Kardiovaskuläre Erkrankungen bei Diabetes mellitus

Die kardiologische Perspektive wurde wie jedes Jahr von Univ.-Prof. Dr. Richard Pacher und Univ.-Doz. Dr. Martin Hülsmann vertreten. Pointierter Gastredner von Seiten der Diabetologie war Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching. Motto des Meetings war die „multi­faktorielle Intervention“. Was können Lebensstilmodifikation und die Kontrolle von Blutzucker, Blutdruck und Cholesterin (LDL) im Rahmen der kardiovaskulären Prävention bei Diabetikern erreichen? Zu diesem Thema wurden im letzten Jahr etliche Studien hochrangig publiziert und haben für Aufsehen gesorgt. Dabei lässt sich ein gewisses Missverhältnis erkennen. Einerseits gibt es jene Studien, die hochrangig publiziert wurden und für Aufsehen gesorgt haben, ohne dass sich wirkliche Konsequenzen ableiten lassen – womit keiner so richtig glücklich ist. Auf der anderen Seite gibt es Studien, die zwar ebenfalls hochrangig publiziert wurden, aber nicht jenes Echo hervorgerufen haben oder nur in Insiderkreisen, obwohl sich aus ihnen tatsächlich Konsequenzen ableiten lassen. Ersteres sind Studien mit DPP-4-Inhibitoren bei über 16.000 und über 5.000 Patienten, die von der FDA gefordert wurden und „neutral“ verlaufen sind. Zu Letzterem zählt die PONTIAC-Studie mit exakt 300 Patienten, die maßgeblich in Wien konzipiert und durchgeführt wurde und schließlich im Journal of the American College of Cardiology publiziert wurde1. Die Studie zählt für die Herausgeber des Journals zu den deklarierten Highlights des Jahres 2013. Im begleitenden Editorial von G. Michael Felker aus Durham (North Carolina) wird immerhin ein Vergleich mit Christoph Columbus hergestellt, im Sinne des neuen Wege, der in Wien mit der PONTIAC-Studie erfolgreich beschritten wurde2.

 

1 PONTIAC (NT-proBNP Selected PreventiOn of cardiac eveNts in a populaTion of dIabetic patients without A history of Cardiac disease) A Prospective Randomized Controlled Trial Martin Huelsmann et al., Journal of the American College of Cardiology 2013; 62:1365–72
2 Natriuretic Peptides and Primary Prevention: The New World? G Michael Felker, Tariq Ahmad, J Am Coll Cardiol. 2013; 62:1373–1375

 

 

Die Sicht des Diabetologen

Fasching hat den Blick aufs Ganze gerichtet und als globale Dimension festgehalten, dass 246 Millionen Menschen weltweit von Diabetes betroffen sind. Der österreichische Diabetesbericht 2013 des Bundesministeriums für Gesundheit gibt sich etwas regionaler und beziffert die Zahl der Österreicher, die an Diabetes mellitus leiden, mit 600.000 bis 800.000, was ebenfalls enorm ist. Bekannt ist, dass die Häufigkeit eines Myokardinfarkts bei Patienten mit Typ-2-Diabetes nach sieben Jahren etwa so hoch ist wie bei Nichtdiabetikern nach bereits stattgefundenem Myokardinfarkt.
Das Vorhandensein eines Diabetes macht Personen zu Hochrisikopatienten für kardiovaskuläre Erkrankungen. 66 % aller Diabetiker in Europa sterben an einer kardiovaskulären Erkrankung. Das KHK-Risiko beginnt früh, bereits im Stadium des Prädiabetes mit HbA1c-Werten zwischen 5,7–6,4 % (diagnostisches Diabetes-Kriterium, Amerikanische Diabetesgesellschaft 2011: HbA1c-Werte ≥ 6,5 %). Schließlich führt die Insulinresistenz über Atherosklerose, Dyslipidämie und Hypertonie zur KHK und Herzinsuffizienz. Nachdem der Zusammenhang zwischen Blutzucker und mikro- und makrovaskulären Spätschäden außer Streit steht, ist das große Thema der letzten Jahre, ob man mit einer antiglykämischen Therapie das kardiovaskuläre Risiko senken kann.
Eine im Jahr 2011 im British Medical Journal publizierte Metaanalyse zahlreicher Diabetesstudien (z. B. UKPDS, PROactive, ACCORD, ADVANCE u. v. a. m.) meint, „ja“, man kann durch eine ambitionierte Stoffwechseleinstellung („intensive treatment“) das Infarktrisiko um 10–15 % senken. Allerdings unter Inkaufnahme einer numerisch – nicht signifikant, aber numerisch – höheren kardiovaskulären und Gesamtmortalität, was laut Fasching ein gewisses Dilemma ist: „Soll man dem Patienten sagen, Sie haben mit einer guten Blutzuckereinstellung ein 10 % geringeres Infarktrisiko, sterben aber möglicherweise etwas früher?“ Eine plausible Erklärung, warum die Therapieoptimierung nicht immer einen Niederschlag in harten Endpunkten findet, ist für Fasching die oft lange Diabetesdauer, die zu einer „Verzuckerung des Körpers“ führt, zu einer Glykosylierung, die sich in verschiedenen Organen manifestiert (Koronarien, Herzmuskel, Niere). So gesehen scheint es plausibel, „dass man mit viel besseren Chancen in die spätere Diabetesphase eintritt, wenn man die ersten zehn bis 15 Jahre gut eingestellt ist und nicht von Anfang an so viel Glukoselast angesammelt hat, dass deren Spätschäden selbst durch eine besonders intensive Insulintherapie nicht mehr wettzumachen sind“. Die Devise heißt für Fasching daher, dass Patienten, die im mittleren Lebensalter mit Diabetes frühdiagnostiziert werden, auf ein vernünftiges Stoffwechselniveau gebracht werden sollen, d. h. auf HbA1c-Werte, die 7 % nicht übersteigen.

Was können neue Medikamente?

Vor diesem Hintergrund wurden am Consensus-Meeting der AG Herzinsuffizienz die großen Studien SAVOR-TIMI 53 (Saxagliptin) bei über 16.000 Diabetikern mit kardialen Risikofaktoren und EXAMINE (Alogliptin) bei über 5.000 Diabetikern mit akutem Koronarsyndrom diskutiert. Neben der riesigen Patientenzahl ist den Studien eine gute kardiale und antidiabetische Basistherapie, eine lange Diabetesdauer von zehn Jahren, eine Beobachtungsdauer von zwei Jahren und der kombinierte primäre Endpunkt kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall gemeinsam. Der primäre Endpunkt wurde nicht verbessert, aber auch nicht verschlechtert.
Die entscheidende Frage war für Fasching, „ob es realistisch ist, dass Patienten mit über zehnjähriger Diabetesdauer, viele davon bereits mit stattgefundenen kardiovaskulären Ereignissen, durch die Zugabe einer Tablette innerhalb von zwei Jahren in dieser Weise profitieren können?“ Sicher eine ambitionierte Aufgabe. Die Studien hatten aber auch keinen negativen Effekt auf den primären Endpunkt – wenngleich Patienten in SAVOR-TIMI 53 häufiger wegen einer Herzinsuffizienzsymptomatik hospitalisiert wurden, allerdings wieder nur Herzinsuffizienz-Risikopatienten mit sehr hohen BNP-Werten.

Wann ist es zu spät oder wie früh ist früh genug?

Wenn die Studien zu spät angesetzt haben und die Diabetesdauer zu lange war, dann stellt sich eine Frage von der anderen Richtung: Nämlich ob im Prädiabetesbereich eine Therapie z. B. mit Metformin sinnvoll sein kann? Auch hier ein gewisses Dilemma: Während das kardiale Risiko schon zu einem frühen Zeitpunkt ansteigt, ist derzeit kein Antidiabetikum für den Prädiabetesbereich zugelassen. Daher ist laut Primarius Fasching zu diesem frühen Zeitpunkt letztlich auch keine Behandlung indiziert.

Lebensstilmodifikation – zwei Seiten einer Medaille

Auch mit Lebensstilmodifikation läuft nicht immer alles glatt, wie die im letzten Jahr im New England Journal of Medicine publizierte Look-AHEAD-Studie zeigen kann. In dieser Studie mit mehr als 5.000 übergewichtigen/adipösen Typ-2-Diabetikern brachte eine „intensive“ (und intensiv überwachte) Lebensstilmodifikation mit Gewichtsreduktion, Diät und intensiver Bewegung gemessen an harten Endpunkten (z. B. kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) nicht mehr als der Kontrollarm, in dem Themen wie Diät und Sport zwar nahegelegt, aber nicht kontinuierlich in Gruppensitzungen monitiert wurden. Kein Vorteil für den Lebensstil, sodass die auf 15 Jahre angelegte Studie nach zehn Jahren abgebrochen wurde. Soll man jetzt sagen: Gesunder Lebensstil bringt nichts?
Fasching: „Abgesehen von den harten Endpunkten wurde massiv Gewicht verloren (10 % nach einem Jahr), der Bauchumfang wurde dramatisch reduziert und die körperliche Aktivität ist gestiegen – aber all das insbesondere im ersten Jahr. Das HbA1c ist nach einem Jahr ohne Intensivierung der Therapie um über 1 % zurückgegangen, zumeist sogar mit einer Reduktion der Medikamente.“ Die Botschaft ist daher: Lebensstil wirkt, allerdings erlischt die Motivation der Menschen – was in dieser Studie nach einem Jahr bemerkbar war. Die erwünschten Effekte haben jedenfalls nicht so lange angehalten, dass sie in harten Studienendpunkten einen Niederschlag fanden.

Lipidtherapie – Update 2013

Mit einem Focus auf das primäre Therapieziel LDL-Cholesterin wurde von Fasching festgehalten, dass die europäischen Leitlinien in ähnlicher Weise wie die Österreichische Diabetes Gesellschaft bei Diabetikern mit kardialen Begleiterkrankungen oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko LDL-Zielwerte < 70 mg/dl vorschlagen. Laut Studien europäischer Kardiologen erreichen aber nur 15 % der Patienten in den verschiedenen Praxen diese Werte, die Frage ist daher: Wie relevant ist dieser Zielwert? Im Herbst 2013 wurde von der amerikanischen Herzgesellschaft eine radikal andere Strategie gewählt, indem prinzipiell eine intensive Statintherapie (Atorvastatin oder Rosuvastatin in hoher Dosierung) von einer moderaten Therapie unterschieden wird (Atorvastatin und Rosuvastatin in niedriger Dosierung sowie alle anderen „Erstgenerationsstatine“). Im Weiteren wurden vier Patientengruppen zur primären Orientierung gebildet: Diabetiker mit nachgewiesener KHK oder mit sehr hohen LDL-Ausgangswerten (> 190 mg/dl) erhalten in diesem Konzept prinzipiell eine intensive lipidsenkende Therapie; Diabetiker ohne KHK oder mit niedrigeren LDL-Werten (70 bis 189 mg/dl) erhalten primär eine Therapie aus dem moderaten Bereich. Mit der intensiven Therapie soll eine LDL-Reduktion um zumindest 50 % angestrebt werden, mit der moderaten Therapie um zumindest 30 %. Laut Fasching wird in diesem Konzept der Modus „treat to target“ verlassen; der Einfluss auf die zukünftige Praxis ist aber noch unklar. Als „message to go“ wurde festgehalten, dass die Kombination aus Diabetes und KHK als Hochrisikokonstellation gilt.
In dieser Situation ist laut aktuellen ÖDG-Richtlinien eine maximale LDL-Senkung auf < 70 mg/dl anzustreben. Falls der Zielwert nicht erreicht werden kann, ist eine LDL-Reduktion um wenigstens 50 % anzustreben.

 

 

Die Sicht des Kardiologen

Aus kardiologischer Sicht stellen sich einzelne Aspekte der multifaktoriellen Intervention anders dar. So wurden von Pacher in einer maximalen klinischen Verdichtung jene Maßnahmen zur Prävention kardialer, insbesondere makrovaskulärer Komplikationen bei Diabetes mellitus geschildert, die sich von Seiten der Kardiologie ergeben, wobei jede Aussage zugleich eine „take home message“ und auf www.atcardio.at Arbeitsgruppe Herzinsuffizienz abrufbar (und dort auch mit den entsprechenden Studien belegt) ist:

Glukosesenkende Therapie

Die glukosesenkende Therapie hat keinen positiven Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse; eine mögliche Ausnahme ist Metformin. Das Therapieziel ist ein HbA1c-Wert von 7 %, darunter besteht die Gefahr eines Anstiegs kardiovaskulärer Ereignisse.

Senkung des Blutdrucks

Für die Senkung des Blutdrucks konnte kein positiver Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse gezeigt werden. Der Zielblutdruck ist 140/85 mmHg. Darunter besteht die Gefahr einer Steigerung kardiovaskulärer Ereignisse. ACE-Hemmer sind die First-Line-Therapie und sollen nicht mit Angiotensinrezeptorblockern kombiniert werden.

Senkung des Cholesterins

Statine wirken sich positiv auf kardiovaskuläre Ereignisse bei Diabetikern aus – vergleichbar wie bei Nichtdiabetikern – und sind damit eine First-Line-Therapie. Die empfohlenen LDL-Zielwerte sind a) ohne kardiovaskuläre Begleiterkrankungen: 100 mg/dl; b) mit kardiovaskulären Begleiterkrankungen: 70 mg/dl.

Effekt von Aspirin

Eine rezente Metaanalyse von John Cleland (European Heart Journal 2013) kommt zum Schluss, dass die moderaten Effekte der Thrombozytenaggregationshemmung in der Primärprävention kardialer Ereignisse einer hohen Blutungsrate gegenüberstehen. In Studien, die nach dem Jahr 2000 geführt wurden, lässt sich der positive Einfluss auf die Infarktrate kaum mehr darstellen, wahrscheinlich bedingt durch eine insgesamt bessere medikamentöse Therapie.

Biomarkerbasierte Pontiac-Studie

Die bisherigen Schlussfolgerungen sind in gewisser Weise ernüchternd. Möglicherweise deswegen, weil Diabetes eine heterogene Erkrankung ist, nicht jeder Diabetiker das gleiche kardiovaskuläre Risiko hat und etablierte Parameter zur Risikostratifikation weniger zielführend sind als erhofft (z. B. die Mikroalbuminurie). Demgegenüber hat sich NT-proBNP in der Kardiodiabetologie als exzellenter Biomaker zur Diagnose und Risikostratifizierung herausgestellt. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2007 am AKH Wien eine Studie mit der Intention konzipiert, eine individualisierte Therapie zur Primärprävention zu entwickeln. Das individuelle Risiko wurde mittels NT-proBNP erhoben. Nur Patienten mit einem erhöhten Wert wurden in diese Studie eingeschlossen, da man bereits weiß, dass bei diesen Patienten der Hauptteil der kardialen Ereignisse zu erwarten ist. Bei diesen Patienten wurden zusätzlich zur leitliniengerechten antidiabetischen Therapie RAS-Antagonisten (ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker) und Beta-Blocker verabreicht und innerhalb von drei Monaten auf die maximal tolerierte oder empfohlene Dosis hochtitriert. Mit dieser Maßnahme konnte gegenüber der Kontrollgruppe der primäre Studienendpunkt Hospitalisierung oder kardialer Tod nach zwei Jahren signifikant um 65 % reduziert werden (p = 0,04; HR: 0,35) – und der Effekt hält noch an. Signifikant verringert war die Rate an ungeplanten kardiovaskulär bedingten Hospitalisierungen und die Rate an Gesamthospitalisierungen. Eine interessante Zusatzauswertung zeigt, dass Patienten, die unter der intensivierten neurohumoralen Therapie hospitalisiert wurden, eine geringere Mortalität hatten als Patienten aus der Kontrollgruppe. All diese Ergebnisse wurden interessanterweise erzielt, ohne dass ­zwischen beiden Gruppen signifikante Blutdruckunterschiede evident waren (systoli­scher RR in beiden Gruppen nach einem Jahr bei 145 mmHg).

 

 

Schlussfolgerung PONTIAC-Studie: Mit diesen Daten zeigt sich, dass die multifaktorielle Therapieintervention – leitliniengerechte antidiabetische Therapie plus optimierte Kombinationstherapie mit RAAS-Antagonisten und selektiver β1-Blockade – bei Diabetikern ohne manifeste Herzerkrankung, aber mit erhöhtem NTproBNP, zielführend ist und ungeplante kardiale Hospitalisierungen und die kardiale Mortalität signifikant reduziert.