„Der Patentschutz ist in Frage zu stellen“

Apotheker Krone: Die Gesundheitsreform geht in die Umsetzung – manche sagen, zu langsam. Die Kassen stehen wieder vor einem Defizit. Wo steht Österreichs Gesundheitssystem wirklich?

Josef Probst: Zuerst einmal ist festzuhalten, dass im Vergleich zu anderen Ländern die Wirtschafts- und Finanzkrise zu keinen Leistungseinschränkungen geführt hat. Im Gegenteil, es wurden sogar Leistungen ausgebaut, wie die Hebammenberatung in der Schwangerschaft und die Kostenübernahme für festsitzende Kieferregulierungen bei Jugendlichen. Wir wollen, dass der soziale Status nicht an den Zähnen der Kinder erkennbar ist. Bei der Umsetzung dieser Leistungsbereiche sind wir im Plan, sodass die Sachleistung ohne Zuzahlung mit dem 1. Juli 2015 angeboten werden kann.

Und die Gesundheitsreform?

Probst: Hier befinden wir uns mitten in der Umsetzung. In der Vergangenheit wurde viel an Grundlagenarbeit geleistet, und jetzt werden in der Wirklichkeit der Menschen die ersten Elemente verstärkt sichtbar. Das Ziel ist, den Menschen ein besseres und klareres Service zu bieten und die Bürger wirklich in den Mittelpunkt zu stellen. Das bedeutet gleichzeitig ein Zurückdrängen der Institutionenverliebtheit, die es lange gab. Im Behandlungsbereich sperren in den kommenden Wochen die ersten Primärversorgungszentren auf – das erste Anfang April in Wien-Mariahilf. In der Gesundheitsförderungspolitik sind Kinder und Jugendliche eine besondere Zielgruppe.

Zuletzt wurde viel über die steigenden Arzneimittelkosten und hohe Preise für einzelne Arzneimittel diskutiert. Hauptverbandspräsident Peter McDonald hat angekündigt, dass die Kassen gegensteuern werden. Was ist konkret geplant?

Probst: Es stimmt, dass die Medikamentenkosten im Vorjahr wieder in einer problematischen Dimension von rund sechs Prozentpunkten gestiegen sind. Das ist etwa das Doppelte der Beitragseinnahmenentwicklung. Die Freude, dass die Finanzkonsolidierung der Krankenkassen fast vollständig gelungen ist, war also von sehr kurzer Dauer. Es stimmt, hier geht es um einzelne Medikamente. Genau genommen war der Anstieg durch einen Bereich verursacht, nämlich neue Behandlungsmöglichkeiten für Hepatitis C. Sie versprechen eine nebenwirkungsärmere, bessere und wirksame Therapie. So erfreulich das für die Menschen ist, so problematisch ist die Preispolitik der Unternehmen für die Krankenkassen.

Wie aber wollen Sie hier gegensteuern?

Probst: Das ist sicherlich, wie die Gesundheitsministerin gesagt hat, ein internationales Problem, und es muss auch auf europäischer Ebene diskutiert werden. Sie will hier aktiv werden. Österreich kann das nicht alleine lösen, das ist weltweit anzusprechen. Wir können einfach unsere kleine Welt nicht mehr wirksam allein gestalten. In den USA hat dazu auch schon eine Grundsatzdebatte im Kongress stattgefunden. Hier haben beide Parteien zum Ausdruck gebracht, dass sie diese Art der Preispolitik nicht akzeptieren wollen.

Dennoch nachgefragt: Wie sind Ihre Vorschläge zur Lösung des Problems?

Probst: Wenn ein Unternehmen einen Businesscase fährt, im ersten Jahr bereits alle Investitionen hereinzuspielen – und das ist im konkreten Beispiel der Fall –, dann muss man grundsätzlich die Dinge überdenken. Wenn man das gesamt investierte Kapital für ein Medikament, das hier bei elf Milliarden Dollar lag, in einem Jahr wieder hereinspielt, dann wird hier der rund zehnjährige Patentschutz für Arzneimittel in Frage gestellt. Die Vorgangsweise untergräbt die Logik, die Notwendigkeit und die Sinnhaftigkeit des Patentschutzes im Bereich der Pharmawirtschaft.

Das klingt radikal, und wird die Industrie, aber auch Apotheker wenig freuen.

Probst: Die Industrie argumentiert den Patentschutz immer damit, dass er dazu dient, dass Unternehmen die Möglichkeit haben, in Innovationen zu investieren und dann die getätigten Investitionen wieder hereinzuspielen. Im konkreten Fall müsste man also sagen: Ab dem Zeitpunkt, wo die Investitionen verdient sind, ist dieser Sonderschutz durch ein Patent nicht mehr nötig. Dann soll der Markt wieder voll greifen können und andere Unternehmen sollen ein solches Produkt herstellen und auf den Markt bringen dürfen.

Dennoch wäre es ein Paradigmenwechsel?

Probst: Das liegt an der geänderten Preispolitik der Unternehmen. Im konkreten Fall wird das einfach besonders deutlich, wenn europaweit eine Packung für 16.000 Euro angeboten wird und die Produktionskosten laut einer britischen Studie bei 20 bis 40 Euro liegen. Und weiters stellt sich dann die Frage, wo solche Unternehmen überhaupt ihre Gewinne versteuern. So abwegig ist das nicht, die Kritik nimmt überall zu. Das deutsche Netzwerk „Ärzte der Welt“ hat etwa vor dem Europäischen Patentamt bereits Einspruch gegen das Patent eingelegt, das der Hersteller Gilead dort für das Hepatitis-C-Medikament bekommen hat.

Dennoch bleibt die Frage, was die heimischen Kassen gleich tun können, um die Ausgaben in den Griff zu bekommen.

Probst: Die Preispolitik ist ein Bereich, den man generell durchleuchten muss, und das aktuelle Beispiel ist ein Anlass, wo wir mit unserem Partner, der Industrie, intensiv reden werden müssen.

Es stehen die Verhandlungen zum Rahmenpharmavertrag an, der auch Rückflüsse der Industrie und des Handels in Form von pauschalen Rabatten, regelt. Werden Sie hier mehr Geld für die Kassen fordern?

Probst: Dazu äußere ich mich derzeit nicht.

Klingt das nach einem Ja?

Probst: Es bleibt dabei, da gibt es nichts Näheres zu sagen. Man wird aber sehr kritisch schauen müssen, wo Wirtschaftlichkeitspotenzial besteht und was an grundlegenden Maßnahmen in Richtung Konsolidierung anzudenken ist. Im Detail wird man sich den gesamten Versorgungsbereich ansehen müssen und auf der Basis von Zahlen die gesamte Wertschöpfungskette und den Beitrag jedes Einzelnen zur Versorgung genau anschauen.