Natursubstanzen: Einsatz in der Klinik

Während der Einsatz von Vitaminen und Spurenelementen seit Jahren boomt, sich zunehmend aber auch warnende Stimmen zu Wort melden, dass ein Zuviel ebenso wie ein Mangel schädlich sein können, beginnt die Diskussion über die sekundären Pflanzenstoffe. Einer der Gründe, warum nach vielen epidemiologischen Untersuchungen Obst, Gemüse und Salate gesund sind, die Einzelgabe von Vitaminen oder Vitaminkombinationen jedoch keinen Vorteil bringt, dürfte in den in Obst und Gemüse enthaltenen sekundären Pflanzenstoffen liegen. Davon gibt es wahrscheinlich hunderte, wenn nicht gar tausende, die eine biologische Bedeutung haben. Publikationen zu in vitro nachweisbaren, die Proliferation von Tumorzellen hemmenden und die Apoptose auslösenden Wirkmechanismen nehmen inflationär zu, Daten zur klinischen Anwendung sind jedoch weiterhin rar.

Auf der Schwelle zum wissenschaftlich geprüften Einsatz

Der Einsatz dieser sekundären Pflanzenstoffe steht jedoch auf der Schwelle zu einem wissenschaftlich geprüften Einsatz in der Onkologie und ist damit nicht mehr der alternativen Medizin, sondern der komplementären Medizin zuzurechnen. Dieser Unterschied ist essenziell, da alternative Medizin von anderen Krankheits- und damit auch Therapiekonzepten ausgeht als die wissenschaftliche Medizin und sich der wissenschaftlichen Überprüfung in Form von präklinischen und klinischen Untersuchungen nicht stellt. Sekundäre Pflanzenstoffe stellen eine substanzielle Perspektive dar, so konnte für einige nicht nur ein umfassender Einfluss auf Zielmoleküle in Tumorzellen gezeigt werden, sondern auch Synergismen mit Chemo- und Strahlentherapien oder modernen zielgerichteten Molekülen. Vorteil ist, dass die Verträglichkeit in der Regel gut ist. Das Problem im Einsatz der sekundären Pflanzenstoffe ist die in der Regel geringe Bioverfügbarkeit. Die Zufuhr auf oralem Wege führt häufig nicht zu den nach In-vitro-Studien erforderlichen Spiegeln. Ein Weg aus diesem Dilemma ist, die bekannten Moleküle entweder biochemisch oder pharmakologisch so zu verändern, dass die Resorption erhöht wird und gleichzeitig die Tumorspezifität möglichst verbessert wird. Es wird für jede Neuentwicklung aber gezeigt werden müssen, ob diese Moleküle dann weiterhin nur wenige Nebenwirkungen aufweisen.

Beispiel Curcumin

Phase-I-Studien, die ansteigende Dosierungen einsetzen, wurden bisher nur für wenige sekundäre Pflanzenstoffe durchgeführt. Ein Beispiel ist Curcumin, bei dem mittlerweile eine Dosis von ca. 8 g/Tag oral, auch in klinischen Phase-II- und -III-Studien erprobt wird. Zu Curcumin wissen wir, dass es in vitro die Wirksamkeit von Chemotherapeutika auf Tumorzellen verstärken kann, allerdings zeigen einige der In-vitro-Experimente auch gegenteilige Effekte. Der hauptsächliche Wirkmechanismus scheint in einer Hemmung des P-Glykoproteins zu liegen, einem Molekül, das für die Resistenz von Tumorzellen verantwortlich ist. In einer Dosisfindungsstudie wurde eine Kombination aus Curcumin und Docetaxel bei 14 Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom erprobt. Aus dieser Studie wurde die maximal tolerable Dosis bei 8.000 mg/Tag festgelegt.1
Zwei Phase-II-Studien untersuchten die Wirkung von Curcumin bei Patienten mit Pankreaskarzinom. In der einen Studie wurden Patienten mit fortgeschrittenem Pankreaskarzinom mit Curcumin alleine behandelt, von 25 Patienten hatte einer einen stabilen Verlauf über 18 Monate.2
In einer zweiten Studie wurde bei Gemcitabin-refraktären Patienten die Kombination aus Gemcitabin und Curcumin eingesetzt.3 Auch hier gibt es einzelne Patienten mit einem längeren stabilen Verlauf. Ohne Vergleichsgruppe kann jedoch keine Aussage darüber getroffen werden, ob dies ein dem Curcumin eigener Effekt gewesen ist. Curcumin wird derzeit in Phase-III-Studien untersucht.
Bis diese Daten vorliegen, sollte wegen der möglichen, auch negativen Interaktion Curcumin nicht eingesetzt werden.

Beispiel Epigallocatechingallat aus grünem Tee

Ein weiteres interessantes Molekül ist EGCG (Epigallocatechingallat) aus grünem Tee. Auch hierzu gibt es eine Reihe von In-vitro- und In-vivo-Daten, die die antitumorale Wirkung zeigen. In einer ersten Studie erhielten Patienten mit hormonrefraktärem Prostatakarzinom und asymptomatischem PSA-Anstieg unter Fortsetzung von LHRH auch EGCG. Bei einem Patienten kam es zu einer Abnahme des PSA-Wertes. Diese Studie zeigt aber auch deutlich, dass höher dosierte natürliche Substanzen nicht nebenwirkungsfrei sind. Berichtete Toxizitäten sind Übelkeit, Erbrechen, Schlaflosigkeit, Diarrhö und Verwirrung.4
Bei Patientinnen nach Mammakarzinom konnte in einer Metaanalyse aus epidemiologischen Daten gezeigt werden, dass der Genuss von grünem Tee die Rezidivrate senkt.5 Ein möglicher Wirkmechanismus der Catechine aus Tee wurde in einer Studie bei Patientinnen mit Mammakarzinom und Übergewicht gezeigt. Hier zeigten sich eine Reduktion der Energieaufnahme, eine Gewichtsabnahme und eine Verbesserung der Glukosehomöostase.6

Beispiel Granatapfel

Anders als die Einzelsubstanzen stellen meist aus der Erfahrungsheilkunde ­stammende Phytotherapeutika komplexe Substanzgemische dar, für die allerdings häufig schon (wenn auch nicht aus der Onkologie) Daten zu ihrer Wirkung und zu ihrem Indikationsspektrum bestehen. Einige der Indikationen kommen auch in der Onkologie vor, insbesondere in der supportiven Therapie. Mögliche Indika­tionen sind: Übelkeit und Erbrechen, Angst und Unruhe, Hitzewallungen, Schlafstörungen, Depressionen und Fatigue. Bekannte Heilpflanzen sind: Ginkgo, Ginseng, Rhodiola, Ingwer, Traubensilberkerze und Johanniskraut.
Eine interessante – auch schon in Studien geprüfte – Substanz mit möglicher antitumoraler Wirkung ist Granatapfel. In einer ersten Phase-II-Studie erhielten Patienten mit ansteigendem PSA-Wert nach primär kurativer Therapie ohne nachweisbares Korrelat in der Bildgebung Granatapfelextrakt. Hier stieg die PSA-Verdopplungszeit signifikant an.7
Auf dem letzten ASCO wurde eine Doppelblindstudie vorgestellt, bei der in gleicher Situation 104 Patienten mit Prostatakarzinom Granatapfelextrakt erhielten. Auch hier konnte eine signifikante Verlängerung der PSA-Verdopplungszeit von 11,9 auf 18,5 Monate nachgewiesen werden.8

Vorsicht vor Heilkräutermischungen

Heilkräutermischungen sind ein typisches Element der traditionellen Heilkunde, aktuell erfreuen sich chinesische und ayurvedische Mischungen einer hohen Beliebtheit. Vor der Anwendung dieser Therapien ist allerdings zu warnen. Vielfach ist bei den Mischungen nicht erkenntlich, welche Substanzen darin enthalten sind. Eine wissenschaftlich fundierte Beurteilung der Mischungen ist kaum oder gar nicht möglich. Obwohl zwei Cochrane-Reviews mit einer positiven Beurteilung der TCM-Kräutermischungen vorliegen, sind diese Bewertungen mit Vorsicht zu genießen, da erst später bekannt wurde, dass die methodische Qualität chinesischer Studien in Zweifel zu ziehen ist. Dass nicht ohne Weiteres von einem positiven Einfluss auszugehen ist, zeigt eine Publikation aus dem vergangenen Jahr, bei der Patientinnen mit Ovarialkarzinom TCM-Kräutermischungen erhielten. Primärer Endpunkt war die Lebensqualität. Zwar wurden weniger Neutropenien berichtet, jedoch waren andere Faktoren wie emotionale und kognitive Funktionen, Übelkeit und Erbrechen sogar schlechter als in der Placebogruppe. Auch im Hinblick auf Interaktionen sind chinesische Kräutermischungen nicht beurteilbar. Daten liegen nicht vor.

Es braucht weitere Aufklärung

Interaktionen können insbesondere in der Onkologie zu einer Gefährdung für den Patienten werden, wenn sie die Wirkung einer antitumoralen Therapie abschwächen. Johanniskraut ist das Beispiel par excellence für die Gefahr einer durchaus wirksamen Phytotherapie. Deshalb stellen die im Grunde meistens gut verträglichen Phytotherapeutika einen möglichen Beitrag im Sinne einer komplementären Medizin dar, müssen aber dringlich sowohl auf ihre Wirkung bei Tumorpatienten als auch auf ihre Interaktionen überprüft werden.
Wenn die Fragen der Pharmakokinetik, Bioverfügbarkeit, Wirkungen, Neben- und Wechselwirkungen geklärt werden, können pflanzliche Substanzen eine substantielle Perspektive in der Onkologie darstellen, da sie in der Regel ein geringes Nebenwirkungspotenzial und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen. Ob sie wirklich eine Perspektive darstellen, wird Molekül für Molekül getestet werden müssen.

 

Take Home Message

Der Einsatz der sekundären Pflanzenstoffe steht auf der Schwelle zu einem wissenschaftlich geprüften Einsatz in der Onkologie und ist somit nicht mehr der alternativen Medizin, sondern der komplementären Medizin zuzurechnen.
Für einige sekundäre Pflanzenstoffe konnte nicht nur ein umfassender Einfluss auf Zielmoleküle in Tumorzellen, sondern auch Synergismen mit Chemo- und Strahlentherapien oder modernen zielgerichteten Molekülen gezeigt werden.
Das Problem im Einsatz der sekundären Pflanzenstoffe ist die in der Regel geringe Bioverfügbarkeit. Die Zufuhr auf oralem Wege führt häufig nicht zu den nach In-vitro-Studien erforderlichen Spiegeln.
Curcumin, Epigallocatechingallat und Granatapfel gelten als potenzielle Studien-Kandidaten.
Phytotherapeutika müssen dringend auf ihre Wirkung bei Tumorpatienten und auf ihre Interaktionen überprüft werden.

1 Bayet-Robert M et al., Cancer Biol Ther 2010:8–14
2 Dhillon N et al., Clin Cancer Res 2008; 14(14):4491–9
3 Epelbaum R et al., J Clin Oncol 2008; (26)15 S. suppl; #15619
4 Jatoi A et al., Cancer 2003; 97(6):1442–1446
5 Ogunleye A et al., Breast Cancer Res.Treat 2010; 119 (2):477–84
6 Stendell-Hollis et al., J Hum Nutr Diet, 2010; 23(6):590–600
7 Pantuck AJ et al., Clin Cancer Res 2006; 12(13):4018–26
8 Paller CJ et al., ASCO 2011; #4522