Guidelines zur HbA1c-Einstellung

In einer im August 2013 publizierten Guideline nimmt die ESC gemeinsam mit der EASD zu wesentlichen Punkten hinsichtlich der Interaktionen zwischen Diabetes mellitus und kardiovaskulären Erkrankungen Stellung.
Basierend auf den Resultaten großer Studien der letzten Jahre ist die Effektivität der intensivierten Blutzuckertherapie zur Reduktion makrovaskulärer Komplikationen derzeit umstritten, wobei hingegen die Assoziation zwischen der Hyperglykämie und dem gesteigerten kardiovaskulären Risiko belegt ist.
Basierend auf diesen Erkenntnissen und der Tatsache, dass die frühzeitige Progredienz der Atherosklerose bereits einige Jahre vor der Diagnosestellung des Diabetes mellitus erfolgt, ist eine multifaktorielle Intervention zur Reduktion der kardiovaskulären Spätkomplikationen essenziell.

Keine kardiovaskuläre Risikoreduktion …

In der ACCORD-Studie wurden etwa 10.000 an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankte Patienten mit einem mittleren Alter von 62 Jahren und Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse entweder intensiviert (Ziel-HbA1c < 6,0 %) oder normal (Ziel-HbA1c 7,0–9,0 %) behandelt. Bereits nach 3,5 Jahren musste die Studie aufgrund einer signifikant höheren Gesamtmortalitätsrate im intensivierten Therapiearm abgebrochen werden. Zum Zeitpunkt des Abbruchs konnte kein Unterschied hinsichtlich kardiovaskulärer Mortalität nachgewiesen werden.
In der ADVANCE-Studie wurde in der intensivierten Therapiegruppe versucht, mit Gliclazid HbA1c-Zielwerte von ≤ 6,5 % zu erreichen. Im Gesamtkollektiv von 11.000 Patienten konnte nach 5 Jahren Laufzeit kein Unterschied zwischen makrovaskulären Ereignissen und Gesamtmortalität nachgewiesen werden. Es kam jedoch zu einer geringeren Inzidenz von mikrovaskulären Ereignissen und diabetischer Nephropathie.
Die Daten der VADT-Studie lassen ähnliche Schlüsse ziehen. Insgesamt wurden 1.791 Veteranen mit einer mittleren Diabetesdauer von 11,5 Jahren in eine intensivierte und in eine Standardgruppe aufgeteilt. Abermals konnte kein Benefit in der intensivierten Therapiegruppe nachgewiesen werden.

Aufgrund dieser Ergebnisse zeigt sich vorerst, dass nach langer Diabetesdauer eine intensivierte Therapie des Glukosestoffwechsels möglicherweise keine Vorteile bringt.

… versus belegter Benefit

In der UKPDS-Studie wurde über eine Beobachtungszeit von 10 Jahren eine intensivierte Therapie (entweder mit Insulin oder einem Sulfonylharnstoff) mit einer konventionellen Therapie verglichen. Am Ende der Studie zeigte sich eine signifikante Reduktion mikrovaskulärer Komplikationen, allerdings eine nichtsignifikante, jedoch reduzierte Inzidenz von makrovaskulären Ereignissen. In einer Subgruppe bestehend aus 753 übergewichtigen Patienten, welche mit Metformin behandelt wurden, kam es zu einem deutlich reduzierten Auftreten von Myokardinfarkt und Mortalität. Anschließend wurden alle Patienten weitere 8,5 Jahre nachbeobachtet. In diesem Setting konnten im intensivierten Therapiearm eine 15%ige Reduktion von Myokardinfarkt und eine 13%ige Mortalitätsreduktion erzielt werden.

Interessant ist, dass nach den ersten 10 Jahren die intensivierte Therapie nicht fortgesetzt wurde und sich die HbA1c-Werte der beiden Gruppen einander anglichen. Trotz allem konnte in der ehemals intensivierten Therapie­gruppe ein kardiovaskulärer Benefit darge­stellt werden. In der Metformin-Subgruppe wurden das Myokardinfarktrisiko sogar um 33 % und das Insultrisiko um 27 % reduziert.
Eine Metaanalyse aus den Daten von UKPDS, ProACTIVE, ACCORD, VADT und ADVANCE von Ray und Kollegen belegt die positiven Effekte einer intensivierten antihyperglykämischen Therapie auf kardiovaskuläre Endpunkte. Innerhalb einer Therapiedauer von 5 Jahren wurde das HbA1c um 0,9 % gesenkt. Durch diese Maßnahme konnte das Risiko, einen nichtfatalen Myokardinfarkt zu erleiden, um 17 % und das Auftreten eines kardialen Ereignisses um 15 % signifikant reduziert werden. Hinsichtlich der Gesamtmortalität konnten allerdings keine positiven Effekte nachgewiesen werden.

Kardiovaskuläre Hochrisikopatienten

In der 2012 publizierten ORIGIN-Studie wurden 12.537 Patienten (mittleres Alter 63,5 Jahre) mit hohem kardiovaskulärem Risiko und gestörter Nüchternglukose oder gestörter Glukosetoleranz oder rezent diagnostiziertem Diabetes mellitus Typ 2 untersucht. In der intensivierten Therapiegruppe erhielten die Patienten eine Basalinsulintherapie mittels Glargin (Nüchternblutzuckerziel < 95 mg/dl), während in der Kontrollgruppe die Patienten entsprechend den aktuell gültigen Leitlinien behandelt wurden. Nach einer mittleren Nachbeobachtungsdauer von 6,2 Jahren zeigte sich hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse kein signifikanter Unterschied, während in der Glargin-Gruppe eine mittlere Gewichtszunahme von 1,6 kg und eine signifikant höhere Hypoglykämierate registriert wurden.

Ist ein Patient an koronarer Herzkrankheit erkrankt, so ist den Daten der BARI-2D-Studie zu Folge kein Unterschied zwischen einer intensivierten medikamentösen Therapie und einer angiografischen Intervention festzustellen. Den Patienten einer Bypassoperation zu unterziehen war tendenziell der perkutanen Intervention überlegen. Dies spricht einerseits für den möglichen Nutzen einer intensivierten Therapie, stellt aber auch den Erfolg einer perkutanen Intervention bei an Diabetes mellitus erkrankten Patienten mit koronarer Herzkrankheit in Frage.

Einfluss von Therapiekonzept und Diabetesdauer

Weiters wurden bei der BARI-2D-Studie verschiedene antidiabetische Therapiekonzepte verglichen. Die Verbesserung der Insulinsensitivität mittels Metformin + Glitazon brachte keinen Vorteil gegenüber einer Therapie mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin.
Entsprechend dem aktuellen Verständnis der Datenlage geht man davon aus, dass gerade Patienten mit einer kurzen Diabetesdauer und ohne kardiovaskuläre Komplikationen von einer intensivierten blutzuckersenkenden Therapie besonders profitieren.
Fortführend konnte dies auch in Studien mit einer besonders langen Nachbeobachtungszeit demonstriert werden. Bei an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankten Patienten zeigte sich im Rahmen der DCCT-EDIC-Studie während einer Nachbeobachtungszeit von 17 Jahren eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos um 42 %. Korrespondierend zu diesen Ergebnissen zeigte auch UKPDS eine 15%ige Risikoreduktion für makrovaskuläre Ereignisse bei an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankten Patienten.

Empfehlungen der neuen Guidelines

Analog zu dem Konsensus von EASD und ADA empfehlen die Autoren des ESC/EASD-Konsensus eine individuelle Festlegung des HbA1c-Zieles. Als optimal für die Reduktion mikro- als auch makrovaskulärer Komplikationen wird ein Ziel unter 7 % empfohlen. Korrespondierend dazu sollten die Nüchternglukose < 120 mg/dl und die postprandiale Glukose < 160 bis 180 mg/dl betragen. Bei weiterer Therapieintensivierung sollte besonderes Augenmerk auf die postprandiale Glukose gelegt werden, wobei derzeit nicht geklärt ist, wie effektiv sich eine gezielte Senkung der postprandialen Glukose auf makrovaskuläre Spätkomplikationen auswirkt.

Bei speziell ausgewählten Patienten mit kurzer Diabetesdauer, langer Lebenserwartung und keinen relevanten Spätkomplikationen sollten sogar noch striktere Zielwerte (HbA1c 6,0 bis 6,5 %) in Erwägung gezogen werden. Umgekehrt sollte bei älteren Patienten mit zahlreichen Komorbiditäten, welche bereits eine hohe Prävalenz atherosklerotischer Erkrankungen aufweisen, weniger strikte HbA1c-Zielwerte verfolgt werden. Falls durch einfache, möglichst risikoarme Interventionen keine zufriedenstellenden Blutzuckerwerte erreicht werden können, so gelten auch HbA1c-Werte von 7,5 bis 8,0 % als akzeptabel.

Fazit

Zusammenfassend steht in Analogie zu den EASD/ADA-Leitlinien bei der aktualisierten Version der ESC/EASD-Leitlinien die individuelle, maßgeschneiderte Therapie zur Vermeidung mikro- als auch makrovaskulärer Komplikationen ebenfalls im Vordergrund.