Klinisches Potenzial und Perspektiven der Ionentherapie

Das MedAustron-Zentrum für Ionentherapie und Forschung wird derzeit in Wiener Neustadt errichtet. Zielsetzung dieses Projektes ist es, ein Therapiezentrum zu bauen, in welchem Protonen und Kohlenstoffionen zur Bekämpfung von unterschiedlichen Tumor­erkrankungen eingesetzt werden können. Das Gebäude des MedAustron-Zentrums wurde mit Ende September 2012 bereits fertiggestellt. Zielsetzung der aktuellen Aktivitäten ist die Installation der unterschiedlichen Komponenten des so genannten Synchrotrons, das nach einer entsprechenden Kommissionierung die Strahlapplikation ermöglichen wird. Die klinische Anwendung der Ionentherapie zur Behandlung von bösartigen Tumoren soll voraussichtlich ab dem Jahre 2015 möglich sein.

 

 

Physikalische Eigenschaften der Ionentherapie

Im Unterschied zur herkömmlichen Strahlentherapie mit Photonen oder Elektronen zeichnet sich die Ionentherapie durch andere physikalische Eigenschaften (i. e. den so genannten Bragg-Peak) aus.
Als Folge dieser unterschiedlichen Dosisverteilung ermöglicht die Ionentherapie eine Reduktion der Dosis im gesunden Gewebe vor dem Tumor bzw. die nahezu vollständige Vermeidung von Strahlung im gesunden Gewebe hinter dem Tumorareal.
Als wesentlicher Unterschied zwischen Protonen und Kohlenstoffionen ist die vergleichsweise höhere biologische Wirksamkeit der Kohlenstoffionen zu nennen.

 

 

Klinisches Potenzial

Im Allgemeinen sind zwei Anwendungsstrategien zu erwähnen:

  1. Die verabreichte Dosis im Tumorbereich mittels Ionen entspricht den Werten der herkömmlichen Strahlentherapie. Wegen der geringeren Dosisbelastung des Normalgewebes besteht die primäre Zielsetzung der Ionentherapie in einer Verminderung der therapiebedingten Nebenwirkungen.
    Ein klassisches Beispiel für diese Anwendungsmöglichkeit der Ionentherapie stellen pädiatrische Tumoren dar. Bestrahlungen im Kindesalter gehen je nach Tumorlokalisation vergleichsweise häufig mit bleibenden Veränderungen, wie z. B. Wachstumsstörungen oder Beeinträch­tigungen des Hormonhaushalts einher oder können auch zu einem erhöhten Risiko eines Zweittumors führen.
  2. Durch den Einsatz der Protonentherapie wird eine deutliche Reduktion dieser therapiebedingten Nebenwirkungen angestrebt. Wegen der ausgezeichneten Schonung des Normalgewebes können mit der Ionentherapie höhere Bestrahlungsdosen verabreicht werden. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, bisher als wenig strahlensensibel angesehene Tumoren effektiv zu behandeln.
    In der herkömmlichen Strahlentherapie ist die effektive Behandlung von schädelbasisnahen Tumoren, wie z. B. Chordomen, nur begrenzt möglich, da eine lokale Kontrolle dieser Tumoren nur nach Gabe einer relativ hohen Bestrahlungsdosis möglich ist. Diese kann aber häufig nicht appliziert werden, da z. B. im Schädelbasisbereich zahlreiche strahlenempfindliche Strukturen gelegen sind, die durch eine hohe Strahlendosis dauerhaft geschädigt würden.

Durch die Verwendung der Ionentherapie hat sich gezeigt, dass die lokalen Tumorkontrollraten deutlich verbessert werden können, ohne dass eine hohe Rate an schweren therapiebedingten Nebenwirkungen auftritt.

 

 

Perspektiven der Ionentherapie

Die bisher genannten Beispiele für die klinische Anwendbarkeit der Ionentherapie stellen nur einen Ausschnitt des gesamten möglichen Behandlungsspektrums dar. Weitere klinisch erprobte und/oder mögliche Anwendungsgebiete sind z. B. selektionierte Fälle eines Prostatakarzinoms, Chondrosarkome, Aderhautmelanome, Bauchspeicheldrüsenkarzinome, frühe Stadien des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms oder adenoidzystische Tumoren.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die bisherigen klinischen Erfahrungswerte auf vergleichsweise kleinen Patientengruppen basieren.
Bis Ende 2011 wurden weltweit in den betrieblich aktiven Zentren insgesamt (nur) ca. 76.700 Patienten behandelt, wobei überwiegend Protonen zur Anwendung kamen (i. e. ca. 67.900 Fälle) und sich die klinischen Erfahrungen der Kohlenstoffionentherapie auf etwa 8.800 Patienten beschränkten (http://ptcog.web.psi.ch/patient_statistics.html).
Als wesentliche Ursache hierfür ist die weltweit limitierte klinische Verfügbarkeit von Ionentherapiezentren zu nennen. Mit MedAustron vergleichbare Zentren, die über Protonen sowie Kohlenstoffionen verfügen, gibt es derzeit nur im Heidelberger Ionentherapiezentrum (HIT) in Deutschland, im Hyogo Ion Beam Medical Center (HIBMC) in Japan sowie im Centro Nazionale di Adroterapia Oncologica (CNAO) in Pavia, Italien. Allerdings wird sich die Verfügbarkeit dieser Behandlungsformen in den nächsten Jahren deutlich verbessern, da sich zahlreiche Projekte in unterschiedlichen Ländern aktuell mit der Planung oder Realisierung von Ionentherapiezentren befassen.
Als Folge der verbesserten Verfügbarkeit und folglich auch der Möglichkeit, eine größere Anzahl von Patienten u. a. auch in klinischen Studien zu behandeln, werden sich die Einsatzmöglichkeiten der Ionentherapie in den nächsten Jahren voraussichtlich erweitern. Auf Basis der vermehrten Durchführung von Behandlungen im Rahmen von klinischen Studien wird außerdem erwartet, dass sich das optimale Indikationsspektrum der Ionentherapie in der Behandlung von Tumoren unterschiedlichster Lokalisation besser definieren lässt.

Schlussfolgerung: Das MedAustron-Zentrum für Ionentherapie und Forschung ist das weltweit vierte Zentrum, in welchem Protonen und Kohlenstoffionen für die Behandlung von bösartigen Tumoren zur Verfügung stehen werden. Das Zentrum befindet sich derzeit (noch) in der Errichtungsphase. Die Aufnahme der klinischen Patientenbehandlungen ist voraussichtlich ab dem Jahr 2015 möglich.