Gezielte Fortbildung für junge Ärzte

ARZT & PRAXIS: Frau Doktor Hasenhündl, Sie sind als niedergelassene ­Ärztin in Niederösterreich tätig. Wo ­liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Dr. Martina Hasenhündl: Als niedergelassene Allgemeinmedizinerin in einer Wahlarztordination biete ich haupt­sächlich komplementärmedizinische Verfahren an, wiewohl ich auch ganz klassische hausärztliche Tätigkeiten ausübe – von der Behandlung von Kleinkindern bis zur Begleitung Sterbender. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Schmerztherapie, die ich während meiner Tätigkeit in der Schmerzambulanz des Wiener AKH erlernt habe.
Neben meiner Arbeit in der Ordination bin ich kammerpolitisch sehr aktiv. Ich bin Leiterin der Medizinischen Fortbildungsakademie der Ärztekammer Nieder­österreich (ÄKNÖ) und stell­vertretende Kurienobfrau der Kurie der niedergelassenen Ärzte.

Welche Aufgaben übernehmen Sie als Leiterin der Medizinischen Fortbildungsakademie der ÄKNÖ?

Zu meinen Aufgaben zählen die Auswahl interessanter Fortbildungsthemen sowie die Organisation von Fortbildungsveranstaltungen, wie beispielsweise die im Semesterbetrieb stattfindenden Samstagsfortbildungen im Haus oder der Turnusärztekongress, der heuer bereits zum 13. Mal stattfindet. Zum ersten Mal finden heuer auch die NÖ Ärztetage in Krems statt.
Im Moment stecken wir natürlich auch viel Energie und Ressourcen in die Vorbereitungen zur Glaubhaftmachung der ärztlichen Fortbildung, die am 1. September 2016 fällig ist.

Welche Maßnahmen setzt die ­Medizinische Fortbildungsakademie der ÄKNÖ, um die Ärzte zu regelmäßiger ­Fortbildung zu motivieren?

In Vorbereitung auf den Fortbildungsnachweis 2016 wurde bereits im Herbst 2014 eine große DFP-Informations­kampagne gestartet. Die Maßnahmen reichen von einer Fortbildungs-App, auf der alle niederösterreichischen Fortbildungen abrufbar sind (inkl. Links zu den angrenzenden Bundesländern Wien, Burgenland und Oberösterreich sowie zum DFP-Kalender), über E-Learning, Literaturstudium im NÖ Consilium, DFP-Sprechstunden in den NÖ Landeskliniken bis hin zu persönlichen Informationsschreiben an alle niederösterreichischen Ärzte ohne DFP-Diplom mit dem Serviceangebot, das DFP-Konto zu verwalten.
Die Dokumentation der Fortbildung ist aus unserer Sicht das Hauptproblem. Die Ärzte sind sehr gut fortgebildet, das sehen wir an den hohen Teilnehmerzahlen an unseren Fortbildungsver­anstaltungen. Nur: Sie sind es nicht gewohnt, ihre Fortbildungsaktivitäten in dem vom Gesetzgeber geforderten Ausmaß ­konsequent zu dokumentieren. Deshalb informieren und wiederholen wir immer wieder gebetsmühlenartig, dass die Fortbildung dokumentiert werden muss.
Vielleicht der beste Weg, die Ärzte zur Fortbildung zu motivieren, ist ein interessantes Angebot an Fortbildungen. Der Österreichische Impftag 2016 der Österreichischen Akademie der Ärzte war mit über 800 Teilnehmern ein Riesenerfolg. Man sieht, dass die Ärztinnen und Ärzte beginnen, Punkte zu sammeln, denn ihnen ist bewusst, dass der September naht.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Themen der Veranstaltungen aus?

Bei der Auswahl der Themen berücksichtigen wir gerne das Feedback und die Themenwünsche der Teilnehmer. Es sollen vor allem auch neue und ­komplementärmedizinische Inhalte ­angeboten werden, wie zum Beispiel die Gartentherapie, die insbesondere bei alten oder behinderten Menschen, aber auch bei Kindern große Erfolge zeigt. Bei der Gartentherapie ist man ein ­Gärtner. Man arbeitet mit Pflanzen, sieht, wie sie wachsen und gedeihen, man erhält Verantwortung für etwas und das stärkt psychisch und physisch. Aber auch die Musiktherapie gewinnt immer mehr an Gewicht, ebenso wie die Akupunktur.
Ein anderes Thema, das mir besonders wichtig ist, ist die Kommunikation – sowohl zwischen Arzt und Patient als auch unter Kollegen. Hier bieten wir viele ganz tolle Seminare an, die mittler­weile großen Anklang bei den Ärzten finden. Wir Menschen kommunizieren ja in erster Linie verbal; die Fähigkeit der Kommunikation über Bewegungen, über Schnuppern und Geruch ist uns im Laufe der Evolution mehr oder ­weniger abhandengekommen, sodass wir miteinander reden müssen. Deshalb ist es ganz wichtig, wie wir miteinander sprechen!

Für welche Themen/Veranstaltungen interessieren sich die Ärzte besonders?

Wir sehen hier einen klaren Trend zu Klassikern wie EKG-Kursen, Ultraschallkursen, Impfungen, Kardiologie-Update, Antibiotika-Update, Labormedizin oder Multimedikation. Leider, muss ich dazu allerdings sagen, denn das sind eigentlich Inhalte und Themen, die in der Ausbildung ganz klar behandelt werden sollten, was aber offensichtlich nicht in ausreichendem Maße der Fall ist. Wir bieten deshalb besonders für die jungen Kollegen in Ausbildung, für die Turnus­ärzte, die Serie „Turnus plus“ an. Hier werden Themen aufgegriffen, von denen wir hören, dass sie im Krankenhaus nur gestreift werden können – die Gründe dafür seien dahingestellt.
Darüber hinaus sind auch neue Themen, wie transkulturelle Kompetenz in der medizinischen Behandlung oder traditionelle europäische Medizin, beliebt.

Ein Fixpunkt im Veranstaltungskalender ist der Niederösterreichische Turnus­ärztekongress. Welches Konzept wird hier verfolgt?

Der Turnusärztekongress fand heuer bereits zum 13. Mal statt und auch hier ging es wieder um Themen, die in der Ausbildung etwas zu kurz kommen (Neurologie, Orthopädie, Dermatologie, Psychiatrie). Besonderer Wert wird auf den Praxisbezug gelegt, in Form von Fallpräsentationen und praktischen Übungen. Heuer standen ­beispielsweise ein Nahtkurs an Schweinefüßen, Grundlagen des orthopädischen Wirbelsäulenstatus sowie Notfallradiologie auf dem Programm.

Welche anderen interessanten ­Veranstaltungen sind für 2016 geplant?

Einer unserer Schwerpunkte ist, wie bereits erwähnt, die Fortbildung für Ärzte in Ausbildung. Die seit Sommer 2015 angebotene Serie „Turnus plus“ beinhaltet Seminare, die aus unserem allgemeinen Programm stammen, aber speziell für Jungärzte aufgebaut sind. Diese Veranstaltungen sind mit einem speziellen Logo versehen, sodass die jungen Kollegen sofort erkennen ­können: Das ist für mich interessant! Dadurch kommen Jungärzte auch vermehrt in Kontakt mit „alteingesessenen“ Ärzten – es findet ein interkollegialer Wissens­transfer quer über die Generationen statt, der für alle Beteiligten von Vorteil ist. Der Erfahrungsaustausch zwischen Ärzten ist ein ganz wichtiger Faktor der Fortbildung und des Lernens.
Besonders hinweisen möchte ich auf ein Seminar zum Thema „Flüchtlingsmedizin“, das am 16. April stattfinden wird. Es erwarten Sie u. a. Vorträge von Univ.-Prof. DDr. Wolfgang Graninger und Dr. Max Wudy, der selber bei der medizinischen Betreuung in Flüchtlingslagern aktiv mithilft. Auch die juristischen Aspekte dieses Themas werden von einem auf Asylrecht spezialisierten Richter beleuchtet.
Einen vielfältigen Mix aus medizinischen und nicht-medizinischen, im Berufs­alltag relevanten Vorträgen bieten die 1. Niederösterreichischen Ärztetage vom 1.–2. April 2016.

Welche nicht-medizinischen ­Fortbildungsangebote werden gut ­angenommen?

Das Interesse an unseren Seminaren zur Praxisgründung oder -niederlegung ist groß. Hier werden grundlegende Informationen zur Gründung einer Praxis (Kassenvertrag, ökonomische Grundlagen, rechtliche Grundlagen, notwendige Versicherungen, steuerliche ­Aspekte) erklärt. Dasselbe gibt es auch für die Schließung einer Praxis unter dem ­Motto „Gut vorbereitet in den Ruhestand“. Beide Seminare (Niederlassungs- und Niederlegungsseminar) werden zweimal pro Jahr angeboten und es gibt (sonstige) DFP-Punkte für den Besuch.

Welche rezenten und zukünftigen ­Entwicklungen sehen Sie für den Beruf des Arztes?

Die Work-Life-Balance der Generation Y ist eine andere als die meiner Generation oder auch der Generation davor, hier müssen wir und auch die Politik neue Schritte setzen. Im Moment sind 46 % der Turnusärzte Frauen, auch hier wird es oder ist es bereits zu einer ­großen Veränderung gekommen: Frauen haben eine andere Work-Life-Balance, schon allein aus dem Grund, dass sie oft auch Mutter sind. Sie können und wollen nicht von 7 Uhr früh bis 22 Uhr abends eine Ordination bedienen. Wir brauchen deshalb neue Kooperationsformen und Arten der Zusammenarbeit, wie z. B. Gruppenpraxen. Das könnte auch die so genannte erweiterte Gruppenpraxis sein, von der Politik als „Primary Health Care“ bezeichnet, wobei die Details der Umsetzung abzuwarten sind.
Niederösterreich ist das Bundesland mit den meisten Gruppenpraxen. Die Ärzte tendieren ganz klar in diese Richtung, sie möchten zusammenarbeiten – besonders die jungen Ärzte –, die wollen nicht mehr Einzelkämpfer in den Ordinationen sein.
Auch die Patienten haben sich verändert. Sie sind ganz anders informiert, holen sich auch abseits vom Arzt ­Informationen, und zwar rasch. Das ist aber weder für den Arzt noch für den Patienten immer von Vorteil. Der Patient ist also einerseits wissender und fordernder, er ist aber andererseits auch irgendwie ­entmündigt. Der klassische Hausverstand beispielsweise im Umgang mit einer Verkühlung, Halsschmerzen und dergleichen geht immer mehr verloren. Hier wäre es auch ­unsere Aufgabe, den Patienten aufzuklären. Ein weiteres Faktum ist, dass der Patient älter ist. Die durchschnittliche ­Lebenserwartung ist einfach gestiegen. Das heißt aber nicht, dass er gesünder ist. Er ist krank. Wir haben immer mehr ältere, sehr kranke Patienten, die betreut werden wollen und müssen.

Regelmäßige Fortbildung ist jedenfalls unverzichtbar. Warum ist das gerade im Bereich der Medizin so wichtig?

Der rasante Fortschritt im Bereich der Medizin macht ein kontinuierliches Wissens-Update unverzichtbar – Stichwort: lebenslanges Lernen. Laut amerikanischen Studien beträgt die Halbwertszeit des Wissens in der Medizin, aber auch in vielen anderen Berufen etwa fünf Jahre, das heißt, dass in diesem Zeitraum vorhandenes Wissen veraltet. Deswegen macht auch das 5-Jahres-Intervall beim DFP-Diplom Sinn. Um die eigene fachliche Kompetenz sicherzustellen und natürlich im Interesse des Patienten, müssen wir uns regelmäßig fortbilden. Das wird auch bereits den jungen zukünftigen Medizinern während des Studiums und der Ausbildung vermittelt.

Was erwarten Sie sich für den 1. ­September 2016, wenn die Ärzte ­erstmals einen Fortbildungsnachweis erbringen müssen?

Ich sehe dem 1. September 2016 mittlerweile gelassen entgegen, da wir allein aus den Teilnehmerzahlen an den Fortbildungen sehen, dass sich die Kollegen regelmäßig und intensiv fortbilden. Neu ist ja nicht die Verpflichtung zur Fortbildung, sondern lediglich die Dokumentation der Fortbildungsverpflichtung. Unzählige DFP-Diplome liegen im wahrsten Sinne des Wortes noch in den Schubladen, weil die Kollegen den scheinbaren bürokratischen Aufwand der Diplomeinreichung bislang gescheut haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir am 1. September 2016 wenngleich nicht 100 %, so doch einen sehr hohen Prozent­satz an Ärzten mit gültigem DFP-Diplom erreichen werden.

Wie sieht die Situation in ­Niederösterreich aus?

In Niederösterreich gibt es, wie in ganz Österreich, sehr große Zuwachsraten bei den eingereichten DFP-Diplomen. Unsere Aufgabe besteht größtenteils darin, die Kollegen administrativ bei der Einreichung des Diploms zu unterstützen. Daher bietet die Ärztekammer Niederösterreich als besonderen Service die Verwaltung des DFP-Kontos für unsere Ärzte an, indem wir beispielsweise die Verbuchung von im Ausland absolvierten Fortbildungen übernehmen und die Ärzte individuell auf ihrem Weg zum Diplom beraten.
Flächenmäßig große Bundesländer wie Niederösterreich sind gegenüber kleineren Bundesländern und vor allem Wien insofern im Nachteil, als die Ärzte größere Wege zurücklegen müssen, um an Fortbildungen teilzunehmen. Es bedarf deshalb noch größerer ­Aufklärung und Motivation der Kollegen. Und das sehen wir auch: Die Veranstaltungen in Niederösterreich sind gut besucht! Wir arbeiten auch eng mit der Wiener Ärzte­kammer zusammen – ein Beispiel dafür ist die „Lange Nacht der Fortbildung“, die wir gemeinsam organisieren. Diese fand letztes Jahr in Wien statt und ist für Dezember 2016 in Niederösterreich in der Burg Perchtoldsdorf geplant, einer sehr schönen Location, die auch für die Wiener Kollegen gut erreichbar ist. Ich halte es für ganz wichtig und sinnvoll, sich mit anderen Bundesländern, soweit logistisch möglich, zu vernetzen.

Welche Art der Fortbildung bevorzugen Sie persönlich?

Am liebsten ist mir die Präsenzfortbildung, weil man sich sowohl mit den Vortragenden als auch mit den anderen Zuhörern austauschen kann. Offene Fragen zum Vortrag, aber auch Aspekte abseits der Präsentation können diskutiert werden. Ich schätze den interkollegialen Kontakt und halte den Erfahrungsaustausch in der Medizin für sehr wichtig.
Nichtsdestotrotz ist E-Learning eine unglaublich tolle Sache, die von vielen Ärzten sehr geschätzt wird – das sehen wir an der enormen Zahl der absolvierten Diplom-Fortbildungs-Beiträge.