Vesikovaginalfistel nach gynäkologischen Operationen


Die Vesikovaginalfistel (VVF) wurde erstmals 1935 beschrieben. Damals wurde im Rahmen der Präparation einer ägyptischen Mumie (eine Königin der 11. Dynastie) eine große VVF entdeckt, welche voraussichtlich die Folge einer protrahierten Geburt („obstructed labor“) war.
Die Ätiologie der VVF ist geografisch sehr unterschiedlich. Zirka 90 % der VVF in Industrieländern sind Folge einer gynäkologischen Operation (am häufigsten nach totaler abdomineller Hysterektomie [70 %]). Die restlichen 10 % sind Folge von Bestrahlungen, Fremdkörpern, gynäkologischen Malignomen etc. Anders sieht die Verteilung und Ätiologie in Entwicklungsländern aus. Dort ist die VVF eine typische Folge einer protrahierten Geburt bzw. steht in Assoziation mit der Geburt in Form des so genannten „obstructed labor complex“.

Definition: Die VVF ist ein Verbindungstrakt zwischen Blase und Scheide und führt zu einem kontinuierlichen unfreiwilligen Austritt von Harn aus der Scheide. Dies zieht häufig große psychische, physische und soziale Beeinträchtigungen nach sich. Weitere nachgreifende Folgen können Infertilität, Infektionen etc. inkludieren. Zusätzlich kann man zwischen komplexen und komplizierten Fisteln unterscheiden. 

Die komplexe VVF definiert sich als eine VVF, die größer als 4 cm ist, mit oder ohne Beteiligung des Kontinenzmechanismus, als eine Fistel assoziiert mit Vernarbungen des Trigonums oder Fisteln mit multiplen Öffnungen sowie die vesikozervikovaginale Fistel. Komplizierte Fisteln definieren sich als Fisteln nach frustraner chirurgischer Versorgung oder als Fisteln, die größer als 6 cm sind, assoziiert mit komplettem Verlust der Urethra oder schwerwiegenden Vernarbungen der Blase, sowie alle rektovaginalen Fisteln und Fisteln induziert durch Bestrahlungen.

Die Inzidenz der VVF ist relativ unklar, wobei unterschiedliche Angaben in der Literatur existieren. Eine Übersichtsarbeit berichtet über eine Gesamtinzidenz von 0,33 % nach gynäkologischen Operationen. Eine weitere Arbeit beschreibt die Inzidenz einer VVF mit 8 auf 1.000 Hysterektomien.


Klinik und Symptome: Der Zeitpunkt der Symptomatik ist unterschiedlich. Dieser kann unmittelbar postoperativ mit einem vaginalem Harnverlust auftreten. Meist handelt es sich dabei um eine nicht erkannte Verletzung oder Perforation des Harntrakts. Beim Großteil der Patientinnen treten allerdings die Symptome zwischen dem 2.–10. postoperativen Tag auf, Zusatzsymptome wie Flankenschmerz mit oder ohne Fieber sind ebenfalls möglich.


Diagnostische Abklärungsmöglichkeiten be­inhalten


  • gynäkologische Untersuchung
  • Zystoskopie
  • Methylenblau-Instillation in die Blase (sinnvoll vor allem bei sehr kleinen VVF)
  • intravenöse Urografie und Zystografie (wichtig für die Beurteilung der Lokalisation des Fistelkanals sowie zum Ausschluss ureterovaginaler Fisteln)
  • Moir-Test

Operative Therapieoptionen: James Marion Sims berichtete erstmals über eine erfolgreiche Fistelversorgung im Jahr 1852 bei weiblichen Sklaven. Seither wurden verschiedene Operationstechniken, Modifikationen und operative Zugänge (transvaginal, abdominell, laparoskopisch, kombiniert) beschrieben. Die Erfolgsraten nach chirurgischer Fistelversorgung variieren in der Literatur zwischen 86 % und 100 %, wobei ähnliche Ergebnisse im Vergleich vaginaler zu abdomineller Zugang vorliegen. Zusätzliche Gewebeinterponate in der chirurgischen Versorgung (Martius-Lappen, Gluteallappen, Gracilis-Lappen) können hilfreich sein. 

Faktoren, die für eine erfolgreiche chirurgische Versorgung sprechen, inkludieren

  • eine exakte präoperative Evaluierung und Diagnostik
  • adäquate Abtragung der Fistel
  • gute Hämostase
  • Resektion von devaskularisiertem Gewebe
  • wasserdichter spannungsfreier Verschluss von Blase und Scheide

Die Wahl des chirurgischen Zugangs bleibt abhängig von der Ätiologie der Fistel, der Lokalisation, dem Schweregrad, der Größe sowie der chirurgischen Erfahrung des Operateurs. Die meisten Studien bestehen aus einer kleinen Fallzahl mit limitierter Erfahrung, sodass eine exakte Schlussfolgerung nicht getroffen werden kann.
Der vaginale Zugangsweg bietet den Vorteil einer geringeren Morbidität, bessere Wundheilung, den direkten chirurgischen (Fistel-)Zugang, weniger Invasivität (im Vergleich zum abdominellen Zugang), eine kürzere Operationszeit, kürzerer stationärer Aufenthalt, geringerer Blutverlust und weniger Schmerzen postoperativ. Am häufigsten wird die sogenannte Mackenrodt-Technik angewendet, wobei Gewebeinterponate meist zusätzlich verwendet werden. Klare Nachteile des vaginalen Zugangswegs beinhalten die Gefahr der Entstehung einer kurzen Scheide sowie Schwierigkeit bei hohen oder retrahierten Fisteln in der Nähe des SBS.
Der abdominelle Zugangsweg eignet sich vor allem für supratrigonal gelegene VVF, komplexe Fisteln nach Bestrahlung bei Patientinnen mit geringer Blasenkapazität sowie hohe Fisteln, welche von vaginal schwierig zu erreichen sind. Bekannte Nachteile stehen im Zusammenhang mit der Laparotomie, wie eine höhere Morbidität sowie ein längerer stationärer Aufenthalt.
Auch der optimale Zeitpunkt der operativen Versorgung bleibt neben dem operativen Zugangsweg nach wie vor unklar. Es existiert kein Konsensus, ob eine frühzeitige oder späte operative Versorgung sinnvoll ist. Weiters fehlt eine klare Definition des Versorgungszeitpunkts. Frühzeitige Versorgungen umfassen einen zeitlichen Rahmen von 1–3 Monaten, eine späte Versorgung liegt bei 2–4 Monaten nach dem Ereignis bzw. der Diagnose. Der Großteil der vorliegenden Arbeiten empfiehlt allerdings ein Zuwarten von 3–6 Monaten, mit einem anschließenden Versuch einer definitiven Sanierung der Fistel.

Das postoperative Management wird ebenfalls kontroversiell diskutiert. Ein Dauerkatheter wird postoperativ empfohlen, wobei die Dauer unterschiedlich angegeben wird (Minimum 24–72 Stunden postoperativ – in schwierigen Fällen sollte der DK über mehrere Wochen postoperativ belassen werden)


ZUSAMMENFASSUNG: Die VVF in Indus­trieländern ist eine typische Folge gynäkologischer Operationen, einer Irradiatio oder von Malignomen. Klinisch äußert sich das Beschwerdebild durch einen kontinuierlichen Harnaustritt aus der Scheide. Die chirurgische Versorgung wird primär empfohlen (Zugang abhängig von der Lokalisation) bzw. bei sehr kleinen Fisteln ist auch ein konservatives Management (Stent/Drainage) möglich. Die frühzeitige Transferierung der Patientinnen an ein Zentrum mit entsprechender operativer Erfahrung ist zu empfehlen und sinnvoll.