Ist terminale Sedierung politisch inkorrekt?

Am Lebensende onkologischer PatientInnen kann es zum Auftreten schwer beherrschbarer Beschwerdebilder kommen, welche behandelnde ÄrztInnen und PflegerInnen vor große therapeutische Herausforderungen stellen. Physische Symptome wie z. B. Dyspnoe und Schmerzen, neuropsychiatrische Symptome wie Verwirrtheitszustände und Delir, aber auch psychische Symptome wie Angst, Depression und existenzielles Leid, können trotz intensivster Bemühungen um adäquate Symptomkontrolle am Lebensende therapierefraktär verlaufen.

Als therapierefraktär werden Symptome bezeichnet, die trotz intensiver Bemühungen um eine verträgliche Therapie ohne Einschränkung des Bewusstseinszustands nicht ausreichend kontrolliert werden können. Die Zuordnung der Bezeichnung „therapierefraktär“ bedeutet, dass der behandelnde Arzt davon ausgeht, dass mit allen weiteren (nicht)invasiven Maßnahmen keine adäquate Linderung des Symptoms erreicht werden kann, eine exzessive und unerträgliche akute oder chronische Morbidität damit einhergeht oder es unwahrscheinlich ist, dass innerhalb eines akzeptablen Zeitraums eine adäquate Symptomlinderung erreicht werden kann.

Gerade in diesen Situationen stellt die palliative Sedierung (PS) eine wichtige und wertvolle Therapiemöglichkeit dar. Diese versteht sich im palliativen Kontext als der überwachte Einsatz von sedierenden Medikamenten mit dem Ziel, unerträgliches Leid bei therapierefraktären Symptomen zu lindern.

Trotz (inter)nationaler Daten und Leitlinien, welche für die PS klare Handlungsanleitungen vorgeben und belegen, dass die PS, wenn sie korrekt durchgeführt wird, die Lebensdauer nicht verkürzt, wird diese oftmals fälschlicherweise in einem Atemzug mit der aktiven Sterbehilfe oder ärztlich assistierten Suizid genannt. Gerade auch im Hinblick auf die kürzlich durch den österreichischen Verfassungsgerichtshofs gefällte Entscheidung, welche das Verbot des assistierten Suizids als verfassungswidrig aufhebt, kommt der Palliative Care eine kritische Bedeutung zu. Dem Recht auf Autonomie, der Selbstgestaltung des Lebens sowie des Lebensendes von schwer kranken Individuen gilt es den größtmöglichen Respekt zu zollen. Zugleich muss aber diese vulnerable Gruppe besonders geschützt werden, um bei existenziellen Entscheidungen über das Lebensende den freien Willen nicht durch sozialen Druck und Rechtfertigungsnotwendigkeiten beeinträchtigen zu lassen. Die österreichische Palliativgesellschaft nennt in ihrer Stellungnahme zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die palliative Sedierung als eine effektive, medizinisch, ethisch und letztlich auch politisch korrekte Maßnahme, um adäquate Symptomkontrolle am Lebensende sowie ein begleitetes, menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen.

 

OeGHO 2021, PALLIATIVMEDIZIN: EARLY INTEGRATION VS. TERMINAL CARE – EIN PARADOXON
Sophie Roider-Schur, Wien: Ist terminale Sedierung politisch inkorrekt?