Kinderdermatologie in Österreich – eine Bestandsaufnahme

Kinderdermatologie – Spezialdisziplin und Beispiel interdisziplinärer Zusammenarbeit

International hat die pädiatrische Dermatologie in den letzten vier Jahrzehnten einen enormen Aufschwung genommen und sich aus dem Sonderfach Dermatologie und Venerologie zu einer Spezialdisziplin entwickelt, die zunehmend Beachtung und Interesse findet. Die aktuelle Entwicklung wäre jedoch heute ohne enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von Dermatologen und Pädiatern nicht mehr denkbar. Mittlerweile profitieren die Vertreter beider Fächer und lernen laufend vonein­ander.

Pädiatrische Dermatologie im Wandel der Zeit

Als sich im 19. Jahrhundert das Fach Dermatologie und Venerologie aus den Gebieten der Inneren Medizin und der Chirurgie herauslöste, wurden bei Kindern in erster Linie Genodermatosen wie beispielsweise verschiedene Ichthyosen oder die Neurofibromatose, Entwicklungsstörungen wie kongenitale Naevi, neurokutane Syndrome, vaskuläre Malformationen und vaskuläre Missbildungssyndrome als „kinderdermatologische“ Fälle wahrgenommen.

Ende des 19. Jahrhunderts beschrieb Moriz Kaposi in Wien das Xeroderma pigmentosum, als Fall von „trockener Haut mit Pigmentstörungen“, und das Eczema herpeticatum. 1892 publizierte Ernest Besnier in Paris den Zusammenhang zwischen „endogenem Ekzem“ mit dem Hautsymptom Juckreiz und verschiedenartigen klinischen Erscheinungsformen, Heuschnupfen und Asthma.

Obwohl die Psoriasis schon seit Hippokrates bekannt war, wurde sie jahrhundertelang nicht von anderen schuppenden Dermatosen unterschieden. Die Besonderheiten der kindlichen Psoriasis waren lange nicht bekannt, beispielsweise dass die Psoriasis mit einer Prävalenz von 1% die zweithäufigste chronische Haut­erkrankung bei Kindern ist und dass in etwa 15% aller Fälle der Krankheitsbeginn vor dem 15. Lebensjahr liegt. Der Zusammenhang zwischen der Guttata-Form und einer zwei bis drei Wochen vorausgehenden Infektion mit b-hämolysierenden Streptokokken wie Tonsillitis oder streptogener perianaler Dermatitis und die Abgrenzung der Windelpsoriasis von der seborrhoischen Dermatitis oder der Windeldermatitis wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren diskutiert. Von einer annähernd adäquaten Behandlung – übrigens fast aller Dermatosen – war man damals noch sehr weit entfernt. Im weiten Spektrum der pädiatrischen Dermatologie wird heute besonderes Augenmerk auf neonatale Hautveränderungen und auf häufige Dermatosen wie atopisches Ekzem, Akne und Infektionen der Haut gelegt. Typisch für die Neonatalperiode sind das Erythema toxicum neonatorum, das Dermatologen heutzutage selten zu sehen bekommen, da die meisten Kinderärzte diese harmlose und selbstlimitierende Hautveränderung bestens kennen. Typisch sind weiters die transiente neonatale Pustulose, die Miliaria rubra und cristallina, die Acne neonatorum und die zephale neonatale Pustulose durch Candidainfektion.

Entwicklungsstörungen der Haut und Genodermatosen, die sich üblicherweise im Kindesalter erstmals manifestieren, erfahren durch die rasante Entwicklung der Molekulargenetik laufend Entschlüsselungen der Krankheitsentstehung, wodurch auch die Entwicklung neuer und wirksamer Therapien vorangetrieben wird. Heute können mit Hilfe von Molekularbiologie, Proteomics, Viromics usw. bei angeborenen Erkrankungen der Haut mit Beteiligung von Haut- und Hautanhangsgebilden grundlegende pathogenetische Erkenntnisse gewonnen werden, z.B. bei Pigmentstörungen mit und ohne Immundefekte und epidermalen Naevussyndromen. Die Kenntnisse der molekularen Grundlagen von kongenitalen Naevi und kindlichen Melanomen wurden dadurch entscheidend erweitert. Die letzten zwei Jahre haben Neuerungen auf verschiedenen Gebieten gebracht, wie in der Genetik vaskulärer Anomalien, der Infektiologie sowie der Immunologie und Allergologie. Es mehren sich Beschreibungen von autoinflammatorischen Erkrankungen im Grenzbereich zwischen Kinderrheumatologie und Kinderdermatologie, sowohl von monogenetischen Erkrankungen wie dem familiären Mittelmeerfieber oder dem Muckle-Wells-Syndrom als auch von – möglicherweise – polygenetischen Erkrankungen wie Hidradenitis suppurativa, Acne conglobata oder Pyoderma gangraenosum. Diese werden heute als Erkrankungen des „innate immune system“ angesehen und sind durch das Dominieren von Neutrophilen, NK-Zellen, plasmazytoiden dendritischen Zellen gekennzeichnet.

Neue und überarbeitete Klassifikationen und Therapieleitlinien wurden etabliert (S2k-Leitlinie Neurodermitis, EADV-Leitlinie Lichen ­sclerosus, ISSVA-Klassifikation vaskulärer Anomalien usw.). Nach dem Durchbruch der Betablocker in der Therapie infantiler Hämangiome in Risikolokalisationen konnte die Wirksamkeit von mTOR-Antagonisten wie Sirolimus bei tuberöser Sklerose und vaskulären Malformationen gezeigt werden. Das Angebot der Biologika für Kinder mit Psoriasis hat sich im vergangenen Jahr mit der Zulassung von Adalimumab ab vier Jahre und Ustekinumab ab zwölf Jahre, zusätzlich zu Etanercept ab sechs Jahre (erweiterte Zulassung 2011), erheblich vergrößert. Der selektive IL-1b-Blocker Canakinumab ist für Kinder mit einem „autoinflammatorischen Syndrom“ ab einem Alter von vier Jahren zugelassen.

Neu sind epidemiologische Arbeiten zur Erforschung von Risikofaktoren wie Sonnenexposition, aber auch Adipositas, wobei Dermatologen eine wichtige Rolle in der Prävention zukommt. Last, but not least mehren sich die Untersuchungen und Studien zu psychologischen Themen wie Lebensqualität, Schmerzen und Akzeptanz.

Pädiatrische Dermatologie in Österreich

Wie sieht die tägliche Praxis in Österreich aus? Bescheiden – im Vergleich zu den USA und Ländern wie Italien, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Spanien und Portugal. Wir haben gegenüber diesen Ländern einen – sagen wir es so – „gewissen“ Nachholbedarf.

Immerhin leiden 20–25% aller Kinder und Jugendlichen, die einen Kinderarzt aufsuchen, an einer Hauterkrankung. Den speziellen diagnostischen und therapeutischen Herausforderungen kann nur im Rahmen eigener kinderdermatologischer Sprechstunden Rechnung getragen werden. Idealerweise sollte dabei eine enge Zusammenarbeit mit Abteilungen für Kinder- und Jugendheilkunde und für Kinderchirurgie gepflegt werden. So ist es für uns Dermatologen ungewohnt, nicht mit einem einzelnen Patienten, sondern sofort und gleichzeitig auch mit dessen Eltern konfrontiert zu sein. Eltern haben praktisch immer einen enormen Informationsbedarf, und es kann ihnen die Interpretation von im Internet angebotenem Wissen kaum zugemutet werden.

Erste Schritte in Richtung einer schwerpunktmäßigen Betreuung von Kindern mit Hautkrankheiten wurden mit der Etablierung von kinderdermatologischen Sprechstunden an den Hautabteilungen und an den Universitätshautkliniken in Österreich gesetzt (eine Übersicht über die angebotenen Sprechstunden wird demnächst auf der Website der AG Pädiatrische ­Dermatologie der ÖGDV veröffentlicht ­(www.oegdv.at). Einzelne junge Kollegen in Fachausbildung und begeisterte Fachärzte betreiben diese Spezialsprechstunden und sorgen für die konsiliarische Betreuung der Kinder auf den Bettenstationen der pädiatrischen Abteilungen.

Optimal wäre jedoch auch die formale Einrichtung von Spezialabteilungen, damit pädiatrische Dermatologie nicht nur von interessierten, geübten Dermatologen und Pädiatern innerhalb entsprechender Rahmenbedingungen ausgeübt wird, sondern auch Lehre und Forschung entwickelt werden können, wie am Kinderspital in Zürich, am Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in Hamburg oder am Great Ormond Street Hospital in London, um nur einige zu nennen. Modellcharakter für Österreich hat sicher das EB-Zentrum der Universitätsklinik für Dermatologie der SALK, an dem nicht nur spezielle Betreuung und hochspezialisierte Therapie von Kindern mit Epidermolysis bullosa angeboten, sondern auch parallel intensive Grundlagenforschung betrieben wird. Derzeit entsteht an der Innsbrucker Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie ein Zentrum zur molekularen Diagnostik mit Schwerpunkt Ichthyosen und Barrierefunktionsstörungen. Die Vernetzung dieser Zentren mit den klinischen Abteilungen funktioniert bereits sehr gut.

Wenn auch die Versorgung der Kinder mit Hautkrankheiten heute überwiegend ambulant erfolgt, ist eine eigene kleine Bettenstation unter interdisziplinärer Führung für die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen mit akuten bzw. potenziell lebensbedrohlichen Dermatosen unbedingt erforderlich.

Schwerpunkte epidemiologische Forschung und Patienten­schulungsprogramme

Epidemiologische Forschung ist bedauerlicherweise nach wie vor ein Stiefkind in der (pädiatrischen) Dermatologie. Eine Initiative der Salzburger Universitätsklinik für Dermatologiee bestand in der Erfassung der Häufigkeit seltener Erkrankungen an den dermatologischen Abteilungen, eine weitere Initiative im Einzugsgebiet des Wiener Donauspitals in der systematischen Erfassung infantiler Hämangiome. Epidemiologische Daten sind nicht zuletzt deswegen von großer Bedeutung, als seltene Erkrankungen häufig erst spät diagnostiziert und oft auch inadäquat behandelt werden. Entweder fehlen Medikamente oder sie sind – meist auch als „orphan drugs“ – für die Patienten ohne entsprechende Refundierung nicht leistbar. Die Zahl der Patienten mit Neurodermitis steigt weltweit stetig an, mit einer besonders hohen Inzidenz in skandinavischen Ländern und in Australien. Um rasch zu einer adäquaten Therapie zu kommen, das „Doktor-Shopping“ und polypragmatische Ansätze zu vermeiden, können mittlerweile auch in Österreich geeignete Präventionsmaßnahmen gesetzt werden. 2010 wurden die ersten Neurodermitis-Trainer, Mitglieder der ÖGDV, nach dem Curriculum der deutschen „Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung“ (AGNES) in einem geförderten Programm der ÖGDV ausgebildet. Seit 2011 wird die Neurodermitisschulung nach dem AGNES-Curriculum für Patienten (und Eltern) von einzelnen Dermatologen in Österreich und an einigen Hautabteilungen angeboten. Gerade bei dieser Erkrankung tragen die Patientenaufklärung und -schulung und damit eine Form der Tertiärprävention einen ganz wesentlichen Teil zur Beherrschung der Krankheit bei. Die pathophysiologischen Grundlagen der chronisch-rezidivierenden atopischen Dermatitis und damit das Verständnis der Behandlungsprinzipien werden anhand eines Manuals weitergegeben. Den höchsten Bedarf haben Eltern von Kindern mit Neurodermitis zwischen null und sieben Jahren. Für ältere Kinder und Erwachsene werden die Curricula entsprechend modifiziert. Grundsätzlich wird eine Schulung in sechs Einheiten zu je zwei Stunden abgehalten, Wiederholungen sind nicht erforderlich. Durch die medizinische, verhaltenstherapeutische und ernährungstechnische Hilfe wird der Umgang mit der Krankheit erleichtert, und auch die Kosten, die vor allem durch Fehlzeiten der Patienten und/oder der Eltern im Beruf entstehen, werden gesenkt. Die hohe Akzeptanz der Veranstaltung durch die Eltern bzw. die Patienten bestätigt das Konzept.

Die Neurodermitisschulung eignet sich hervorragend als tertiäre Präventionsmaßnahme und kann umgehend für das derzeit im öffentlichen Gesundheitswesen angestrebte „patient empowerment“ eingesetzt werden. Bedauerlicherweise gibt es noch keine flächendeckende Finanzierung und somit noch keine Refundierung der Schulungskosten. Die Kosten wurden von der AGNES kalkuliert und betragen je nach Altersgruppe zwischen 400 und 700 Euro pro Patient bzw. Elternpaar. Zusätzlich zu den Schwerpunkten der Gesundheitsförderung bei Kindern bezüglich Übergewicht, Bewegungsarmut und Alkoholismus wäre es dringend notwendig, in der Öffentlichkeit und bei den Entscheidungsträgern in Gesundheitspolitik und Pharmaindustrie für eine Unterstützung der Präventionsprogramme für Kinder mit chronischen Hautkrankheiten zu lobbyieren, um auch die Neurodermitisschulung in ein derartiges Gesundheitsförderungsprogramm aufzunehmen.

Gemeinsames Engagement von Dermatologen und Pädiatern

Sicherheit ist im Zusammenhang mit Hautgesundheit und Hautkrankheit gerade bei Kindern und Jugendlichen ein wichtiges Thema. Für Jugendliche mit zystischer Akne (Acne conglobata), die auf Tetrazykline nicht anspricht, sind systemische Retinoide oft die einzige Option. Die Sicherheit im Umgang mit diesen hochwirksamen Medikamenten ist dabei, vor allem bei Mädchen, oberstes Gebot. Diese Therapie gehört primär in die Hände der Dermatologen, da sie über eine jahrzehntelange Expertise im Umgang mit Retinoiden verfügen und mit sämtlichen Sicherheitsaspekten bestens vertraut sind. Da mittlerweile auch bei Kindern zunehmend randomisierte Medikamentenstudien durchgeführt werden, nimmt die Patientensicherheit durch Verwendung zugelassener Präparate laufend zu.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor unnötiger Kontaktsensibilisierung (wie Tattoos, Haarfärbemittel und Enthaarungstechniken) ebenso wie der Schutz vor unkontrollierter UV-B-Exposition in Solarien, die in zahlreichen Ländern bereits zu einem Verbot des Besuchs von unter 18-Jährigen geführt hat, sind ein gemeinsames Anliegen.

Auf dem Gebiet der HPV-Impfung hat sich Österreich erfreulicherweise zum Vorreiter entwickelt. Mittlerweile stehen mehrere Impfstoffe zur Verfügung. International beispielhaft ist die Gratis-impfung in zwei Teilimpfungen für Mädchen und Buben ab der vierten Schulstufe bis zum vollendeten 12. Lebensjahr.

 

 

Aus- und Weiterbildungauf dem Gebiet der Kinderdermatologie

Sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene spiegeln sich die Aus- und Weiterbildungsaktivitäten auf Kongressen und Tagungen wider, die von der bereits 1973 in den USA gegründeten Internationalen Gesellschaft für pädiatrische Dermatologie (ISDP) und der etwas „jüngeren“ Europäischen Gesellschaft (ESPD) veranstaltet werden und auf reges Interesse von Dermatologen und Pädiatern stoßen. Weitere wichtige Beiträge zur postgraduellen Ausbildung leisten nationale und regionale Veranstaltungen, wie jene der Arbeitsgruppen nationaler Fachgesellschaften. In Österreich veranstaltet die Arbeitsgruppe ­Pädiatrische Dermatologie der ÖGDV gemeinsam mit der ÖGKJ und dem KLI für Kinderdermatologie den jährlichen Kinder-Haut-Tag in Wien. Von ursprünglich 80 Teilnehmern hat sich die Zahl der Besucher in den letzten fünf Jahren auf über 200 mehr als verdoppelt. Und es gibt exzellente Fachbücher auf dem Gebiet der pädiatrischen Dermatologie, wie von Heiko Traupe und Henning Hamm, von Peter Höger oder John Harper, um nur einige zu nennen. Auch Peter Fritsch widmete in seinem Lehrbuch der Dermatologie und Venerologie der pädiatrischen Dermatologie ein Kapitel unter den altersspezifischen Dermatosen.

Zukunftsaspekte!

Um den Herausforderungen auf diesem Gebiet noch besser begegnen zu können, ist, wie erwähnt, die zunehmende Professionalisierung mit Schaffung adäquater Rahmenbedingungen zu fordern. Zu fördern ist die regelmäßige Aus- und Weiterbildung auf diesem Spezialgebiet, z.B. im Rahmen des jährlichen Kinder-Haut-Tages und bei Schwerpunktveranstaltungen zu ausgewählten Diagnosen und Therapien. Engagement in klinischen Studien wurde bisher stark vernachlässigt und sollte unbedingt gefördert werden. Die klinische und die Grundlagenforschung sollten jedenfalls auch über die Schwerpunkte der seltenen Genodermatosen hinaus erweitert werden.