Wie Demenz System und Gesellschaft verändert

© Merck/APA-Fotoservice/Tanzer

Neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz bringen Forschung und Politik unter Zugzwang. Bei einer Veranstaltung wurden neue Ansätze gegen Demenz diskutiert. 

Am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) in Wien fand dieser Tage das Health Science Forum Vienna statt. Im Fokus stand die Frage, wie Forschung, Prävention und Versorgung auf die rasant steigenden neurodegenerativen Erkrankungen reagieren können. „Wir müssen viel früher hinschauen, wenn wir die Versorgung langfristig sichern wollen“, betonte Julia Ferrari, Abteilungsvorständin für Neurologie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien und President Elect der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN). Frühzeitige Diagnostik und ein konsequenter Fokus auf Prävention seien, so Ferrari, entscheidende Faktoren, um langfristig Versorgungslasten zu mindern.  

Jürgen A. Knoblich, Direktor des IMBA und Professor für Synthetische Biologie an der MedUni Wien, skizzierte den aktuellen Stand der Hirnorganoid-Forschung. Die Technologie ermöglicht es, krankheitsrelevante Prozesse im Labor realitätsnah nachzubilden und potenzielle Wirkstoffe präziser zu testen. Damit eröffnen sich neue Perspektiven für personalisierte Therapieansätze. „Unser Ziel ist es, die Mechanismen neurodegenerativer Erkrankungen wirklich zu verstehen – erst dann können wir Therapien entwickeln, die im Alltag der Menschen ankommen“, sagte Elly Tanaka, wissenschaftliche Direktorin des IMBA. 

In der darauffolgenden Podiumsdiskussion wurden die medizinischen Erkenntnisse um gesellschaftliche, politische und ökonomische Aspekte erweitert. Merck-Österreich-Geschäftsführer Leif E. Moll warnte eindringlich: „Wir dürfen die Dimension dieser Herausforderung nicht unterschätzen. Gleichzeitig liegt enorme Kraft in Prävention und Forschung – beides entscheidet darüber mit, wie wir als Gesellschaft altern.“ Er verwies auch auf die Schwierigkeiten in der pharmazeutischen Entwicklung, etwa hohe Ausfallquoten in späten Studienphasen, Wirkstoffe, die im Labor vielversprechend sind, aber in klinischen Tests an Sicherheit oder Wirksamkeit scheitern, sowie enorme Forschungs- und Entwicklungskosten, die nur selten zu marktreifen Therapien führen. 

Gesundheitsökonom Ernest G. Pichlbauer betonte ebenfalls den Präventionsbedarf: „Wir wissen, dass das Demenzrisiko ab 65 explodiert. Trotzdem investieren wir viel zu wenig in Primärprävention und erreichen jene Menschen am schlechtesten, die es am dringendsten bräuchten.“ Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger, lenkte den Blick auf familiäre Pflegeleistungen: „Pflegende Angehörige sind oft die Ersten, die Veränderungen bemerken. Sie brauchen rasche Unterstützung, um gemeinsam mit ihrem betroffenen Angehörigen zu einer umfassenden Diagnose zu kommen, die auch ihnen den Zugang zu Unterstützungsleistungen sichert.“ Sie wies zudem auf die zunehmende Bedeutung postakuter Infektionssyndrome hin. (rüm)