Molekulare Marker sind aus der modernen Onkologie nicht mehr wegzudenken, stellen jedoch die bestehenden Klassifikationssysteme vor erhebliche Herausforderungen. ICD und ICD-O bilden genetische und molekulare Tumoreigenschaften nur unzureichend ab. Terminologien wie SNOMED CT ermöglichen eine präzisere und flexiblere Dokumentation, die dem aktuellen Stand der Forschung besser gerecht wird. Voraussetzung dafür ist eine strukturierte Integration in bestehende Dokumentations- und Registersysteme.
Genetische und molekulare Eigenschaften von Tumoren rücken in der Diagnostik, Therapieplanung und Prognoseeinschätzung in den Vordergrund. Die Dokumentation und in Folge Krebsregister und Krebsstatistik stehen damit vor einer neuen Herausforderung. Die Klassifikationen der WHO (World Health Organization), wie ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) oder ICD-O (International Classification of Diseases for Oncology), wurden entwickelt, bevor der Fokus auf genetische oder molekulare Tumoreigenschaften gerichtet war, und bilden diese daher nicht bzw. kaum ab.
Die ICD-10 beschränkt sich bei soliden Tumoren in der Regel auf die Angabe der Lokalisation. Ein allgemeiner Code für „Lungenkrebs“ kann um die Angabe der Region wie z. B. „Oberlappen“ erweitert werden. Darüberhinausgehende Informationen können mit dieser Klassifikation nicht dokumentiert werden. Neben der derzeit gültigen Version ICD-10 ist im Januar 2022 die neue Version ICD-11 in Kraft getreten. Die ICD-11 stellt Codes für z. B. „Adenokarzinom des Bronchus oder der Lunge“ oder „Kleinzelliges Karzinom“ bereit. Die betroffene spezifische Anatomie der Lunge ebenso wie molekulare Merkmale können mit „Extension Codes“ dokumentiert werden. Abgesehen von der Komplexität dieser Version gibt es aktuell nur eine deutsche Entwurfsfassung, die aus lizenzrechtlichen Gründen noch nicht nutzbar ist.1
Die ICD-O-3 stellt eine Erweiterung der ICD-10 für die Onkologie dar. Die aktuelle Version ist die ICD-O-3, zweite Revision von 2019. Die ICD-O basiert auf Tumorlokalisation und Morphologie. Diese Klassifikation wird von Krebsregistern verwendet und kann „Lunge, Oberlappen | Adenokarzinom“ abbilden. Relevante Subgruppen, die sich aus der molekularen Diagnostik ergeben, wie z. B. die „EGFR-Mutation bei einem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom“, können in dieser Klassifikation nicht abgebildet werden. Die Version ICD-O-4 ist aktuell in Erarbeitung. Die Logik der Codierung bleibt gleich, es werden lediglich neue Lokalisations- und Morphologiecodes ergänzt. Die Morphologiecodes werden von 4 auf 5 Stellen erweitert und sollen auch Erkenntnisse aus der aktuellen Tumorforschung abbilden. Bisherige Revisionen der ICD-O berücksichtigten die Codes der Blue Books der WHO.2
WHO Blue Books
Die WHO-Reihe zur Klassifizierung menschlicher Tumoren (World Health Organization Classification of Tumours, auch bekannt als Blue Books)3 kombiniert histopathologische Diagnosen mit digitaler sowie molekularer Pathologie. Seit etwa 2016 fließen zunehmend molekulare Marker in die Definition einzelner Entitäten ein.
Ergänzend zu den Klassifikationen erlangen medizinische Terminologien bzw. Nomenklaturen zunehmend an Bedeutung. Eine Terminologie oder Nomenklatur ist eine Sammlung, ein Katalog anerkannter Fachwörter zur Beschreibung der Einheiten, Objekte, Zustände, Prozesse usw. eines Fachgebietes.4 Diese eignen sich, genauso wie Klassifikationen, um Informationen zu codieren und damit standardisiert auswertbar zu machen. Da sie keine „sprechenden Codes“ haben und keine rein durch die Codes gegebenen inhaltlichen Gruppen vorgeben, sind sie wesentlich leichter anpassbar. Gibt es eine neue Forschungserkenntnis, kann ein Code ergänzt werden. Eine der bedeutendsten und umfassendsten medizinischen Terminologien ist die SNOMED CT (Systematized Nomenclature of Medicine Clinical Terms).5
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Dokumentation molekularer Eigenschaften von Tumoren auf die Nutzung medizinischer Terminologien bzw. Nomenklaturen setzen muss, da Klassifikationen dem aktuellen Forschungsstand hinterherhinken. Gibt es in einer Klassifikation keinen Code, der alle Informationen abbilden kann, führt dies zu Informationsverlusten. Wesentlich ist, dass es Zuordnungen der Codes der Terminologien bzw. Nomenklaturen zu den Klassifikationen wie ICD und ICD-O gibt (Mapping). Die übergeordneten Konzepte der Klassifikationen werden benötigt, um Daten zusammenzufassen und die Ergebnisse in einer begreifbaren Form darzustellen. Es hat keinen Mehrwert, eine Tumorerkrankung nach verschiedenen Terminologien bzw. Nomenklaturen und Klassifikationen zu codieren. Mehrfachkodierungen sind aufwändig, fehleranfällig und dringend zu vermeiden.