Salvage-Prostatektomie – eine zu selten beachtete Therapie?

Die kurative Strahlentherapie des organbeschränkten Prostatakarzinoms (PCa) ist eine First-Line-Therapie, jedoch mit einer hohen biochemischen Rezidivrate (BCR) assoziiert, insbesondere im Langzeit-Follow-up > 5 Jahre1. Zwar konnte diese Rate durch verbesserte Strahlungsplanung und Technik verbessert werden, sie liegt aber weiterhin je nach Therapieform zwischen 5–60 %1, 2. Andere alternative Therapieformen wie die Kryotherapie oder die als noch experimentell eingestufte fokussierte Ultraschall-Ablation (HIFU) haben sogar noch höhere Rezidivraten3, jedoch bei vergleichsweise geringerer Morbidität. Beim lokalen PCa-Rezidiv nach kurativer, nicht radikalchirurgischer Intention stehen wiederum neben einer systemischen Androgendepriviations-Therapie (ADT) lokale Verfahren wie die interstitielle Strahlentherapie, die Kryotherapie oder die als noch experimentell einzustufende fokussierte Ultraschall-Ablation (HIFU) zur Verfügung.
Deren oben erwähnter hohen biochemischen Rezidivrate folgt meist innerhalb von 3 Jahren ein klinischer Progress und etwa 70 %1, 2 der Patienten erleiden durch die lokale Progression eine erhebliche Morbidität, z. B. durch obstruktive Miktion, unstillbare Makrohämaturie, Rektuminfiltration und Fistelbildungen. Dies führte zu einer Rückbesinnung zur radikalen Salvage-Prostatektomie (SP). Diese Technik gilt zwar als technisch aufwändige Operation, die eine entsprechende Erfahrung der Operateurs voraussetzt, dennoch zeigen neueste Daten eine Überlegenheit in der Tumorkontrolle mit 54–89 % auch im Langzeitverlauf > 10 Jahre, dies bei einer gleichzeitig akzeptablen Morbidität der SP. Nach­folgend sollen einige Prinzipien der SP dargstellt werden.

Präoperative Evaluation: Bei einem zumindest dreimal konsekutiv gemessenen PSA-Anstieg von > 2,0 ng/ml über dem nach Strahlentherapie erreichten Nadir ist von einem Rezidiv auszugehen4, jedoch muss eine Latenzzeit von 24 + 6 Monate bis zur endgültigen Beurteilbarkeit einer positiven Biopsie eingerechnet werden2. Wenngleich das PSA nicht mit dem lokalen Status oder der Lymphausbreitung korreliert, so ist doch bei einem PSA > 10 ng/ml ein ungünstiger biochemischer Verlauf mit 47 vs. 70 % Rezidivfreiheit anzunehmen2. Der bioptische Nachweis eines Lokalrezidivs ist für die Indikationsstellung zur SP entscheidend. Häufig finden sich in der Biopsie dann ein höherer Gleason-Score, ein größeres Karzinomvolumen und eine häufigere Organüberschreitung im radiologischen Staging als im primären PCa. Dafür ist im Besonderen das endorektale 3-Tesla-MRI des kleinen Beckens zur Beurteilung einer Organüberschreitung und zum Lymphknotenstaging geeignet3. Die Wertigkeit des 11C-Cholin-PET/CT zur Beurteilung der Lokalsituation ist umstritten, insbesondere die Vorhersage von Lymphknotenmetastasen ist mit 32 % gering1, 5. Bei negativem Biopsiebefund kann diese Methode jedoch mit einer 90%igen Korrelation zu PCa-Foci hilfreich sein1. Ein metastatisches Geschehen muss durch einen Ganzkörper-Knochenscan, eine CT des Abdomens oder im Einzelfall durch ein 11C-Cholin-PET/CT ausgeschlossen werden1, 2, 5.
Neben der Beurteilung der onkologischen Variablen erscheint neben einer sorgfältigen klinisch-rektalen Untersuchung zur Beurteilung der stahleninduzierten Bewegungseinschränkung durch Umgebungsinfiltration (ggf. rektale Infil­tration!) eine Urethrozystoskopie als besonders empfehlenswert. Insbesondere nach Strahlentherapie ist eine genaue Evaluation der Funktion des unteren Harntraktes von besonderer Bedeutung. Ausgeprägte strahlensassoziierte Veränderungen unter besonderer Berücksichtigung der Sphinkterregion, das Vorliegen einer ausgeprägten Strahlenzystitis oder massive Funktionseinschränkungen der Blase (im Einzelfall urodynamische Evaluation nötig) schließen eine SP weitgehend aus.

Operative Technik: Bei der SP werden die üblichen Prinzipien der radikalchirurgischen Therapie im gleichen Maße befolgt. Neben der retropubischen offenen radikalen Prostatektomie5–10 haben sich auch laparoskopische oder roboterassistierte Verfahren bewährt, Letztere aber nur in Händen von Experten in High-Volume-Zentren3, 11, 12. Da es sich dabei praktisch immer um ein „High risk“-PCa handelt, sollte – wenn möglich – eine extensive Lymphadenektomie angestrebt werden3, 13. Das Hauptproblem der SP ist die radiogen induzierte Vernarbung. Diese kann sehr variabel sein, nach Seed-Implantation ist diese zumeist ausgeprägter2. Bei massivem Befund können sämtliche Sichten obliteriert sein, insbesondere die Präparation der Apex- und der Blasenhalsregion kann dabei besonders erschwert sein. Mit der Erhöhung der applizierten Strahlenmengen ist in Zukunft trotz verfeinerter Strahlenapplikation mit einer Zunahme der vorzufindenden Strahlenfibrose zu rechen1, 2, 13. Aus eigener Erfahrung scheint nach HIFU-Therapie insbesondere die Apexregion weniger stark betroffen zu sein, die Ursache dürfte eine häufige „Aussparung“ dieser Region sein.

Komplikationen: Durch eine bessere Patientenselektion, aber auch durch zunehmende operative Erfahrung lassen sich viele der genannten Komplikationen deutlich minimieren. Zweifellos trägt aber auch eine bessere Qualität der Bestrahlungstherapie zu einer niedrigeren Komplikationsrate bei. Die meisten ­Komplikationen sind daher Clavien < 2, Clavien-Grad 3–5 schwanken zwischen 0 und 25 %3, 9.
Rektumläsionen waren in früheren Serien mit 6–19 % beschrieben1–4, 10, aktuelle Daten aus Zentren lassen jedoch heutzutage eine Rate von 2–3 %1–3, 7–10 als realistisch erscheinen und liegen somit nur noch gering über den Werten einer primären RPE. Jedoch muss durch die radiogene Vorschädigung der Rektumwand oft schon bei kleineren Läsionen eine Schutzkolostomie angelegt werden2, 3, 9, 10.
Ein sehr häufiges Problem stellt die Anastomosenstriktur mit einer Rate von 7 bis 41 % dar1, 10. Dies ist nicht nur ungleich höher als bei der primären RPE, auch in neueren Serien konnte keine signifikante Abnahme dokumentiert werden1, 10.

Funktionelle Ergebnisse: Die Inzidenz der völligen Kontinenz („no pads, no drop“) wird mit 21–90 %3, 9 angegeben. Verallgemeinernd muss somit angenommen werden, dass nur etwa 50 % eine völlige Kontinenz nach SP erreichen, 20–30 % sind mit 1 Vorlage zumindest „socially dry“. Erste Erfahrungen zeigen, dass nach einer Brachytherapie1 oder auch einer HIFU (eigene Erfahrungen) möglicherweise deutlich bessere Kontinenzraten erreichbar sind. Insbesondere das zunehmende Altern der Patienten ist ein signifikanter Risikofaktor, sodass bei älteren Patienten nach externer Bestrahlung die Indikation deutlich enger gestellt werden muss1, 7, 13, 14. Allgemein ist die Rate einer Inkontinenzoperation (artifizieller Sphinkter) nach SP deutlich höher als bei der primären RPE. Aus eigener Erfahrung sind eine SP und Z. n. externer Bestrahlung keinesfalls eine Kontraindikation zur Sphinkterimplantation (AMS 800TM, FlowSecureTM), die postoperativen Ergebnisse sind v. a. in ­Abhängigkeit zur Blasenfunktion ähnlich gut wie bei anderen Indikationsstel­lungen.
50–91 %3, 9 der Patienten haben schon vor der SP eine massive erektile Dysfunktion, nach SP sind es 80–100 %1–3, 5–10. Daher ist die Potenzschonung bei der SP meist schon initial nicht mehr möglich, durch die oft fehlenden Schichten ist eine nervenschonende Operationstechnik oft unmöglich.

Tumorkontrolle: Diese ist wesentlich vom präoperativen Staging abhängig und wird entscheidend von der Patientenselektion beeinflusst. Es ist – vereinfacht gesagt – zu erwarten, dass die Tumorkontrolle bei Patienten mit Low-Risk-PCa nach Low-Dose-Brachytherapie, HIFU oder Kryotherapie besser ist. In Idealfällen können R0-Resektionen auf 3 % gesenkt werden1. Deutlich schlechter schneiden Patienten mit High-Risk-PCa nach externer Strahlentherapie ab. Die Rate der positiven Resektionsränder beträgt in neueren Serien 0–36 %1–3, 8–10 und die Rate eines organbeschränkten Tumors lag bei 44–73 %1–3, 8–10. Dennoch lagen das karzinomspezifische Überleben und die allgemeine Überlebensrate bei SP nach externer Radiatio in neueren Serien jeweils bei 0–83 % und 28–53 % nach 10 Jahren.
Daten, die einen Unterschied in der Effektivität in der Gesamtgruppe von PCa-Patienten zwischen einzelnen Bestrahlungstechniken (3-D-konformale RTx, intensitätsmodulierte RTx), Brachytherapie, Kryo- oder HIFU-Ablation evaluieren, fehlen3, 8, 9. Dennoch lassen sich – gleich wie bei der primären RPE – ungünstige Prognosefaktoren finden: nicht organbeschränkte Tumorstadien ≥ pT3, Gleason-Score ≥ 8 (ggf. jeder Gleason 4?), positive Resektionsränder, Samenblasen- und Lymphknoteninfiltration.

 

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