diese Symptome verantwortlich sein könnten (Confusable Diseases), müssen ausgeschlossen werden.
Der Name Bladder Pain Syndrome ist in Anlehnung an Schmerzsyndrome in anderen Körperregionen gewählt und macht die Diagnose für Ärzte und Patienten aufgrund der eindeutigen Verbildlichung leichter. Der Terminus IC soll nicht mehr oder nur als Zusatz verwendet werden.

Diagnostik: Die Diagnostik ist in erster Linie auf den Ausschluss der Confusable Diseases gerichtet. Eine Liste dieser Erkrankungen ist publiziert (Van de Merwe JP, Nordling J, Eur Urol Today, 2006) und umfasst das gesamte Spektrum urologischer – einschließlich einer Vielzahl infektiöser – Blasenkrankheiten.
Ein sehr einfacher Zugang ist, dass bei PatientInnen mit Symptomen einer infektiösen Zystitis ohne Nachweisbarkeit einer Infektion (Harnkultur, Vaginalabstrich, STD-Diagnostik) ein hoher Verdacht auf ein BPS besteht.
Die AUA-Guidelines 2011 empfehlen keine invasive Diagnostik für unkomplizierte Fälle. Aus meiner Sicht sollte bei allen PatientInnen einmalig eine Zysto­skopie durchgeführt werden, um ursächliche, z. T. auch seltene Pathologien ausschließen zu können. Da die Zystoskopie beim BPS in der Regel sehr schmerzhaft ist, sollte diese in einer kurzen Allge­meinnarkose stattfinden.
Hydrodistension und Biopsien, die früher obligat waren, sind heute erstens zur Diagnosestellung nicht mehr notwendig und zweitens aufgrund fehlender Konsequenzen bei positivem Befund auch in der Primärdiagnostik nicht mehr indiziert.
Der vieldiskutierte Kaliumtest ist in seiner modifizierten Form mit 0,2-molarem KCl nicht schmerzhaft und in der Lage, eine Störung der Harngewebsschranke anzuzeigen, die dann wiederum mit einer GAG-Substitutionstherapie gut therapierbar ist.

Therapie: Auch hier bieten die aktuellen AUA-Guidelines eine Neubewertung der bisher üblichen Behandlungsregimes.

Nichtmedikamentöse Empfehlungen ste­hen an erster Stelle:

Diät (Vermeidung von Kaffee, kohlensäurehaltigen Getränken, sauren und scharfen Speisen und Flüssigkeiten),
Stressmanagement,
Physiotherapie und Entspannungstechniken. Ein Lifestyle Change kann die bestehenden Beschwerden bereits wesentlich reduzieren.

 

Medikamentös steht die GAG-Substitution an erster Stelle. Intravesikal ist die Verwendung von Hyaluronan (neuere Nomenklatur für Hyaluronsäure) als wöchentliche Instillation am besten wissenschaftlich dokumentiert. Andere Substanzen, die heute verwendet werden, sind Heparin, Chondroitinsulfat und Pentosanpolysulfat (PPS), das auch in oraler Form zur Verfügung steht. Für Hyaluronan sind Remissionsraten von > 80 % bei PatientInnen mit positivem Kaliumtest berichtet, 50 % der Behandelten haben eine Chance auf eine langfristige Symptomfreiheit, d. h. Heilung der Erkrankung.
Andere medikamentöse Regimes mit in Studien belegter Wirkung sind selten. In erster Linie wird Amitryptilin als abendliche Gabe mit Dosistitration und gutem Erfolg eingesetzt. Die Verwendung anderer Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel ist eher anekdotisch dokumentiert.
Wichtig ist eine ausreichende analgetische Medikation, um den Schmerz einzudämmen. In dieser Indikation hat sich Tramadol in retardierter Form als tägliche Einmalgabe bewährt. Andere Analgetika sind beim BPS in der Regel nicht so wirkungsvoll.
Bei unzureichender Symptomreduktion steht eine Vielzahl weiterer Therapieoptionen zur Auswahl, von denen allerdings wiederum nur wenige einen gut dokumentierten Erfolg haben. Alle diese Verfahren sind nur mehr palliativ zu werten. Dazu zählen die intravesikale Iontophorese, die transurethrale Resektion von Hunner’schen Ulcera, und – mit mäßigem Erfolg und hohem Nebenwirkungspotenzial – Botoxinjektionen in die Blase bzw. die sakrale Neuromodulation.
Besser ist es oft, in nicht behandelbaren Endstadien der Erkrankung die Blase zu entfernen und eine Dünndarmersatzblase orthotop zu positionieren. Betroffene erlangen dadurch ihre Lebensqualität zurück, der große Eingriff ist durch Einsatz der Laparoskopie in seiner Invasivität deutlich minimiert worden.
Die Vielzahl der wissenschaftlich teils nicht oder schlecht belegten Behandlungsverfahren sollte Anlass sein, PatientInnen bei unzureichendem Therapieansprechen oder überhaupt sofort primär an eine Institution zu überweisen, die ausreichend Erfahrung im Management des BPS besitzt.

Zur Information: Die AUA-Guidelines finden sich als Download auf der Website der AUA

Take Home Message

Definition des Bladder Pain Syndromes (BPS; ESSIC 2006): Schmerzen, die Betroffene in ihrer Harnblase verspüren, kombiniert mit mindestens einem Miktionssymptom wie vermehrter Harndrang und Pollakisurie über eine Dauer von mehr als 6 Wochen. Andere Erkrankungen, die für diese Symptome verantwortlich sein könnten (Confusable Diseases), müssen ausgeschlossen werden.
Die Diagnostik ist in erster Linie auf den Ausschluss der Confusable Diseases gerichtet.Hydrodistension und Biopsien sind heute nicht mehr indiziert.
Die Therapie (Neubewertung in den aktuellen AUA-Guidelines) umfasst nichtmedikamentöse (Diät, Stressmanagement, Physiotherapie, Entspannungstechniken) und medikamentöse Maßnahmen (am besten wissenschaftlich dokumentiert: die intravesikale Verwendung von Hyaluran als wöchentliche Instillation).