Ich weiche heute ein wenig von meiner Schreiberlein-Auftrags-Mission ab – und bitte Sie dafür um Nachsicht. Lesen Sie trotzdem weiter. Es geht nämlich um ein Thema, das unser Leben generell, das in der Apotheke aber im Besonderen immer schwerer macht: Aggression und Egoismus.
Die Vorkommnisse beim Fußball Champions-League-Finale in Paris ließen mich meinen letzten Sonntagsdienst nochmals reflektieren. Okay, bei mir ist niemand durch die Nachtdienstklappe geklettert. Es gab auch keine Prügeleien oder eine Apothekenstürmung.
Aber was mir auffällt, ist immer mehr Unmut. Und der wird laut geäußert.
Dabei sind die Gründe für das Gemecker ganz vielfältig. Die einen beschweren sich, dass sie um 23:30 heiße €2,50 Zuschlag (mehr ist es in Deutschland nicht!) zahlen müssen. Wie gemein von mir. An der Tankstelle, einer nicht nur wochenends beliebten Einkaufsquelle der Jugend (wie ich gelernt habe), wird kein Zuschlag verrechnet – dort blecht man hier in Deutschland einfach generell ordentlich mehr als im Supermarkt. Aber da steht auch nicht die überhebliche Apothekerin hinter der Scheibe, die noch dazu blöde Fragen stellt, sondern eine desinteressierte, gelangweilte Zahlvorgangsüberwacherin. Verstehe ich.
Das mit den „blöden Fragen“ ist für viele das nächste Reizthema. Wie kann ich mich erdreisten, wissen zu wollen, wie lange der ungeschützte Verkehr zurück liegt oder für wen das Wunschmedikament bestimmt ist? Geht mich echt nix an. Immerhin bezahlt der Kunde ja das Medikament. Dann darf er auch bestimmen. Und das noch dazu in dieser unangenehmen Situation so mitten (mutterseelenalleine) auf der Straße. Echt eine Frechheit von mir. Verstehe ich.
Dann ist da leider noch dieses leidige Thema, dass ich mich nicht klonen kann. Wenn ich gerade einen Kunden bediene und gleichzeitig das Telefon klingelt, hat leider der Anrufer das Nachsehen. Es gibt bei uns diese total ungewöhnliche Möglichkeit, seine Nachricht am Anrufbeantworter zu hinterlassen und ich rufe dann zurück. Die nützt aber erstaunlicher Weise so gut wie keiner. Da ruft man lieber im 10 Sekunden Abstand 5-mal hintereinander an – und wenn ich beim 6. Anrufversuch tatsächlich endlich Zeit habe, um zum Telefon zu hasten, werde ich mit einem freundlichen „Na endlich! Ich habe schon 5-mal bei Ihnen angerufen, aber keiner hebt ab. Ein Witz. Sie haben doch Bereitschaft!“ begrüßt. Danke für die Information. Die Erklärung, dass ich eben dringende Krankheitsfälle bedient habe (und nicht mit dem Micky Mouse Heft am Klo gesessen bin) interessiert natürlich nicht. Klar, verstehe ich.
Wenn dann ein Medikament tatsächlich nicht mehr lagernd ist (kurz vor 17 Uhr, nachdem der Bereitschaftsarzt den ganzen Tag einunddasselbe Antibiotikum verschrieben hat) und ich mich bemühe, eine mögliche Alternative zu finden, werde ich angemault, dass eine Notdienstapotheke gefälligst ausreichend Medikamente an Lager haben muss. Nein, der Arzt macht alles richtig, die Apotheke ist schuld. Verstehe ich.
Was ich aber wirklich so überhaupt gar nicht verstehe: bei mir über der Nachtdienstklappe hängt ein A5-Blatt mit der BITTE, bei Inanspruchnahme des Notdienstes eine Maske zu tragen. Noch vor ein paar Wochen war da kein „Bitte“, sondern die Verpflichtung. Aber Zeiten ändern sich eben. Und wenn mir dann so ein unverhangenes Gesicht ein Rezept durch die Klappe reicht (ich also davon ausgehen kann, dass derjenige noch vor kurzer Zeit sehr wohl fähig gewesen war, eine Maske aufzusetzen, und im Besitz einer ebensolchen ist) denke ich mir meinen Teil und bleibe freundlich.
Wenn ich die Maske dekorativ am Ellenbogen baumeln sehe, erlaube ich mir einen kurzen Hinweis darauf, dass es toll wäre, wenn der- oder diejenige das Modeaccessoire auch zweckdienlich nutzt, weil wir unsere beiden Rüssel am Guckerl doch recht knapp voreinander halten. Verstehen dann die meisten auch.
Aber es gibt auch diejenigen, die sich beflissen fühlen, meine freundliche schriftliche Bitte recht unfreundlich zu kommentieren. Und zwar ohne von mir darauf angesprochen worden zu sein! Hatte ich nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals. Der Kunde/die Kundin fragt, ob sie eine Maske aufsetzen muss, weil sie jetzt keine mithat. Nein, muss sie nicht. Ist nur eine BITTE! Ich gehe dann nach hinten, hole das Gewünschte – und höre in der Zeit das Protestmotzen vor der Türe. Was für eine Frechheit das ist, eine Maske vorzuschreiben. Nirgends bräuchte man die. Und außerdem stünde man ja im Freien. Und so weiter und so fort. Zetern, Meckern, Maulen. Hört man leider sehr gut in der Offizin.
Dabei will ich es gar nicht hören. Denn dann fühle ich mich bemüßigt, mich zu rechtfertigen – und weiß schon vor meinem Erklärungsversuch, dass sich diese Leute nicht beschwichtigen lassen. Trotzdem probiere ich Depp es immer wieder. Im besten Fall bekommt man dann nämlich nicht nur eine motzige Antwort, sondern auch noch eine schlechte Google-Bewertung.
Was mir im Laufe meiner nun doch schon ziemlich lange dauernden Bereitschaftsdienst-Laufbahn auffällt: es gibt kaum noch Dankbarkeit. Dafür ganz viel Rechthaberei und Unverständnis. Und immer mehr echte Aggressivität. Keine physische Gewalt, aber in der Gestik, wie das Geld hingeschmissen oder das Rezept weggerissen wird. Und verbal natürlich. Ja, gejammert wurde schon immer. Aber diese offene Aggression ist mir recht neu.
Da frage ich mich: ist das notwendig? Und wo führt das noch hin? Wenn man so liest, dass Notaufnahmen darüber nachdenken, Sicherheitspersonal einzustellen, lässt einen das doch ein bisschen an der Menschlichkeit zweifeln.
Manchmal bin ich wirklich froh, dass mich mit dem Kunden nur eine kleine Durchreiche verbindet. Und das macht mich sehr traurig. Denn letztendlich treten wir alle mit der Absicht an, den Menschen zu helfen.