Volles Haus beim Österreichischen Impftag 2016

Der Österreichische Impftag 2016, veranstaltet von der Akademie der Ärzte und der Medizinischen Universität Wien, lockte heuer mehr Besucher an als je zuvor. Über 800 Ärzte, Apotheker und andere im Gesundheitswesen tätige Personen fanden sich am 16. Jänner im Austria Center Vienna ein, wo neue Forschungsergebnisse, Entwicklungen und Trends im Bereich der Vakzinologie präsentiert wurden. Auch die Neuerungen im Österreichischen Impfplan 2016 wurden vorgestellt. Der Besuch der Veranstaltung wurde mit 8 DFP-Punkten belohnt.

Personalisiertes Impfen

Wie in vielen anderen Fachbereichen – allen voran in der Onkologie – wird der Trend zur Personalisierung der Medizin auch in der Vakzinologie immer wichtiger. Unter dem Motto „Personalisierte Medizin – personalisierte Impfungen?“ widmete sich der Österreichische Impftag 2016 dieser Thematik. Die ­bisher geltende Impfstrategie „Eine Impfung passt für alle“ wird künftig nicht mehr für alle Personengruppen in einer sich demografisch stark verändernden Bevölkerung anwendbar sein.
Personalisierte Strategien nehmen Rücksicht auf mögliche individuelle immu­n­ologische oder genetische Veränderungen. Dafür müssen zunächst Risikogruppen identifiziert werden, z. B. Frühgeborene, ältere Menschen, Immunsupprimierte aufgrund einer Biologikatherapie, aber auch das Gesundheitspersonal, um nicht selbst zur Ri­sikogruppe für Ansteckung zu werden. „Was wissen wir über das Ansprechen auf Impfungen oder den Impfschutz dieser Risikogruppen? Wann muss ich die Impfstrategie ändern – und wie? Das ist die neue Fragestellung“, erläuterte Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Impftages.
Personalisiertes Impfen sollte keinesfalls mit dem Weglassen angeblich nicht notwendiger Impfungen verwechselt werden, wie MR Dr. Rudolf Schmitzberger, Impfreferent der Österreichischen Ärztekammer, betonte. Im Gegenteil: Dank der personalisierten Medizin könnten zunehmend auch jene Personen­gruppen geimpft werden, die bislang wegen ihres schwachen Immunsystems von Impfungen ausgeschlossen waren. Personalisierte Impfungen stehen also keineswegs in Konkurrenz zu breit angelegten Impfprogrammen (Stichwort: Kinderimpfprogramm), es handelt sich vielmehr um sich ergänzende Konzepte, die in unserer heutigen Gesellschaft parallel verlaufen müssen, um die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung gewährleisten zu können.

Impfpflicht für Gesundheitspersonal?

Praktisch alle Länder Europas ­empfehlen für Gesundheitspersonal mit Patientenkontakt bestimmte Impfungen aus ­beruflichen Gründen. Zum einen soll damit das Personal direkt vor impfpräventablen Infektionskrankheiten geschützt werden, zum anderen die Patienten indirekt durch Reduktion des Übertragungsrisikos. In vielen Gesundheitseinrichtungen inklusive der Krankenhäuser werden dem Personal deshalb beruflich indizierte Impfungen (z. B. Influenza, Hepatitis B, Pertussis und MMR) kostenfrei angeboten. Die ­Akzeptanz dieses Angebots ist allerdings sehr heterogen und hängt sowohl von der Art der Einrichtung als auch von der Berufsgruppe ab. So sind die Durchimpfungsraten in Praxen höher als in Spitälern und bei Ärzten besser als beim Pflegepersonal.
Diverse Bemühungen wie Aufklärungs- und Informationskampagnen, aufsuchendes Impfen am Arbeitsplatz, Anreizsysteme etc. bleiben meist ohne nachhaltigen Erfolg. Deshalb wird immer wieder der Ruf nach verpflichtenden Impfungen für das Gesundheitspersonal laut. Dr. Christiane Druml, Direktorin des Josephinums – Medizinische Sammlungen sowie Vorsitzende der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, und Prof. Dr. Ulrich Heininger, Facharzt für Pädiatrie und Infektiologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel, diskutierten in einer spannenden Pro-und-Kontra-Sitzung, welche Argumente für bzw. gegen die Impfpflicht für Gesundheitspersonal sprechen.

Pro: In Österreich gibt es zwar keine Impfpflicht für Gesundheitspersonal, die Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes hat jedoch am 1. Juni 2015 eine Stellungnahme zu den ethischen Aspekten des Impfens verabschiedet, die unter dem Motto „Information, Motivation und Transparenz“ steht. Im Mittelpunkt der Diskussion standen vor allem jene ethischen Aspekte des Impfens, die sich auf gefährliche Erkrankungen mit Mensch-zu-Mensch-Übertragung beziehen, so Druml. Im Bereich des Gesundheitspersonals fordert die Bioethikkommission nicht nur die Durchführung des Impfschutzes gemäß den Empfehlungen der zuständigen Behörden, sondern hält auch eine begründete Impfpflicht im Sinne des Nicht-Schaden-Prinzips für gerechtfertigt. Die Impfthematik soll in den Ausbildungscurricula aller Gesundheits­berufe verankert werden. Zudem empfiehlt die Bioethikkommission die transparente und effektive Information der Bevölkerung über mögliche Nebenwirkungen von Impfungen sowie über die mit der Grunderkrankung verbundenen Komplikationen.

Kontra: Gegen die Impfpflicht für Gesundheitspersonal spricht laut Heininger (unabhängig von seiner persönlichen Einschätzung), dass die Evidenz des Nutzens verpflichtender Impfungen begrenzt ist und die individuelle Entscheidungsfreiheit in Angelegenheiten der eigenen Gesundheit verletzt wird. Eine Verpflichtung fördert Widerstand, oftmals bis hin zum Boykott. Schwierig ist auch die Überinterpretation von unerwünschten Ereignissen nach verpflichtenden Impfungen mit negativen Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden und die Arbeitsfähigkeit. Und nicht zuletzt gibt es da auch noch die Problematik der Regelung von Ausnahmesituationen (z. B. medizinische Kontraindikationen, religiöse Gründe etc.). Heininger plädiert deshalb dafür, den richtigen (Mittel-)Weg zu ­finden – mit Überzeugung und Appell an die moralische Verpflichtung zum Schutz der Patienten.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Im Gesundheitswesen tätige Personen haben eine besondere Verantwortung – für sich und ihre Patienten – und sollten deshalb, auch was Impfungen betrifft, mit gutem Beispiel vorangehen. Die beim Österreichischen Impftag von Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt und dem Public-Health-Experten Dr. Armin Fidler vorgestellte unabhängige Initiative „Geimpft – Geschützt – Sicher“ appelliert an Angehörige des Gesundheitswesens, ihre ausreichende Immunisierung mittels Ansteckbutton zu zeigen. Durch das Tragen dieses Buttons, der einen stilisierten Antikörper und den Slogan der Kampagne zeigt, sollen vor allem Ärzte ihre Bereitschaft für Impfungen zeigen und sichtbar machen, dass sie selbst geschützt und somit sicher für ihre Patienten sind.

Eine spontane Umfrage (elektronisches Saalvoting) unter den Teilnehmern des Österreichischen Impftages erhob die Durchimpfungsraten des anwesenden Gesundheitspersonals für ausgewählte beruflich indizierte Impfungen. Knapp 70 % der Teilnehmer gaben an, gegen Masern (Mumps, Röteln) geimpft zu sein, 25 % haben die Erkrankung durchgemacht, 5 % sind sich über ihren Impfstatus im Unklaren (161 abgegebene Stimmen). Ähnlich waren die Zahlen für die Pertussis-Impfung: 60 % verfügen über einen aufrechten Impfschutz, 22 % haben die Erkrankung durchgemacht, 18 % wissen nicht, wie es um ihre Immunität gegen Pertussis steht (216 abgegebene Stimmen). Nach der Influenza-Impfung gefragt, gaben nur rund 17 % an, diese Saison geimpft zu sein; etwa 42 % erklärten jedoch, sich jedes Jahr gegen Grippe impfen zu lassen (205 abgegebene Stimmen).

Impftage in den Bundesländern

Dem richtungsweisenden Österreichischen Impftag werden weitere Impftage in den Bundesländern folgen, die zusätzlich praxisorientierte Fortbildung anbieten.

Impfskeptiker aufklären: Anlässlich des Wiener Impftages am 11. Februar 2016 wies Prim. Univ.-Lektor Dr. Peter Voitl, Referent für Impf- und Schul­ärzte der Ärztekammer Wien, auf die Bedeutung von Impfungen als „wichtigste präventive Maßnahme, die uns in der Medizin zur Verfügung steht“ hin. Ärzte müssten in diesem Sinne aktiv aufklären, freilich nicht ohne dabei auf mögliche Impfreaktionen und damit verbundene Ängste der Patienten bestmöglich einzugehen. Nur 2 % der Bevölkerung sind strikte Impfgegner, die weder durch Argumente, noch durch belegte Zahlen erreicht werden können. Deutlich größer ist die Gruppe der so ­genannten Impfskeptiker, die medizinischen ­Argumenten, wenn entsprechend vorgebracht, meist offen gegenüberstehen. Diese Gruppe gelte es zu erreichen, so Voitl: „Impfaufklärung hat stets auf Fakten zu beruhen. Diese liegen zur Genüge vor und sind in aller Regel auch für jene Menschen überzeugend, die Impfungen gegenüber ängstlich eingestellt sind.“

Impfen und Flüchtlinge: Der 7. Nieder­österreichische Impftag findet am 12. März 2016 im Stift Melk statt und konzentriert sich vor allem auf aktuelle Fragen im Bereich des Impfwesens. ­Inhalte und Themen sind die Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden/Flüchtlingen, Impfempfehlungen für Flüchtlinge und Personen mit Migrations­hintergrund, Impfschutz für Ersthelfer und Gesundheitspersonal sowie ungewöhnliche Infektionen bei Asylsuchenden/Flüchtlingen. Für die Teilnahme werden 8 DFP-Punkte vergeben.

 

Bildschirmfoto_2016-02-29_um_10.37.00_opt

 

Kommentar: Impressionen vom Österreichischen Impftag 2016

Wichtig ist mir, dass beim Österreichischen Impftag klar dargelegt ­wurde: „Personalisiertes Impfen“ bedeutet nicht, dass jeder Mensch seine eigene Impfung bzw. sein ­eigenes Impfkonzept haben kann. Vielmehr ist damit gemeint, dass für Menschen, deren Immunsystem geschwächt oder verändert ist (z. B. durch Erkrankungen, Medikationen oder Alter), das Impfvorgehen individuell angepasst werden muss. Das betrifft die Wahl des Impfstoffes (Lebend- oder inaktivierter Impfstoff), Impfdosen und Impfschemata sowie die Kontrolle der Impftiter. Am Österreichischen Impftag wurde dazu das Impfvorgehen bei Früh­geborenen, Schwangeren sowie ­Menschen unter Biologika­therapie besprochen.
Das individuelle Vorgehen bei Risiko­personen ändert aber nichts an der Wichtigkeit, die Durchimpfungsraten in der Normalbevölkerung zu steigern – zum Schutz des Individuums und zur Reduktion der Erregertransmission als Basis des Herdenschutzes. Die Folgen von zu geringen Durchimpfungsraten spiegeln sich deutlich am Beispiel von Masern wider: 2015 wurden 309 Masernfälle in ­Österreich registriert, über 7 % der Fälle betrafen das Gesundheitspersonal!
Die am Impftag initiierte Aktion „Geimpft – Geschützt – Sicher“, bei der mittels Ansteckbutton signalisiert wird, dass man als Angehöriger des Gesundheitspersonals geimpft ist, soll dazu beitragen, das Impfbewusstsein zu steigern und sein Gegenüber zu animieren, den eigenen Impfschutz zu kontrollieren. Mit dieser Aktion lädt man alle ein mitzumachen und erspart sich so vielleicht die Diskussionen über Impfpflicht.
Ein besonderes Highlight am Impftag war für mich der Vortrag von Prof. Andrew Pollard (Vorsitzender des Joint Committee of Vaccines & Immunization in England), der einen Blick in die Zukunft der Vakzinologie warf. Mithilfe der so genannten „omics-Technologien“ (Transcriptomics, Proteomics, Genomics) sollen künftig Non-Responder im Vorfeld identifiziert oder Personen mit erhöhter Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen herausge­filtert ­werden, die verbesserte Impfstoffe und -strategien benötigen. Auf diese Weise wird man nicht nur effizienter, ­sondern unter Umständen auch kostengünstiger präventivmedizinisch vorgehen können. Die Ära der personalisierten Medizin wird also ­einige Veränderungen und neue Ansätze in der Vakzinologie bringen – eine spannende Zeit liegt vor uns!