Deszensus der Frau: konservative und operative Therapiemöglichkeiten

Die Prävalenz eines symptomatischen Beckenorganprolapses (BOP) beträgt mindestens 3 %, wobei sie je nach Risikokonstellation (besonders Schwangerschaft, Geburt, Alter) in Studien bis zu 10 Mal höher angegeben wird.1
Eine zeitgemäße Diagnostik besteht aus einer (zunehmend auf validierte Frage­bögen gestützten) gezielten Anamnese mit Berücksichtigung von Lebensqualität und Behandlungswunsch. Die klinische Untersuchung des Beckens sollte zusätzlich die Quantifizierung des BOP mit dem standardisierten Schema der International Continence Society (Pelvic Organ Prolapse Quantification System) und ein Assessment der Beckenbodenmuskulatur beinhalten. Weitere Untersuchungen (Sphinktermanometrie, Urodynamik, Beckenboden-MRI, Untersuchung des oberen Harntraktes etc.) werden je nach Symptomatik und Ausmaß eines BOP eingesetzt, sofern sich daraus eine therapeutische Konsequenz ergibt.

 

 

Pessartherapie und Beckenbodentraining

Bereits in der Antike waren Pessartherapien bekannt. Man verwendete z. B. Granatäpfel, die nach Reposition eines Prolapses in die Scheide eingeführt wurden. Später wurden Pessare aus verschiedenen Metallen, ab dem 19. Jahrhundert aus Latex gefertigt. Heute gibt es eine große Auswahl verschiedener Produkte in allen möglichen Formen, Materialien und Größen, und es kann für die meisten Betroffenen ungeachtet des Prolapsstadiums ein geeignetes Modell gefunden werden. Bei vielen Patientinnen gelingt die Einschulung auf eine selbstständige Handhabung, womit das Pessar im Idealfall untertags getragen und nachts entfernt werden kann. Damit können unerwünschte Auswirkungen (entzündlicher Fluor, vaginale Druckulcera) minimiert werden. Schwere Komplikationen (vesikovaginale und rektovaginale Fisteln) stellen selbst bei seltenem Pessarwechsel ausgesprochene Raritäten dar.2
Es gibt Hinweise, dass die Entstehung eines BOP mit einer Beckenbodenmuskelschwäche beginnt und es erst danach zur Überdehnung des Beckenbindegewebes kommt. Demnach erscheint die Überlegung nachvollziehbar, dass auch Beckenbodentraining (BBT) effektiv sein kann. Dies wird durch einen Cochrane Review belegt, der allerdings betont, dass dieses BBT unter Aufsicht erfolgen und der Erfolg durch Beckenbodenpalpation kontrolliert werden sollte.3 Unter der Schirmherrschaft der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich finden seit 2 Jahren Kurse zur Beckenbodenpalpation statt. Ein Schulungsvideo zum dort gelehrten PERFect-Schema wurde auf YouTube platziert. Diese Maßnahmen sollen zu einer weiteren Verbesserung des Beckenbodentrainings als Therapieschiene von Kontinenz- und Beckenbodenproblemen in Österreich beitragen.

Operative Therapieverfahren

Zur Zeit der Kaiser Trajan und Hadrian um 100 n. Chr. lebte in Rom Soranus von Ephesos. Er galt als der führende Gynäkologe der Antike. Soranus führte bereits damals vereinzelt vaginale Hysterektomien bei Vorfall der Gebärmutter durch. Damit ist dieses Zustandsbild eine der ersten Indikationen für die Gebärmutterentfernung, und die operative Therapie eines BOP scheint somit mindestens 2000 Jahre alt zu sein. Während die operative Medizin ab dem Ende des 19. Jahrhunderts einen wahren Boom erlebte, erkannte man bald, dass die Entfernung der Gebärmutter in vielen Fällen von BOP nicht ausreichte.

Scheidenraffungsoperationen wurden entwickelt und bilden bis heute ein wichtiges Fundament der Prolapschirurgie. Dabei wird im Rahmen der vorderen Kolporrhaphie das Septum ­vesikovaginale, eine Bindegewebsschicht zwischen vorderer Vaginalwand und Blase, präpariert und durch Nähte gerafft. Analog dazu wird bei der hinteren Kolporrhaphie zur Raffung der hinteren Vaginalwand das Septum rectovaginale verwendet. Aufgrund der hohen Prävalenz von Dyspareunien wird heute die Indikation zur zusätzlichen Vereinigung des M. pubococcygeus unter der hinteren Vaginalwand zur Verengung des Introitus zunehmend eng gestellt . Es ist nicht gesichert, ob diese so genannte „Levatorplastik“ in der Lage ist, das Risiko für Rezidive zu vermindern.

Vaginale Hysterektomie mit vorderer und hinterer Scheidenplastik kombiniert mit Levatorpastik: dies galt lange Zeit als der Standard der operativen Prolapsbehandlung, zumindest im deutschen Sprachraum. Bei einer Reihe von Patientinnen war nach diesem Verfahren jedoch das Problem der Fixation des oberen Scheidendrittels nicht gelöst. Wenn die Ligg. sacrouterina überdehnt sind, ist die Verankerung des Scheidenendes nämlich nicht gewährleistet und zusätzliche Verfahren zur Fixation sind indiziert.

Aktuell: In den 1950er-Jahren wurden zur Lösung dieses Problems bei vaginalem Zugangsweg zwei Vorschläge gemacht, die bis heute aktuell geblieben sind: die Fixierung des Scheidenendes (1) am Lig. sacrospinale (Vaginaefixatio sacrospinalis) und (2) am Lig. sacrouterinum (Kuldoplastik nach McCall).4 In Ermangelung von Head-to-Head-Vergleichen der beiden Verfahren bleibt es der Erfahrung einzelner Operierender über­lassen, welche Methode zum Einsatz kommt. Werden beide Operationen beherrscht, wird oftmals die Kuldoplastik bevorzugt, wenn gleichzeitig eine Hysterektomie durchgeführt wird, die Vaginaefixatio eher bei Vorliegen eines Scheidenblindsackprolapses.

Das Dogma, dass bei Prolaps der Gebärmutter eine Hysterektomie durchgeführt werden muss, hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Bei Wunsch nach Erhaltung des Uterus und unter der Voraussetzung, dass keine zusätzliche Indikation für eine Exstirpation vorliegt, können Prolapsoperationen auch ohne Hysterektomie durchgeführt werden. Eine Zeit lang wurde Anfang des 20. Jahrhunderts die Interpositionsoperation durchgeführt und von niemand Geringerem als Ernst Wertheim propagiert. Dabei wurde die Gebärmutter zwischen Blase und vorderer Scheidenwand eingenäht (interponiert), um einer Scheidenraffung zusätzlichen Halt zu geben. Heute wird bei Wunsch nach Gebärmuttererhaltung oft eine Vaginaefixatio sacrospinalis durchgeführt, wobei statt des Scheidenapex die Cervix uteri und das hintere Scheidengewölbe fixiert werden.

Die Idee, erschlafftes Beckenbindegewebe zu verstärken, bringt neben den bisher beschriebenen Behandlungsprinzipien – Raffung und Fixation – einen dritten Aspekt ins Spiel. Erste Erfahrungen mit Netzen aus Silberdraht sollen bereits auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgehen. Mit der Entwicklung von synthetischen Grundstoffen wie Nylon, Dacron, Polypropylen, Gore-Tex etc. ab den 1930er-Jahren stand dann eine ganze Palette an Materialien zu Verfügung. Von der autologen Fascia lata bis zu Xenografts wurden in weiterer Folge auch biologische Implantate zur Korrektur des Prolaps eingesetzt.5 Mit der Entwicklung der abdominalen Sakrokolpopexie ab 1957, der ersten nichtvaginalen Prolapsoperation, etablierte sich in der Folge ein sehr breites, um nicht zu sagen unüberschaubares Angebot an verschiedenen operativen Verfahren.6 Als bisher am besten geeignetes Material hat sich grobporiges, monofiles Polypropylen-Mesh gezeigt (Abb. 2).
Durch den Erfolg mit synthetischen Schlingenoperationen bei der weiblichen Stressharninkontinenz beflügelt, trieb die Medizinprodukteindustrie ab Ende der 1990er-Jahre die Produktion von Fertig-Kits voran, die zur Implantation synthetischer Netze beim BOP auf vaginalem Weg vorgesehen waren. Durch ein perfektes Vertriebs- und Marketingsystem wurde nun erstmals eine größere Zahl an Patientinnen mit Implantaten versorgt.

 

 

Mittlerweile erscheinen immer mehr randomisierte Studien, die folgendes Bild verfestigen7: Gegenüber herkömmlichen Prolapsoperationen erzielen Mesh-Operationen (1) signifikant bessere objektive Ergebnisse (gemessen mit der Quantifizierungmethode der ICS), aber (2) gleiche subjektive Ergebnisse. Weiters ist (3) eine höhere Komplikationsrate bei vaginalen Mesh-Operationen im Vergleich mit herkömmlichen Prolapsoperationen und der abdominalen Sakrokolpopexie zu verzeichnen. In vielen Zentren werden aufgrund dieser Ergebnisse Mesh-Operationen erst beim Rezidivprolaps eingesetzt.

 

Take Home Message

Mindestens 3 % aller Frauen sind von symptomatischen Formen eines Beckenorganprolaps betroffen.
Die Palette von Beschwerden reicht vom leichten Senkungsgefühl bis zu massiven Harn- und Stuhlentleerungsstörungen, vaginalen Ulzerationen und Inkontinenz.
Die therapeutische Versorgung orientiert sich an der Beeinträchtigung der Lebensqualität und am Behandlungswunsch.
Es stehen grundsätzlich operative und nichtoperative Behandlungsstrategien zur Verfügung, wobei Letztere VOR einem eventuellen chirurgischen Eingriff zum Einsatz kommen sollen.

1 Nygaard I et al., JAMA. 2008; 300(11):1311–6.

2 Hagen S, Stark D, Cochrane Database Syst Rev 2011 Dec 7; 12:CD003882.

3 Adams E et al., Cochrane Database Syst Rev 2004; (2):CD004010.

4 McCall ML, Obstet Gynecol. 1957; 10(6):595–602.

5 Birch C, Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol 2005; 19:979–991.

6 Arthur HGE, Savage D, J Obstet Gynaecol Br Emp 1957; 64:355–360.

7 Maher C et al., Cochrane Database Syst Rev 2010; (4):CD004014.