Dass wir Apotheker mehr sind als „nur“ Medikamentenfachberater, haben wir nicht erst in den letzten Monaten immer wieder unter Beweis gestellt. Was allerdings seit Corona von uns verlangt wird, geht bisweilen schon etwas über unseren Wirkungsbereich hinaus – finde ich zumindest.
Während Österreich die Digitalisierung der Impfnachweise einigermaßen im Griff zu haben scheint, ist das in Deutschland ein recht ungeregeltes Feld. Okay, nicht wirklich ungeregelt. Eher: undurchdacht.
Freilich muss man den zuständigen Behörden zugutehalten, dass bis vor etwa einem halben Jahr der Impfpass kaum jemanden besonders interessiert hat. Ob da jetzt neben dem Chargenkleber ein Stempel drin war, und im besten Falle auch eine Unterschrift oder vielleicht doch nur irgendwas, das Impfdatum und -zweck erkennen ließ, hat niemanden besonders gejuckt. Und ich muss zugeben, dass ich selbst das Paradebeispiel eines schlecht geführten Impfpasses bin, weil ich mir meist das gerade fällige Sticherl in der Apotheke zwischen Tür und Angel geben ließ, wenn sich einer „meiner“ Ärzte in die Apotheke verirrt hatte. Der Eintrag im Impfpass wurde dann von mir selbst im Nachgang durchgeführt.
Und plötzlich – quasi über Nacht – haben wir mit dem gelben Wisch ein wichtiges Dokument in der Hand, das Türen öffnen und Fremdnasenbohren verhindern kann … aber eben leider nicht mit entsprechenden Sicherheitsmerkmalen ausgestattet ist. Und genau das wurde für uns in Deutschland zum großen Problem. Denn die Umwandlung des COVID- Impfbucheintrages in einen digitalen QR-Code wurde vorrangig den Apotheken überantwortet. Einziger Anspruch: die Vorlage des Impfpasses in Verbindung mit einem Lichtbildausweis. Und weil eben jedes Sicherheitsmerkmal im Impfbuch vermisslich ist, gestaltet sich der Nachweis der Echtheit des vorgelegten Lappens als schwieriges Unterfangen.
Bald wurden die ersten Aufgriffe von vermeintlichen Fälschungen in Apotheken gemeldet – und auch unser Standort blieb nicht verschont.
Und wie nicht anders zu erwarten, waren die potenziellen Betrüger wenig erfreut, wenn wir ihre Personalien an die Polizei weitergaben. An dieser Stelle erlaube ich mir, als erste Frage zu stellen, ob es wirklich unsere Aufgabe als Apotheker sein muss, Impfpässe auf ihre Echtheit zu überprüfen. Ein Unterfangen, das mit unseren Möglichkeiten de facto nicht durchführbar ist. Nur wenn sich die Fälscher richtig blöd anstellen, ist es möglich, einen Verdacht zu äußern. Aber Sicherheit haben wir keine, Kalamitäten dafür en masse.
In einem Fall ging es bei mir bis zur Drohung. Eine junge Frau kam in Begleitung ihrer Mutter, und weil mir die Situation so „antibetrügerisch“, der Impfpass aber doch sehr seltsam vorkam, räumte ich der jungen Dame bis zum nächsten Tag Zeit ein, mir eine Bestätigung vom angeblichen Impfarzt zu bringen. Statt der Bestätigung hatte sie am nächsten Tag Vater und Onkel im Schlepptau. Beide bauten sich vor mir auf, begannen mich wüst zu beschimpfen und zu bedrohen. Ich sei kriminell, weil ich den Datenschutz nicht einhielte, dürfe ohne Einwilligung der Tochter gar nicht deren Impfpass öffnen (ja, an dieser Stelle habe ich auch gelacht), und man werde dafür sorgen, dass die Apotheke geschlossen werde. Sollte ich gegen das arme Mädchen, das sich den ganzen Abend die Augen ausgeweint hätte, Anzeige erstatten, würde man nicht nur gerichtlich gegen mich vorgehen, sondern auch das Fernsehen und die lokale Presse verständigen. Seltsamerweise kam in den 10 Minuten Dauerfeuer nicht einmal der Hinweis darauf, dass ich das arme Töchterl fälschlich verdächtigte!
Sie können sich vorstellen, dass ich natürlich umgehend die Polizei verständigte und Anzeige erstattete. Wenn mich der liebe Papa einschüchtern wollte, hat er sich leider die Falsche ausgesucht. Aber ein unangenehmes Gefühl blieb, und ich stelle Frage Nummer zwei: Muss ich mir so etwas als Apotheker wirklich antun? Dass ich mich mit Substitutionspatienten und allen damit einhergehenden Problemsituationen auseinandersetze, gehört zu meinem Job genauso wie die ewig leidige Diskussion, warum es eben manche Medikamente nur mit Verschreibung gibt.
Aber, dass ich Detektiv spielen muss (wobei es unter den gegebenen Umständen eher schon Hellseher heißen sollte) und mich dann auch noch den Beschimpfungen oder gar Drohungen der Kunden (sind das eigentlich Kunden?) aussetzen kann, geht meiner Meinung nach über meinen Aufgabenbereich hinaus.