„Ärzte sollen mehr Zeit für Patienten haben“

Die Bundesregierung hat nun die Reform der Krankenversicherungen vorgelegt und will aus 21 Kassen fünf machen. Dadurch soll eine Milliarde frei werden für die Patienten. Was wird die Reform den Ärzten und Apothekern bringen?

Beate Hartinger-Klein: In erster Linie wird es die Möglichkeit geben, dass sich die Ärzte mehr Zeit nehmen können für die Patienten. Dazu soll der Honorar- und Leistungskatalog auch endlich den aktuellen medizinischen Erfordernissen und Standards angepasst werden. Aus meiner Zeit im Hauptverband weiß ich, dass man immer versucht hat, das gemeinsam mit der Ärztekammer auf den neuesten Stand zu bringen, es aber bisher nicht passiert ist. Für mich ist das allerdings zentral. Deshalb habe ich auch den obersten Sanitätsrat aufgewertet und mit dieser Thematik beauftragt. Auch die Abstimmung zwischen intra- und extramuralem Bereich soll damit transparenter und effizienter werden. Das Ziel ist zudem, Leistungen zu vereinheitlichen.

Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass die Aktualisierung des Leistungskataloges klappen kann – es sind ja auch künftig die Ärztekammer und die Krankenkassen Verhandlungspartner.

Warum das bisher nicht geklappt hat, muss man auch die Ärztekammer fragen. Meine Wahrnehmung war immer, dass dieser Prozess natürlich sehr aufwendig ist. Ich denke, alle Beteiligten wollten sich das nicht antun. Man hat die bestehenden Tarife immer fortgeschrieben und auch alte Leistungen nicht herausgenommen. Ich bin zuversichtlich, dass das nun gelingt, weil die Ärztekammer das auch will und wir mit der Fusion der Kassen auch bessere Strukturen haben werden. Dazu kommt, dass es auch eine Forderung der Regierung ist, gemeinsame Leistungen zu definieren.

Hier gibt es die Sorge der Ärzte, dass es bei dieser Harmonisierung zu Kürzungen kommt, weil eine Angleichung nach oben sehr viel Geld kosten würde.

Natürlich muss ein Arzt genug verdienen, und ich sage sicherlich nicht, dass er künftig weniger verdient. Bis jetzt musste ein niedergelassener Arzt aber auf Quantität setzen und nicht auf Qualität, um entsprechend zu verdienen. So eine Situation kann keinem recht sein. Ein Arzt soll entsprechend verdienen, und seine Leistungen sollen adäquat bezahlt werden.

Wie soll das im Detail dann funktionieren?

Das ist im Detail Sache der Selbstverwaltung. Mir geht es darum, dass die Patienten überall die gleichen Leistungen bekommen und die Ärzte mehr für die Patienten da sein können.

Anders gefragt: Es wird bei der Zusammenlegung durch die Reform der AUVA auch zu weniger Einnahmen bei den Kassen kommen. Viele Experten bezweifeln, dass das ohne Einsparungen gehen kann.

Es wird keine Kürzungen bei Gesundheitsberufen oder Patienten geben. Das Ziel ist, dass Rationalisierungspotenziale ausgeschöpft werden. Wir verbessern auch Entscheidungsstrukturen. Man kann auch Dinge zentralisieren, wie etwa den Einkauf. Hier können wir viel einsparen. Das ist aber kein Thema, das die Ärzte betrifft. Ich bin überzeugt, dass es sich ausgehen wird. Allerdings wird man zuerst auch in einen Changeprozess investieren müssen. Mittelfristig geht es sich aber sicherlich aus. Wird werden diese Strukturänderung brauchen, weil es auch neue Herausforderungen im Gesundheitswesen gibt – etwa die Finanzierung von neuen Medikamenten.

Wie kann das gelingen, wenn Sie die duale Finanzierung im Gesundheitswesen zwischen Ländern und Kassen nicht angehen, sondern nur den Sozialversicherungsbereich reformieren? Experten fordern gerade im stationären Bereich Anpassungen, weil neue Medikamente oft Kosten im niedergelassenen verursachen, aber umgekehrt im stationären Bereich manche Strukturen gestrafft werden können. Die Reform macht den Ländern aber nun sogar Zugeständnisse.

Das ist richtig, man muss sich beide Bereiche ansehen. Im niedergelassenen Bereich wird es weiter den Erstattungsprozess geben. Das wird die neue ­Österreichische Gesundheitskasse übernehmen. Im stationären Bereich gibt es aber auch Projekte. Ich nenne hier etwa das Innovationsboard, das die steirische Spitalsgesellschaft KAGes derzeit für sieben Bundesländer ausarbeitet, und die Stadt Wien, die versucht, einen Erstattungskodex für den stationären Bereich anzugehen.

Soll es im stationären Bereich zu Konzentrationen kommen, wie das nun im niedergelassenen Sektor mit der Kassenfusion passiert?

Das ist Aufgabe der Länder, aber natürlich ist es wichtig, gerade im Hinblick auf die Fortschritte in der Medizin Kompetenzcenter zu schaffen. Gerade auch bei seltenen Erkrankungen ist das wichtig, um hier entsprechende Qualität zu schaffen. Dazu gibt es auch Kooperationen und Austausch mit deutschsprachigen Gesundheitsministern. Es geschehen gerade jetzt viele Entwicklungen in Richtung personalisierter Medizin. Da ist es wichtig, dass man verstärkt auf diesen Ansatz setzt. Und das braucht aber auch andere Strukturen, die wir erst aufbauen müssen.

Bleibt die Frage, wie Sie die Länder zu entsprechenden Reformen motivieren wollen.

Was die Gesundheitsreform betrifft, so ist mir die Zusammenarbeit zwischen den neuen Strukturen und den Ländern sehr wichtig. Das ist aber auch schon jetzt durch die Gesundheitsplattformen gewährleistet und wird noch mehr werden, etwa durch die geplante Aufwertung des Innovationsfonds, mit dem wir regional nötige Strukturen stärken wollen. Wesentlicher Punkt ist hier auch die Stärkung des klassischen Hausarztes. Wir verstärken hier Maßnahmen über alle Systempartner hinweg. Gleichzeitig wollen wir schon im Curriculum an den Universitäten anpassen und den Studenten die Vorteile des Berufes des Allgemeinmediziners darlegen. Auch die Gemeinden sind hier dann aufgerufen, Anreize zu schaffen. Es werden auch Zuschläge in bestimmten Regionen nötig sein. Außerdem habe ich zuletzt ein Abkommen mit der Europäischen Investitionsbank geschlossen, damit sich diese an Projekten zum Ausbau der gesundheitlichen Primärversorgung beteiligt. Dabei geht es um günstige Kredite zur Gründung von Primärversorgungszentren, aber auch für Einzelpraxen.

Kommen wir noch einmal zu den Kosten der Reform. Kritiker beziffern sie mit bis zu 1,5 Milliarden Euro. Sie sagen selbst, dass der Changeprozess auch etwas kosten wird. Woher soll das Geld kommen?

Hier muss die Selbstverwaltung selbst entscheiden, welche Strukturen sie braucht und wie das finanziert wird. Da muss die Selbstverwaltung etwa auch entscheiden, ob man auf Rücklagen zugreift.

Bleibt der Zeitplan der Kassenreform. Vertreter der Pharmaindustrie, die Erfahrung haben mit Fusionen, halten eine Zusammenlegung bis 2020 für ambitioniert bis unmöglich. Warum glauben Sie, dass es sich doch ausgeht?

Es gibt auch in der Sozialversicherung Menschen, die Erfahrungen mit Fusionierungen bei der Pensionsversicherung und VAEB haben. Man muss sich Ziele setzen, um hier auch Druck aufzubauen. Es ist richtig, dass es ein ambitionierter Zeitplan ist. Ich bin aber überzeugt, dass die handelnden Personen das zustande bringen werden. Man muss von Seiten der Politik einen Markstein setzen. Wenn die Akteure dann klarlegen, warum es vielleicht länger dauert, ist das auch in Ordnung. Wichtig ist, dass der Prozess für die Patienten und Versicherten passt.

Kritiker der Reform wollen sie durch den Gang zum Verfassungsgerichtshof zu Fall bringen. Besteht da nicht die Gefahr, dass es schon allein deshalb länger dauert und am Ende alles in ein Chaos mündet mit Strukturen, die vor dem Höchstgericht nicht halten?

Das Gesetz ist jetzt in Begutachtung. Warten wir jetzt einmal die Stellungnahmen ab. Möglich ist alles, wir sind aber überzeugt, dass wir die Reform so umsetzen können. Dass es für manche Funktionäre eine große Veränderung bedeutet, ist mir klar. Ich warte jetzt ab, was Stellungnahmen betrifft.

Warum gibt es eigentlich im Angestelltenbereich Fusionen, Selbstständige und Beamte bleiben aber bestehen? Ist nicht heute die Arbeitswelt so, dass man im Lauf eines Arbeitslebens öfters zwischen selbstständig und angestellt hin- und herwechselt?

Das ist jetzt einmal ein wichtiger erster Schritt. Es gibt auch schon jetzt bei Mehrfachversicherungen Vereinheitlichungen. Die Zusammenlegung auf eine einzige Krankenversicherung ist eine mögliche künftige Option. Jetzt sind wir einmal damit beschäftigt, und danach kann man weitergehen.

Beobachter sagen, dass das keine Reduktion der Träger ist, sondern aus neun Landeskassen nun zehn werden, weil die Länder bestehen bleiben und mit der ÖGK eine weitere Kasse kommt.

Das sehe ich nicht so. Letztendlich ist die ÖGK die Kasse für die Angestellten mit neun Landesstellen. Diese haben natürlich Servicefunktion und auch regionale Spielräume. Aber viel mehr Spielräume haben sie nicht.

Die Vertreter der Bundesländer sehen das anders. Sie jubeln, dass die regionale Autonomie bleibt.

Das mag so sein. Natürlich ist Zusammenarbeit mit den Ländern wichtig. Und die ist auch weiterhin mit den Landeskonferenzen möglich. Die Letztentscheidung hat aber bei allem die ÖGK.