HIV und Dialyse

Seit der Einführung der kombinierten antiretroviralen Therapie (HAART) im Jahr 1996 hat sich die Prognose HIV-positiver Patienten deutlich verbessert. Bedingt durch das längere Überleben nimmt die Zahl von HIV-Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz zu, wodurch die Frage der idealen Nierenersatztherapie an Bedeutung gewinnt.

In den USA stieg die Prävalenz HIV-positiver Patienten an der Dialyse von 0,3% im Jahr 1985 auf 1,5% im Jahr 1992 und nimmt seither nur mehr langsam zu. Im Jahr 2002 waren 1,9% der Dialysepatienten HIV-positiv oder hatten Aids. Die Inzidenz steigt jedoch seit 1996 nicht  mehr an. Das spiegelt die Wirksamkeit der HAART wider. Bei Afroamerikanern sank die Anzahl der Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz bedingt durch eine HIV-assoziierte Nephropathie (HIVAN) von 8,5% im Jahr 1995 auf 6,8% im Jahr 1999. Gleichzeitig stieg das 1-Jahres-Überleben in dieser Population von 52% auf 69%. Das Auftreten einer HIVAN hängt eng mit der Viruslast zusammen. In Europa waren im Jahr 1990 0,12 % der Patienten an der Dialyse oder mit einem Nierentransplantat HIV-positiv (ERA-EDTA-Register). Eine rezente europäische Untersuchung zeigte einen Anstieg der prävalenten HIV-positiven Patienten mit Nierenersatztherapie auf 0,46%. In den vergangenen Jahren kam es zu einer Verschiebung der HIV-positiven Populationen mit terminaler Niereninsuffizienz. In der Altersgruppe der über 45-Jährigen ist bei Frauen und bei Kaukasiern eine Zunahme zu beobachten, während bei Afroamerikanern ein Rückgang beschrieben wurde.

 

Dialyseverfahren

 

Bedingt durch die neuen antiviralen Therapien hat sich das Überleben von HIV-positiven Patienten an der Dialyse deutlich verbessert. Das Überleben ist an der Peritonealdialyse und an der Hämodialyse vergleichbar (Abb.). Auch im Hinblick auf die Hospitalisierungsrate ergibt sich kein Unterschied (21 Aufnahmen/248,3 Patientenmonate vs. 24 Aufnahmen/207,9 Patientenmonate, n. s.).

 

 

Dialysezugang

 

Shuntthrombosen bzw. Shuntinfektionen sind häufig die Limitationen eines Hämodialysezugangs. Der Effekt der HIV-Infektion auf das Auftreten von Shuntthrombosen  bzw. Shuntinfektionen wird in der Literatur kontroversiell diskutiert.

In einer nordamerikanischen Studienpopulation hatten arteriovenöse (AV) Schleifenshunts bei HIV-positiven Dialysepatienten ein schlechteres Outcome als bei HIV-negativen Dialysepatien- ten (keine Thrombose innerhalb eines Jahres: 17 vs. 62% bzw. 1-Jahres-Schleifenshunt-Überleben: 49 vs. 77%). Die Hazard Ratio (HR) für eine Shuntthrombose lag für HIV-positive Patienten bei 3,22. Im Gegensatz dazu war die Thromboserate bei AV-Fisteln nicht erhöht. Der verantwortliche Mechanismus für die erhöhte Schleifenshunt-Thromboserate bei HIV-positiven Patienten ist nicht geklärt.

Infektionen des Schleifenshunts traten ebenfalls häufiger in der Gruppe der HIV-Infizierten (40 vs. 17%) auf (HR: 3,5). Die CD4-Zellzahl bzw. das Serum-Albumin schien hierbei keinen Einfluss zu haben.

Tunnelierte Katheter werden in den USA in ca. 25–28% bei Hämodialysepatienten verwendet und stellen einen der Hauptgründe für eine Bakteriämie dar. Dabei stellt sich die Frage, ob HIV-positive Patienten aufgrund der Modifikation ihres Immunsystems ein höheres Infektionsrisiko haben. In einem kleinen Studienkollektiv war die Rate an katheterassoziierten Infektionen nicht unterschiedlich (HIV-Patienten: 52%, Kon- trollkollektiv: 49%), jedoch waren mehr Hospitalisierungen bzw. polymikrobielle Infektionen bei HIV-Patienten mit Katheterinfektion festzustellen. Trotz gleichem Risiko war der Verlauf der Bakteriämien bei HIV-positiven Patienten schwer- wiegender. Zusammenschauend sollte bei HIV-positiven Patienten primär ein Cimino-Shunt erwogen werden.

 

Übertragungsrisiko bei der Dialyse

 

Eine Isolierung von HIV-positiven Patienten an der Hämodialyse ist im Gegensatz zu Hepatitis-B- und Hepatitis-C-positiven Patienten nicht notwendig. Hygienische Routinemaßnahmen und ein achtsamer Umgang mit Blut und Flüssigkeiten reichen aus, um eine Ausbreitung von HIV in einer Dialysestation zu verhindern. Im Falle einer Nadelstichverletzung ist das Risiko einer HIV-Infektion 4.000- bis 8.000-mal unwahrscheinlicher als eine Infektion mit Hepatitis B und Hepatitis C. Es wird aber eine postexpositionelle Prophylaxe empfohlen. Eine Übertragung von Patient zu Patient ist bislang in Institutionen mit strengen Hygienestandards noch nicht berichtet worden. Standarddesinfektion und Sterilisation sind ausreichend, um eine Übertragung zu verhindern. Daher sind für HIV-positive Patienten keine eigenen Dialysegeräte nötig. Bei den momentan verwendeten Dialysemembranen kommt es zu keinem Übertritt von HI-Viren ins Ultrafiltrat. Allerdings kommt es während einer Hämodialysebehandlung mit synthetischen Membranen zu einem Abfall der Viruslast. Dies dürfte aber durch eine Adhärenz der Viren an der Membran zu erklären sein.

Bei HIV-positiven Peritonealdialysepatienten ist zur Oberflächenreinigung eine Standarddesinfektion ausreichend. In der Peritonealdialysatflüssigkeit konnten jedoch replikationsfähige HI-Viren nachgewiesen werden. Der Peritonealdialyseauslauf sollte deshalb für 30 Minuten mit einer Desinfektionslösung behandelt werden. Als solche eignet sich eine Mischung aus Amukin 50% (1:512) und Haushaltsbleichmittel (1:512). Die Entsorgung der Flüssigkeit sowie der Beutel und der Schlauchsysteme erfolgt als Sondermüll.

 

Anämiemanagement

 

Der optimale Hämoglobinwert für HIV-positive Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz ist nicht bekannt. Die Anämie (Hämoglobin < 10g/dl) ist bei HIV-positiven Patienten unabhängig von der CD4-Zellzahl und der HI-Viruslast mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. Betroffen sind rund 30% der HIV-infizierten Patienten und ca. 75–80% der Aids-Patienten. Die Anämie ist meist multifaktoriell bedingt und eine Folge von Stromazellinfektion, Erythropoietinmangel, direkten HIV-Effekten an Erythrozytenvorläuferzellen, opportunistischen Infekten, Parvovirus-B19-Infektion, Nebenwirkungen medikamentöser (antiretroviraler) Therapien, HIV-assoziierter Malignome und selten von thrombotischer Mikroangiopathie.

Virale und bakterielle Infektionen verschlechtern das Ansprechen auf eine Erythropoietin-(ESA)-Gabe. Die Koexistenz von Niereninsuffizienz und HIV-Infektion aggraviert die Anämie bei verminderter ESA-Responsivität weiter. So ist auch bei HIV-positiven Dialysepatienten die Anämie deutlich ausgeprägter als bei HIV-negativen Dialysepatienten (Hämatokrit 22 vs. 26%). Die ESA-Responsivität wird in der Literatur kontroversiell diskutiert. In einer Studie war das Ansprechen auf ESA bei Dialysepatienten mit oder ohne HIV-Infektion vergleichbar.

In einer anderen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass bei gut dialysierten HIV-positiven Patienten die richtlinienkonformen Hämoglobin-Ziele sehr wohl erreicht werden können. Die bei Dialysepatienten mit HIV-Infektion notwendigen ESA-Dosen waren jedoch signifikant höher als bei Patienten ohne HIV-Infektion (90,2 ± 14,9 vs. 41,6 ± 12,5 U/kg KG). Unterschiede bestehen möglicherweise auch zwischen den einzelnen ESA-Präparaten. Bei unveränderter antiretroviraler Therapie und stabiler HIV-Infektion während des Beobachtungszeitraumes waren im Vergleich zu Erythropoietin alfa niedrigere Darbepoetin-Dosen notwendig, um den Hämoglobinwert bei > 11 g/dl zu halten (Äquivalenzdosis: 1 µg Darbepoetin alfa = 200 IU Erythropoietin alfa). Die Studienteilnehmer erhielten zusätzlich während des Beobachtungszeitraumes Eisensaccharose i. v. (S-Ferritin zwischen 200–800 ng/ml; TSAT > 20%). Im Rahmen einer ESA-Therapie kommt es häufig zu einem funktionellen  Eisenmangel, da nicht rasch genug Eisen aus den Speichern freigesetzt wird. Unter ESA-Therapie ist daher eine Eisensubstitution erforderlich, obwohl intravenöse Eisengabe bei HIV-positiven Patienten kontroversiell diskutiert wird. Oxidativer Stress und Eisen könnten via NFKB-Expression die HIV-Transkription aktivieren.

HIV-infizierte Patienten weisen oft erhöhte Ferritin-Spiegel auf. Diese sind jedoch ebenfalls mit der CD4-Zellzahl assoziiert und somit nur von eingeschränkter Aussagekraft bezüglich des Eisenmangels. Ein bestehender Eisenmangel kann in diesem Fall anhand einer verminderten Transferrinsättigung (< 20%) diagnostiziert werden. Das „Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO)“-Board empfiehlt eine Eisengabe bei einer Transferrinsättigung unter 20% und einem Serum-Ferritin unter 100 ng/ml.

Generell steigen bei HIV-positiven Patienten bei einem Hämoglobinwert über 10 g/dl die Lebensqualität und das Überleben. Gleichzeitig sinkt die Transfusionsfrequenz und damit das Risiko einer Infektionstransmission bzw. einer Eisenüberladung. Bluttransfusionen sind bei HIV-infizierten Patienten mit einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet. Einige Studienautoren postulierten als Grund dafür eine Induktion der Aktivierung von HIV-1, was eine HIV-Erkrankung akzelerieren könnte.

Parvovirusinfektionen sind bei Aids-Patienten eine weitere, wenn auch seltene Ursache für Anämie (pure red cell aplasia). Daran sollte vor allem gedacht werden, wenn HIV-positive Patienten nicht adäquat auf eine ESA-Gabe und Eisensubstitution ansprechen. Zur Diagnostik eignet sich vor allem die Polymerase Chain Reaction (PCR). IgM-Antikörper können bei immunkompromittierten Patienten fehlen. Die Anämietherapie der Wahl bei Parvovirusinfektion ist nach heutigem Wissen die Gabe von intravenösen Immunglobulin-Präparaten.

 

Mineralstoff-  und Knochenerkrankungen bei chronischer Nierenerkrankung

 

Bei HIV-positiven Patienten gibt es einige Berichte über vermehrte Osteoporose und Osteopenie. Die genaue Ursache für die frühe Abnahme der Knochenmasse ist nicht gänzlich geklärt. Allerdings dürften herkömmliche Risikofaktoren, die HIV-Infektion selbst, HIV-assoziierte Fettumverteilung, HAART und eine gesteigerte Produktion von proinflammatorischen Zytokinen (TNF-alpha  und IL-6) einen Einfluss auf Osteoklastenaktivierung und Resorption haben. Generell findet sich bei HIV-positiven Patienten mit normaler Nierenfunktion eine niedrigere basale Sekretion von Parathormon (PTH). Die Serumspiegel von 1,25-Dihydroxyvitamin D3 sind ebenfalls erniedrigt, während der Serumphosphatspiegel erhöht ist. Bei diesen Patienten exprimieren Nebenschilddrüsenzellen ein Protein, welches von gegen CD4-Zellen gerichteten Antikörpern erkannt wird. Dies dürfte ein Hinweis dafür sein, dass Nebenschilddrüsenzellen HIV-infiziert sind und  es dadurch zu einer gestörten Sekretion von PTH kommt. Besonders niedrige 1,25-Dihydroxyvitamin-D3-Werte sind mit einer niedrigen CD4-Lymphozytenzahl, einer fortgeschrittenen HIV-Infektion und erhöhten TNF-alpha-Spiegeln assoziiert. Bei HIV-positiven Patienten mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz entwickelt sich aber ein Hyperparathyreoidismus selben Ausmaßes wie bei HIV-negativen Dialysepatienten. Für dieses Kollektiv fehlen eigene Behandlungsrichtlinien.

 

Hepatitis-B-Impfung

 

In einer retrospektiven Kohortenstudie zeigte sich bei dialysepflichtigen Patienten mit oder ohne HIV-Infektion eine vergleichbare Immunantwort auf eine Hepatitis-B-Impfung mit EngerixB 40 µg bzw. Recombivax 40 µg (54 vs. 50%). Res- ponder der HIV-Gruppe hatten signifikant höhere Hämoglobinwerte als Non-Responder. Alter, Geschlecht und Rasse zeigten jedoch keinen Einfluss auf die Responserate. Die Studie ergab darüber hinaus, dass die Ansprechraten auf eine Hepatitis-B-Impfung in der Ära vor HAART besser war als in der HAART-Ära. Das legt nahe, dass die CD4-Zellzahl keinen Einfluss auf die Impfantwort hat. Derzeit wird bei Patienten ohne Anti-HBs-Antikörper initial eine dreimalige Impfung im Abstand von vier Wochen empfohlen, gefolgt von halbjährlichen Titerkontrollen. Die Auffrischungsimpfung sollte bei einem Abfall des Antikörpertiters auf unter 10 U/l erfolgen.

 

Überleben an der Dialyse

 

Bei HIV-positiven Patienten an der Dialyse wird eine höhere Morbidität und Mortalität beobachtet, aber seit Einführung von HAART hat sich das Überleben deutlich verbessert. In den Jahren 1990 bis 1999 verbesserte sich das 1-Jahres-Überleben von 56% auf 74%. Das Überleben von Kaukasiern und Afroamerikanern erwies sich in einer nordamerikanischen Untersuchung als vergleichbar, für Frauen zeigte sich ein besseres Überleben als für Männern. In einer späteren Untersuchung wurden französische HIV-positive Patienten (Dialysebeginn 2002) mit einer alters- und geschlechtsgematchten Kohorte aus DOPPS verglichen. Das 2-Jahres-Überleben lag in beiden Gruppen bei 89%. Die Unterschiede zwischen den europäischen und amerikanischen Ergebnissen sind teilweise dadurch zu erklären, dass in Europa zu einem späteren Zeitpunkt untersucht wurde und somit mehr Patienten bereits eine HAART erhielten (75  vs. 33%).  Die europäische Kohorte umfasste weniger Schwarze (65 vs. 83%), weniger Hepatitis-C-positive Patienten (27 vs. 68%) sowie weniger i.v.-Drogenabhängige (15  vs. 53%).  Weiters waren amerikanische Patienten seltener virusnegativ (18 vs. 54%) und hatten eine niedrigere CD4-Zellzahl. Der entscheidende Faktor für die bessere Prognose von HIV-positiven Dialysepatienten dürfte allerdings die Einführung von HAART gewesen sein. Zum Zeitpunkt des Ablebens sind HIV-positive Patienten signifikant jünger verglichen mit HIV-negativen Patienten. Dementsprechend findet sich auch ein anderes Spektrum an Todesursachen (Aids 49%, Infektionen 6%, kardiale Ursachen 17%, unbekannt 28%).

 

Literatur bei den Verfassern

 

 

NEPHRO Spot            Bedingt durch das bessere Überleben von HIV-positiven Patienten mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz werden Nephrologen zunehmend vor die Entscheidung hinsichtlich einer optimalen Nierenersatztherapie für diese Patienten gestellt. In einer europäischen Untersuchung der vergangenen Jahre ist das Überleben von HIV-positiven Patienten an der Dialyse jenem von HIV-negativen Patienten vergleichbar. Peritonealdialyse und Hämodialyse sind in Bezug auf Mortalität und Hospitalisierungsrate vergleichbar. Bei Hämodialysepatienten ist nach heutigem Wissen ein Cimino-Shunt mit dem geringsten Thrombose- und Infektionsrisiko behaftet. Bei HIV-positiven Dialysepatienten sind bezüglich Anämietherapie und auch in Bezug auf mögliche Mineralstoff-  und Knochenerkrankungen bei chronischer Nierenerkrankung einige spezielle Aspekte zu beachten.