Zwischen Nutzen und Risiko – das Prostatakrebs-Screening

25. Kongress der European Association of Urology, 16.-20. 4. 2010, Barcelona

Die moderne Onkologie geht in Richtung Prävention von malignen Tumoren. Leider sind die bislang versuchten Strategien beim Prostatakarzinom nicht zielführend gewesen. Urologen sind daher nach wie vor verpflichtet, Patienten ein Verfahren anzubieten, das einen malignen Tumor frühmöglich erkennen lässt. Nur dadurch ist eine definitive Heilung in hohem Maße möglich. Beim PCa ist die Prognose im frühen Stadium nur schwer einzuschätzen. Screening erkennt aber mittels PSA und Biopsie überwiegend Tumoren im niedrigen Risikobereich. Die Folge könnte eine Überbehandlung von solchen Tumoren sein, die eine verzögerte oder gar keine Therapie benötigen würden.

Darauf aufbauend haben sich weltweit Experten mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Früherkennung bestimmter Tumoren mittels Screening verbessert werden kann. Im Falle des PCa hat diese Frage durch die Einführung des prostataspezifischen Antigens (PSA) enorm an Bedeutung gewonnen, da bis dahin kein Tumormarker mit ausreichender Spezifität für die Früherkennung das Prostatakarzinom zur Verfügung stand. Die Begriffe Screening, Früherkennung und Vorsorge werden in der Literatur häufig alternativ verwendet.
Dies ist nicht zulässig und bedarf einer genauen Begriffsbestimmung.

Screening

Unter Screening versteht man die Erfassung einer präklinischen (symptomlosen) Erkrankung mit effizienten Methoden, welche dem Untersuchten nur minimale Morbidität verursachen und zudem kostengünstig sind. Die daraus resultierenden Daten müssen konsekutiv zu einer Verbesserung der Behandlung und Mortalität der Erkrankung führen.
Die Person, die einem Screening unterzogen wird, nimmt in der Regel nach dem Zufallsprinzip ausgewählt oder nach strengen Einschlusskriterien in Screeningstudien teil. Die Initiative dazu geht vom Untersucher aus. Die WHO hat grundlegende Kriterien für ein Screening festgelegt (Tab.).

 

Tab.: Screening-Kriterien (WHO)

Kriterium

Beurteilung

Relevantes gesundheitspolitisches Problem

 +

Ausreichend langes Frühstadium

 +

Tests müssen tolerabel sein

 +

Anerkannte effiziente Therapieverfahren

 +/-

Ausreichende Ressourcen

 +/-

Geeignete Tests (hohe Sensitivität und Spezifität)

 +/-

Screening muss kontinuierlich durchgeführt werden

 +/-

Natürlicher Krankheitsverlauf muss bekannt sein

 –

Risikofaktoren der Früherkrankung definiert?

 –

Kosten für Screening gesundheitspolitisch vertretbar?

 –

+ = ja; – = nein; +/- = undefiniert

Miller AB et al., Int J Cancer 1990; 46:76 -69

Vorsorge

Vorsorge hingegen heißt, dass die betreffende Person auf Eigeninitiative hin den Urologen aufsucht und eine Gesundenuntersuchung vornehmen lässt. Daraus ergibt sich konsequenterweise die Früherkennung einer klinisch bislang nicht auffallenden Erkrankung, im Falle des PCa durch einen suspekten rektalen Tastbefund und/oder einen erhöhten PSA-Wert. Sinnvollerweise wird diese Vorsorge in der Risikogruppe zwischen dem 45-50. und 75. Lebensjahr durchgeführt.
Aus der natürlichen Verlaufsgeschichte des PCa ist bekannt, dass es sich um einen relativ langsam wachsenden Tumor handelt, der mit zunehmendem Alter in hohem Maße latent (d.h. unentdeckt und damit asymptomatisch) vorkommt. Nur ein geringer Anteil der Patienten kommt daher – verglichen mit der hohen Prävalenz latenter Tumoren – mit der Erkrankung tatsächlich zu Lebzeiten in Konflikt. Das konsequente Screening in den letzten 10 Jahren hat demzufolge zu einem sprunghaften Anstieg der Inzidenz des PCa geführt. Gegner des Screenings führen immer als Argument ins Treffen, dass Screening in hohem Maße zu einer vermehrten Erfassung so genannter klinisch nicht bedeutender Karzinome führe, d.h. dass Karzinome entdeckt und behandelt werden, die dem Patienten aber möglicherweise niemals Beschwerden verursacht oder gar das Leben verkürzt hätten (sog. “Lead Time Bias”). Dazu kommt der sog. “Length Time Bias”, der bedeutet, dass durch regelmäßiges Screening häufiger langsam wachsende Tumoren entdeckt, aggressiv wachsende Tumoren hingegen im Screeningintervall relativ später entdeckt werden.
Seit November 1996 ist aus Analysen des National Cancer Instituts bekannt, dass erstmals die Mortalitätskurve des PCa trotz bis dahin zunehmender Inzidenz abfällt (-6,3% insgesamt, für Männer 50% auf < 15% abgesunken. Zwei prospektiv randomisierte Studien sind rezent publiziert worden (ERSPC, PLCO). Die Ergebnisse hinsichtlich der Mortalität sind diskrepant. In der ERSPC-Studie konnte eine deutliche Reduktion der Mortalität nachgewiesen werden, in der PLCO hingegen nicht (Abb.).

Kostenfrage und Aufklärung

Es bleibt zuletzt die Frage der gesundheitspolitischen Relevanz unbeantwortet.
Regelmäßiges so genanntes longitudinales Screening (beim Prostatakarzinom sinnvollerweise im Abstand von einem Jahr) verursacht für das Gesundheitssystem erhebliche Kosten, will man weiterhin ein für den jeden Staatsbürger im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung finanzierbares Gesundheitssystem zu Verfügung stellen. Stellt man dem die Kosten gegenüber, die ein einziger Patient mit einem zu spät erkannten Prostatakarzinom bis zu seinem Tod verursacht, in den Vergleich mit den Kosten eines gezielten risikoadaptierten Screenings mit der Erkennung einer hohen Zahl heilbarer Tumoren, so stellt sich die Kostenfrage in einem ganz anderen Licht dar. Exakte Zahlen dazu liegen weder in Österreich noch in einem anderen Land vor. Gegenwärtig kann ein Prostatakarzinom-Screening nicht empfohlen werden. Sehr wohl ist es aber geraten, Männer über die Möglichkeiten einer gezielten und informativ hochwertigen Aufklärung breit in der Bevölkerung zu informieren. Gezielte Krebsvorsorge auf Wunsch des einzelnen Mannes ist sinnvoll und sollte auch von der Politik entsprechend unterstützt werden. Dass eine PSA-Bestimmung im Falle eines erhöhten Wertes eine diagnostische und eventuell therapeutische Konsequenz haben kann, ist den Männern aber vorab zu erklären.

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Höltl
Abteilung für Urologie, Kaiser-Franz-Josef-Spital

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