Die Österreichische Gesellschaft für Pharmazeutische Medizin, kurz GPMed, widmet sich der klinischen Forschung in Österreich und möchte dazu beitragen, die Patientenversorgung in Österreich effizient zu gestalten, erklärte Univ.-Prof. Dr. Markus Zeitlinger, Vizepräsident der GPMed, bei seiner Eröffnungsansprache am 27. März 2025 im Hörsaalzentrum des AKH Wien.
Die Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Anwendung von Arzneimitteln außerhalb der Zulassung – wann ist was erlaubt?“ hatte zahlreiche Mitglieder der GPMed, Mitarbeitende des AKH Wien, der Medizinischen Universität Wien, der AGES sowie weitere Teilnehmer:innen aus der klinischen Forschung angezogen.
v.l.n.r.: Mag. Bernhard Mraz (GPMed-Präsident), Mag.a pharm. Martina Anditsch (Apothekenleitung Universitätsklinikum AKH Wien), Univ.-Prof. Dr. Markus Zeitlinger (GPMed-Vizepräsident), Univ.-Prof.in Dr.in Gabriela Kornek, ärztliche Direktorin AKH Wien, Dr.in Corina Spreitzer (AGES Medizinmarktaufsicht) und Mag. Daniel D’Orlando (BMASGPK); © Veronika Mikl
Mag. Daniel D’Orlando, Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, erläuterte in seinem Vortrag die rechtlichen Möglichkeiten, nicht zugelassene Arzneimittel in Österreich einzusetzen. Grundsätzlich ist auf nationaler Ebene eine Zulassung durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) erforderlich, um Arzneispezialitäten in Verkehr zu bringen und abzugeben. Davon sieht das Arzneimittelgesetz gewisse Ausnahmen vor, etwa Named Patient Use (NPU), Compassionate-Use-Programme (CUP) oder Rezepturvorrat (magistrale Zubereitungen durch Apotheker:innen; www.gpmed.at). Diese Ausnahmen ermöglichen die Behandlung von Patient:innen mit nicht zugelassenen Arzneimitteln unter bestimmten Bedingungen. Ferner spielt in diesem Bereich der Off-Label-Use eine große Rolle.
Beim NPU wird das nicht zugelassene Arzneimittel einem bzw. einer namentlich bestimmten Patient:in verabreicht, der/die mit zugelassenen und verfügbaren Therapien nicht ausreichend behandelt werden kann. Es besteht keine behördliche Bewilligungs- oder Meldepflicht, der Einsatz liegt in der Eigenverantwortung des Arztes bzw. der Ärztin.
Ein CUP ist eine zeitlich befristete Zulassungsausnahme und erlaubt die vorzeitige Abgabe für eine größere Patientengruppe, die an einer zur Invalidität führenden chronischen oder schweren Erkrankung leidet oder deren Erkrankung lebensbedrohend ist. Eine Genehmigung durch das BASG ist erforderlich.
Ein Off-Label-Use ist die Anwendung von Arzneimitteln außerhalb des durch die behördliche Zulassung gedeckten Anwendungsgebietes. Dies kann die Indikation, die Darreichungsform oder auch die Dosierung betreffen. Der Off-Label-Use ist im AMG weder verboten noch beschränkt. Allgemein kann die zulassungsüberschreitende Anwendung sogar geboten sein, wenn sie nach dem Stand der Wissenschaft medizinisch indiziert und therapeutisch notwendig ist. Ärzt:innen treffen dabei erweiterte Aufklärungspflichten und haftungsrechtliche Verantwortungen. In der Diskussion zum Vortrag kam unter anderem die Frage auf, wie man den „Stand der Wissenschaft“ definiert – hier muss stets auf den Einzelfall abgestellt werden, so die Antwort.
Dr.in Corina Spreitzer, Gutachterin für klinische Prüfung der AGES Medizinmarktaufsicht (MEA), erläuterte in ihrem Vortrag die Prozesse und Rechtsgrundlagen für Compassionate-Use-Programme (CUP) in Österreich. Diese Programme erlauben die Anwendung von Arzneimitteln ohne Zulassung gemäß Artikel 83 der Verordnung 726/2004/EG und § 8a AMG, um schwer erkrankten Patient:innen, bei denen keine zufriedenstellende Behandlung durch zugelassene Arzneimittel erreicht werden kann, Zugang zu ermöglichen. Eine Liste aller in Österreich genehmigten CUP-Verfahren ist auf www.basg.gv.at zu finden.
Berechtigt zur Antragstellung ist der Hersteller, wenn er auch Sponsor einer genehmigten klinischen Prüfung für das betreffende Arzneimittel ist, oder der Antragsteller einer Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels. Einzureichen sind bei der Antragstellung auf jeden Fall Behandlungsprotokoll, Patienteneinverständniserklärung und Prüfpräparate-Dossier (IMPD). Im Behandlungsprotokoll muss u.a. begründet werden, warum der oder die Patient:in nicht mit zugelassenen Arzneimitteln zufriedenstellend behandelt werden kann und warum er oder sie nicht in eine laufende klinische Prüfung einbezogen werden kann. Zudem ist es wichtig, dass die Patientengruppe des CUP klar definiert wird. Wurde bereits ein Zulassungsantrag für das Arzneimittel gestellt, sollte dies ebenfalls angeführt werden.
Der Inhaber eines CUP hat sicherzustellen, dass das Arzneimittel längerfristig eingesetzt werden kann (bis es zugelassen verfügbar ist). Zudem stellt sich die Frage, welche Daten erhoben werden, denn ein CUP soll eine klinische Prüfung nicht ersetzen, wie Spreitzer betonte. Sicherheitsrelevante Daten können aber gesammelt werden. Für vermutete Nebenwirkungen gelten dieselben Meldeverpflichtungen wie für zugelassene Arzneimittel. Die Prozessbeschreibung bei der Behörde fasste die Expertin wie folgt zusammen:
Validierung => fachliche Begutachtung => Bescheiderstellung => Veröffentlichung auf der BASG-Website.
Über individuelle Heilversuche und Off-Label-Use am Universitätsklinikum AKH Wien berichteten Univ.-Prof.in Dr.in Gabriela Kornek, ärztliche Direktorin AKH Wien, und Mag.a pharm. Martina Anditsch, Apothekenleitung Universitätsklinikum AKH Wien, in ihrem Vortrag: Im Universitätsklinikum AKH Wien wurde ein Bewilligungsprozess für Heilversuche und Off-Label-Einsatz am AKH etabliert. Wichtige Grundlage ist immer eine realistische Nutzeneinschätzung. Ziel des Prozesses ist es, den bestmöglichen Outcome für Patient:innen unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte zu ermöglichen.
Ein Antrag kann für Produkte im Hochpreissegment, den erstmaligen Einsatz im AKH, den Off-Label-Einsatz oder bei individuellem Heilversuch (NPP) gestellt werden. Am AKH Wien werden solche Anträge zentral genehmigt. Das Tumorboard bzw. das Precision Medicine Board bewertet die medizinische und therapeutische Notwendigkeit von Named Patient Use oder Off-Label-Use. Die Evaluierung des Therapieansprechens erfolgt nach 3–6 Monaten durch ärztliche Untersuchungen und Dokumentationen.
2024 wurden am AKH Wien 116 Ansuchen für Off-Label-Use sowie Heilversuche gestellt.
Die Vorträge verdeutlichten die Bedeutung der Arzneimittelzulassung als Sicherheitsgarant für Patient:innen, während gleichzeitig dargestellt wurde, warum Ausnahmeregelungen wie Named Patient Use, Compassionate-Use-Programme und Off-Label-Use benötigt werden. Durch diese Ausnahmen können Ärzt:innen flexibel auf individuelle Patientenbedürfnisse reagieren, insbesondere bei schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Die Vorträge und die anschließenden Diskussionen zeigten, wie bedeutsam eine Balance zwischen regulatorischen Anforderungen und einer gewissen Flexibilität in der medizinischen Behandlung ist, um den bestmöglichen therapeutischen Outcome für Patient:innen zu gewährleisten.