Vieles, was unser Gesundheitssystem betrifft, nehmen wir als medizinisches oder soziales Naturgesetz war: dass man zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Krankenhaus-Notaufnahme kommen kann (egal, wie „notfällig“ das gerade ist), dass sich innerhalb weniger Minuten ein Krankenwagen mit Tatütata vor der Türe einbremst, wenn man bei der Gartenarbeit den Unterarm mit dem Apfelbaumast verwechselt hat, dass man mit seiner Gesundheitskarte immer von einem Arzt gratis behandelt wird, dass bei Operationen der bestmögliche Standard verwendet wird, dass die Apotheke alle benötigten Medikamente vorrätig hat oder innerhalb weniger Stunden besorgen kann.
Gut, die Medikamentenannahme können Sie vermutlich aus eigener leidvoller Erfahrung widerlegen. Aber wenn Sie einen Passanten auf der Straße fragen, wird der ziemlich sicher davon ausgehen, dass „unser Gesundheitssystem“ schon darauf schaut, dass alles da ist und immer zur Verfügung steht. Und ich vermute, bei den restlichen Punkten in meiner Aufzählung werden Sie mir im Großen und Ganzen Recht geben: wir fühlen uns schon sehr gut versorgt. Dass da aber vieles gar nicht so selbstverständlich ist, wie wir es empfinden, wurde mir jüngst wieder klar:
Eine Kollegin von mir ist Griechin und erzählte mir, dass man in Griechenland zwar auch krankenversichert ist, damit alleine im Spital aber de facto nicht durchkommt. Keiner in ihrer Familie lässt sich dort in einem öffentlichen Krankenhaus „nur auf Kassenkosten“ behandeln. Und das nicht, weil sie so „g´stopft“ sind und gerne in eine Privatklinik gehen. Ganz im Gegenteil. Steht bei einem Verwandten eine OP an, legt die ganze Familie zusammen, damit man sich das leisten kann. Denn wenn nicht zusätzlich zur Krankenversicherung ein paar Scheinchen über die desinfizierte Edelstahlplatte wandern, führt (quasi) der Lehrling das Skalpell und verwendet Großmutters Stopfgarnreste zum Wundverschluss. Das Verhalten der Familie ist nicht unbegründet, sondern resultiert aus Erfahrungen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, die Sie sich aber beim Lesen der Zwischenüberschrift denken können. In Anbetracht dieser Umstände würde ich vermutlich für eine Herz-OP auch einen Kredit aufnehmen.
Jetzt möchte ich jedoch nicht über das griechische Spitalwesen referieren (und eventuell dazu führen, dass Sie Ihre Urlaubspläne überdenken) sondern über einen großen Unterschied zwischen Ö und D schreiben, der nichts weniger ist als lebenswichtig. Besser gesagt: überlebenswichtig.
Jüngst war „Tag der Organspende“. Ein Ereignis, das in der germanischen Apo-Social-Media-Welt sehr breit zelebriert wurde. In Österreich wäre mir das nie besonders aufgefallen, denn da ist etwas selbstverständlich, wozu es jenseits des Grenzbalkens einen eigenen Ausweis braucht.
In den nun 45 Jahren meiner Existenz habe ich mir genau einmal die Frage gestellt, ob ich Organspender sein möchte: als erstmals in meine deutsche Apo kam und dort die kleinen orangen Karten liegen sah, deren Besitz mich als Spender ausweist. Seither ist dieser Papierfetzen (nichts anderes ist es nämlich) fixer Bestandteil in meinem Geldbörsel.
Zum Tag der Organspende habe ich in meinem Bekanntenkreis ein wenig über das Thema geplaudert und festgestellt, dass der Großteil eben kein Kärtchen mit sich trägt. Auf meine Frage „warum“ kamen dann so Totschlagargumente wie „weiß nicht“, „hat mich bis jetzt nicht interessiert“ oder „hab´ ich mir noch nicht überlegt“.
Wir sprechen hier wie gesagt von einem scheckkartengroßen Papierteil, auf das man Name, Adresse und Unterschrift kritzelt. Das ist nicht wie eine Typisierung zur Knochenmarkspende.
Nach einer aktuellen Befragung besitzen 44% der Deutschen einen Organspendeausweis und/oder eine Patientenverfügung. Klingt viel, sind aber eben im Verhältnis nicht einmal halb so viele potentielle Spender wie in Österreich. Tatsächlich kenne ich da in meinem Umfeld niemanden, der einen Zettel zum Spendenausschluß mit sich trägt. Den kann man nämlich sogar selbst schreiben. Wäre also noch einfacher als die Spendenbescheinigung in Deutschland.
Aber es ist eben selbstverständlich, Organspender zu sein. Oder die Totschlagargumente meiner deutschen Bekannten treffen auch auf meine Heimatlandsmänner und -frauen zu. Und, ehrlich: dann finde ich es auch gut. Ich vertraue unserem Gesundheitssystem, dass mir nur dann meine Niere oder was auch immer rausgeschnippelt wird, wenn es für mich keine, dadurch aber für jemand anderen die ersehnte Rettung gibt.
Ich weiß allerdings nicht, ob ich auch so denken würde, wäre ich in Griechenland zu Hause.