CED-Versorgung: Österreich hat Nachholbedarf…

In Europa leben über drei Millionen und in Österreich mindestens 40.000 Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), allen voran M. Crohn und Colitis ulcerosa. CED beginnen meist im Jugend- und jungen Erwachsenenalter und begleiten die Betroffenen viele Jahrzehnte. Die Ursache ist komplex und multifaktoriell, wobei eine genetische Prädisposition, Umweltfaktoren und Veränderungen des Mikrobioms sowie des Immunsystems wesentliche Rollen spielen. Diarrhö, imperativer Stuhldrang, abdominelle Schmerzen, Gewichtsabnahme, Fieber und Gelenkschmerzen sind die häufigsten Beschwerden. Operationen, schlechte Lebensqualität sowie soziale und berufliche Einschränkungen mit gehäuften Krankenständen und erhöhten Raten an Frühpensionen sind oft die Folgen.

Schlechtes Patienten-Feedback

Im Rahmen des Kongresses der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) hat IBD 2020, ein internationales Forum zur Verbesserung der Versorgungsqualität von CED-Patienten, eine Umfrage aus dem Jahr 2013 präsentiert. Befragt wurden über 5.000 Patienten aus sechs Ländern. Die Ergebnisse sind ernüchternd:

  • Ein Viertel musste über ein Jahr auf eine Diagnose warten.
  • Ein Drittel musste in den letzen zwölf Monaten eine Notfallambulanz aufsuchen.
  • Einer von fünf CED-Patienten klagte über fortwährende Symptome in den letzten zwölf Monaten.

IBD-2020-Vizepräsident Richard Driscoll ergänzte: „Mit nur 44% der CED-Patienten wurden die Behandlungsziele besprochen, und nur 20% der Ärzte halfen den Patienten im täglichen Umgang mit ihrer Erkrankung. Auch der Zugang zu einem multidisziplinären Team mit Gastroenterologen, Chirurgen, spezialisierten Krankenpflegern, Diätologen und Psychologen ist nicht in allen Ländern garantiert.“
Auch Dr. Marco Greco von der European Federation of Crohn’s and ulcerative Colitis Associations (EFCCA) kommentierte die Ergebnisse: „Die ärztliche Versorgung konzentriert sich oft auf die Qualität der Dienstleistung, der Therapie, auf den erhofften gesundheitlichen Outcome sowie auf die Wirksamkeit der gesetzten Maßnahmen. Auch wenn dies wichtige Aspekte sind, vergessen Ärzte oft auf die Lebensqualität der Betroffenen. Statt uns allein auf Therapie zu fokussieren, sollten wir Ärzte uns auch auf den einzelnen Patienten und seine persönlichen Bedürfnissen konzentrieren.“

Versorgungsrealität erfasst

„Um die ärztliche Versorgung der CED-Patienten zu verbessern, muss zuerst die aktuelle Versorgungssituation evaluiert werden. Nur wenn wir es schaffen, die Qualität der CED-Versorgung zu verbessern, kann es auch gelingen, einen Mehrwert für Patienten zu schaffen und die Kosten zu senken“, machte Prof. Dr. Daniel Hommes (Los Angeles) aufmerksam und stellte die POLARIS-Studie vor. Diese hat die Qualität der Versorgung von M.-Crohn-Patienten mittels Befragung von 640 Betroffenen mit einer mittleren Erkrankungsdauer von 13,5 Jahren sowie von deren Ärzten in Kanada und Deutschland festgestellt. 88,4% der Patienten in Kanada und 40,4% in Deutschland wurden in speziellen CED-Zentren behandelt, knapp 45% davon wurden von einem Arzt oder Spezialisten überwiesen. Die klinische Remissionsrate wurde von den Ärzten mittels Harvey Bradshaw Index (HBI) Score ermittelt. Die Gesamtremissionrate lag bei 76,3% (76,2% in Kanada and 76,3% in Deutschland). 14,7% der Patienten hatten ≥ 1 M.-Crohn-assozierte Hospitalisation im vergangenen Jahr, 5,9% mussten sich einer Operation unterziehen. Rund 45% der Patienten konsultierten ihren Arzt alle drei Monate und erhielten Immunsuppressiva (49,1%) und Biologika (45,2%). Die Verschreibungsraten waren jeweils höher, wenn die Therapie in einem CED-Zentrum erfolgte (Immunsuppressiva: 56,7% vs. 37,4%; Biologika: 50,3% vs. 37,4%). 14,2% der Patienten nahmen Steroide für ≥ 3 Monate. Die krankheitsbedingten Fehltage betrugen im Schnitt 4,3 Tage pro Monat. Die Studienautoren fassen zusammen, dass die hohe Remissionsrate aufzeigt, dass Morbus-Crohn-Patienten in Kanada und Deutschland gut versorgt werden, die Verschreibung von Immunsuppressiva und Biologika war aber relativ hoch, vor allem in CED-Zentren, in welchen immerhin über 50% der Patienten behandelt wurden.

Versorgungsziele definiert

Am ECCO wurden in einem gemeinsamen Kraftakt von Ärzten, Patienten, Patientenorganisationen und der Industrie konkrete Versorgungsziele definiert:

1. Patienten mit CED sollen:

  • mit dem Ziel, die Entzündung zu kontrollieren und ein Fortschreiten der Krankheit zu verhindern, behandelt werden
  • Zugang zu einer auf CED spezialisierten multidisziplinären Versorgung haben
  • Zugang zu allen therapeutischen Möglichkeiten haben
  • einen raschen Zugang zu einer spezialisierten Versorgung haben, um eine korrekte Diagnose zu ermöglichen
  • durch einen leichten Zugang zu Patientenschulungen unterstützt werden
  • über Studien informiert werden, für die sie geeignet sein könnten; deren Teilnahme sollte unterstützt werden, falls dies von Patientenseite gewünscht ist.

2. In der Patientenversorgung Tätige und Gesundheitsbehörden sollen die Rolle der Patientenselbsthilfegruppen unterstützen.

3. Regierungen und Gesundheitsbehörden sollten sicherstellen, dass die Versorgung von CED-Patienten ausreichend gewährleistet wird.

Auch in Österreich umsetzen

Die ECCO-Versorgungsziele sollen in vollem Umfang auch für Österreich gelten, fordert Univ.-Prof. Dr. Gottfried Novacek, Leiter der Arbeitsgruppe CED der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH), und hofft: „Vielleicht nimmt die heimische Politik die europäische Initiative, die durch ECCO angestoßen wird, zum Anlass, die Versorgung der österreichischen CED-Patienten zu verbessern.“
Novacek erläutert weiter: „Wir haben in Österreich in der Versorgung von CED-Patienten Nachholbedarf. Vor allem die fehlende Abstimmung zwischen Spitälern und niedergelassenen Ärzten führt dazu, dass versorgungswissenschaftlich sinnvolle Lösungen nicht zustande kommen. Die Zielsteuerungsverträge des Bundes und der Länder bieten die Möglichkeit, eine gute Versorgung von CED als klares Ziel zu definieren. Von dieser Möglichkeit sollte im Sinne der Betroffenen Gebrauch gemacht werden.“
Denn eine gute Versorgungsstruktur, die eine rasche Diagnose und eine effektive Behandlung ermöglicht, sei nicht nur für die betroffenen Patienten essenziell, sondern, wie Studien belegen, auch von volkswirtschaftlicher Bedeutung, so Novacek. Immerhin zählt CED laut einer Erhebung der Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) zu den teuersten Krankheiten. Jedoch werden weltweit nur 3% der Gesundheitsausgaben in Prävention investiert. 75% der Gelder fließen in Behandlungen und 70% davon in chronische Erkrankungen wie CED.

Therapieoptionen

„CED und deren Hauptformen M. Crohn und Colitis ulcerosa sind aktuell nicht heilbar, jedoch durch Behandlung meist beherrschbar. Funktionelle Einbußen des Magen-Darm-Traktes, Komplikationen und extraintestinale Manifestationen können zu einer körperlichen Behinderung führen. Das Repertoire der medikamentösen Therapie reicht bis zum Einsatz von Immunsuppressiva und Biologika“, erklärt Novacek. „Die derzeit effektivste Behandlung ist die Anti-TNF-Therapie. Viele neue Substanzen befinden sich in Entwicklung, die zukunftsträchtigsten sind jene, die das Homing von inflammatorischen Zellen in den Entzündungsre-gionen inhibieren“, ergänzte Prof. Dr. Michael Kamm (Melbourne, Australien).

Neueste Forschungsergebnisse

Ein Highlight am ECCO war die Präsentation der POCER-Studie (Post-operative Crohn’s Endoscopic Recurrence Study), die auch ausgezeichnet wurden. Mit einem Treat-to-Target-Design wurden die Aussagekraft des endoskopischen Monitorings nach einem Eingriff, der beste Zeitpunkt einer medikamentösen Therapie und das Risiko eines Rezidivs evaluiert. „Die meisten Patienten mit M. Crohn benötigen irgendwann im Verlauf ihrer Erkrankung eine intestinale Resektion, jedoch leiden viele an Rezidiven. Ziel der Studie war der Erhalt der Mukosa nach einer Resektion“, erklärte Prof. Kamm. Das Ergebnis der Studie: Die frühe Koloskopie und Step-up-Therapie – stets angepasst an die Rezidivneigung – sind einer alleinigen optimalen medikamentösen Therapie hinsichtlich des Auftretens eines Post-OP-Rezidivs überlegen. Ebenfalls untersucht wurde, ob das Messen eines spezifischen Markers (Calprotectin) das endoskopische Monitoring ersetzen kann. „Die Heimmessung von Calprotectin im Stuhl durch den Patienten selbst, hilft einerseits, den Patienten mehr in die Therapie zu involvieren und Eigenverantwortung zu übernehmen. Andererseits kann durch die Übermittlung der Messwerte eine erforderliche Anpassung der Therapie rasch durchgeführt werden. Damit können Akutsymptome und Rezidive rechtzeitig erkannt werden“, machte Kamm aufmerksam. Es zeigte sich, dass die Calprotectinmessung den bislang etablierten serologischen Markern und klinischen Scores überlegen ist.
Erstmals wurden auch die Daten der REACT-Studie von Prof. Dr. Brian Feagan (Ontario, Kanada) präsentiert. Die kanadische Studie verglich einen strukturierten Therapieansatz mit dem konventionellen CED-Management. Feagan: „Der strukturierte Ansatz hat das Potenzial Hospitalisationen und chirurgische Interventionen signifikant zu reduzieren.“
Auch die Ergebnisse der TOSCA-Studie mit dem Anti-MAdCAM (mukosales Adressin-Zelladhäsionsmolekül) monoklonalen Antikörper PF-00547659 wurden vorgestellt. Das Präparat verhindert das Homing von Immunzellen in exazerbierte Entzündungsregionen im Rahmen des M. Crohn, wenn Patienten nicht mehr auf eine Anti-TNF-Therapie ansprechen.
Weiters vorgestellt wurden viel versprechende Phase-II-Daten zu Tralokinumab, einem humanen monoklonalen Antikörper gegen das Zytokin Interleukin-13. IL-13 ist ein potenzieller Keyplayer in der Pathogenese von Colitis ulcerosa. i.c. Tralokinumab führte zu numerischen Verbesserungen einiger Wirksamkeitsparameter im Vergleich zu Placebo. Der Unterschied war nach acht Wochen (primärer Endpunkt) jedoch statistisch nicht signifikant.

Die Rolle des Mikrobioms

Bakterien im Darmlumen wurden als zentrale Treiber der Inflammation im Rahmen einer CED identifiziert, können aber auch einen schützenden Effekt ausüben. Am ECCO wurde aufgezeigt, dass das Bakterium Akkermansia muciniphila bei Patienten mit Colitis ulcerosa in geringerer Zahl vorhanden ist und eine zentrale Rolle im Erhalt der Integrität der Darmmukosa spielen könnte.
Auch Faecalibacterium prausnitzii ist im Darmmikrobiom von M.-Crohn-Patienten unterrepräsentiert. Es konnte ein Protein aus dem Bakterium identifiziert werden, das eine wichtige entzündungshemmende Rolle spielen könnte.

Quellen: ECCO 2014, MedUni Wien