Therapie der überaktiven Blase

Laut ICS leiden 12% der Bevölkerung an einer überaktiven Blase. Das Krankheitsbild der Dranginkontinenz umfasst neben dem Harnverlust eine Nykturie, häufige Miktionsfrequenzen und einen unangenehmen imperativen Harndrang. Doch bereits die „Urgency“, d.h. der Symptomenkomplex ohne Harnverlust, ist für die Patientin belastend und bedeutet eine Einschränkung ihrer Lebensqualität.

Abklärung

In der Anamnese sollte ein Augenmerk auf die aktuelle Medikation gelegt werden: Eine Reihe von Medikamenten verschlechtert die Symptome einer Dranginkontinenz bzw. kann eine solche auslösen: Acetylcholinesterase-Hemmer, Schleifendiuretika, SSRI, Gliflozine etc. Hier kann die Patientin von einer engen Kooperation mit dem Hausarzt oder den Ärzten aus anderen Disziplinen profitieren, indem versucht wird, das auslösende Präparat zu wechseln, bevor eine medikamentöse Therapie der OAB initiiert wird.
Die OAB per se ist eine idiopathische Erkrankung. Andere Ursachen für die Beschwerden sollten vor Therapiebeginn ausgeschlossen werden: eine Infektion im unteren Harntrakt mittels Streifentest, ein Deszensus oder eine Atrophie durch die gynäkologische Untersuchung und eine Überlaufblase durch die Restharnmessung im Rahmen der Vaginalsonografie.1

Initiale Therapie

Die Sanierung einer Dranginkontinenz ist meist nicht durch die einfache Verschreibung eines Anticholinergikums möglich. Vielmehr begleitet der Arzt die Patientin mit Therapiebeginn in einem Prozess, in dem die Kontrolle über die Blasenfunktion wiederhergestellt werden sollte und dessen Therapieerfolg sich an der Lebensqualität der Patientin orientiert. Somit sollte zunächst eine Beratung bezüglich Lebensstil erfolgen2: Mehr als zwei Tassen Kaffee pro Tag können Drangsymptome verursachen. Außerdem auch Alkoholkonsum, kohlensäurehaltige Getränke und Fruchtsäfte. Bei Adipositas führt eine Gewichtsreduktion nachweislich ebenfalls zur Verbesserung der OAB. In Behandlung einer Physiotherapeutin mit Spezialisierung im urogynäkologischen Bereich kann die Patientin einerseits ein Blasentraining erlernen, andererseits auch ein Beckenbodentraining durchführen. Ein angeleitetes Training ist insofern wichtig, als 30% der Frauen ihren Beckenboden nicht adäquat aktivieren können.3 Diese profitieren vom Feedback durch die Therapeutin oder durch ein Elektrostimulationsgerät. Durch richtiges Anspannen des Beckenbodens ist es möglich, die Detrusorkontraktion zu unterdrücken und somit den imperativen Harndrang zu beherrschen. In der First-Line-Therapie der OAB ist Beckenbodentraining sogar einer oralen anticholinergen Medikation überlegen.

Östrogene:

Eine Cochrane-Analyse von 2012 beschreibt die Verschlechterung der Belastungsinkontinenz durch eine systemische Hormontherapie. Die lokale Östrogenisierung kann sich aber positiv auf eine OAB auswirken: Die Miktionsfrequenz sinkt durchschnittlich um 1–2/Tag, und auch die Urgency kann verbessert werden.4

Anticholinerge Medikation: Seit 30 Jahren wird diese Substanzgruppe in der Therapie der Dranginkontinenz eingesetzt. Die Detrusorkontraktion wird im parasympathischen System über M2- und M3-Rezeptoren in der Blase gesteuert. Die Anzahl dieser Rezeptoren ist individuell verschieden und auch altersabhängig, was unmittelbare Auswirkung auf den Therapieerfolg der anticholinergen Substanz hat. Außerdem sind antimuskarinerge Präparate unterschiedlich affin auch zu anderen M-Rezeptoren (M1, M4, M5), was sich in Form unerwünschter Nebenwirkungen manifestieren kann. Nicht vergessen werden darf, dass Trospiumchlorid als hydrophile Substanz über die Niere ausgeschieden wird, alle anderen oralen Anticholinergika werden in der Leber verstoffwechselt. Je nach Enzymaktivität kann es hier zu einer beträchtlichen Schwankung der Plasmakonzentration kommen, was wiederum ein Therapieversagen (bei niedrigen Serumspiegeln) oder das Auftreten von Nebenwirkungen (bei hohen Werten) erklären kann. In der Praxis kann in beiden Fällen durch einen Präparatewechsel das Outcome verbessert werden.5
Die Wahrscheinlichkeit für Arzneimittel-Wechselwirkungen ist bei Trospiumchlorid am geringsten, da v.a. ältere polypharmazeutisch versorgte Patienten oftmals Präparate einnehmen, die in der Leber metabolisieren.
Unrealistische Erwartungen der Patientin führen häufig zu einem Therapieabbruch6 und nur rund 20% der Frauen nehmen nach einem Jahr noch die vorgeschriebene OAB-Medikation ein.7 Hier kann ein regelmäßges Nachsorgeprogramm die Compliance fördern und sich somit günstig auf den Therapieerfolg auswirken.

 

 

Mirabegron: Diese neue Substanzklasse ist indiziert bei Kontraindikationen für eine anticholinerge Medikation, bei Unverträglichkeit und unzureichender Wirksamkeit derselben oder auch bei der geriatrischen Patientin. In der Wirksamkeit scheint Mirabegron der oralen anticholinergen Therapie zumindest gleichwertig zu sein.8

Therapieresistenz

Bei fehlendem Ansprechen der konservativen Therapie sollte zunächst die Richtigkeit der Diagnose hinterfragt werden. Am häufigsten können latente oder nicht erkannte Infektionen im Urogenitalbereich ursächlich für eine OAB-Symptomatik sein. Hier kann eine mikrobiologische Urinuntersuchung trotz negativem Streifentest und eine Untersuchung auf Chlamydien und Mykoplasmen weiterhelfen. Der nächste Schritt besteht in der weiterführenden Diagnostik mit Urodynamik und Zystoskopie. Bei Behandlungswunsch kann dann der Patientin entweder die intravesikale Botoxapplikation oder die sakrale Neuromodulation angeboten werden.

Zusammenfassung eines Vortrags im Rahmen der OEGGG-Herbsttagung gemeinsam mit der Jahrestagung der AUB, 22.–24. 10. 2015, Schladming

Referenzen:

 1 Schwantes U et al., Int Urogynecol J 2015; 26:1407–1414

 2 Lukacz E, Brubaker L, Schmader K, Park L, Eckler K, UpToDate: Treatment of urinary incontinence in women

 3 Lange R et al., Biofeedback und Elektrostimulation in der Therapie der Beckenbodenschwäche. Frauenarzt 2010; 442–445

 4 Oestrogentherapy for urinary incontinence in post-menopausal women. Cochrane Syst Rev 2012

 5 Wiedemann A, Therapierefraktäre OAB. Kontinenz Aktuell 2015; 2:12–19

 6 Jundt K, Anticholinergic therapy: do the patients take the pills prescribed? Arch Gynecol Obstet 2011 Sept; 284(3):663–6

 7 Benner JS, Patient-reported reasons for discontinuing overactive bladder medication. BJU 2010

 8 Khullar V et al., Eur Urol Suppl 2011; 10(2):278–279 Abstract 886