Frauen in klinischen Studien

Bei der Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Pharmazeutische Medizin (GPMed) am 16.10.2025 drehte sich alles um die Teilnahme von Frauen an klinischen Studien und welche Herausforderungen damit verbunden sind. Nach einer kurzen Eröffnungsansprache von GPMed-Vizepräsident Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Markus Zeitlinger und GPMed-Generalsekretär Univ.-Prof. Dr. Bernd Jilma starteten sechs spannende Vorträge, die unterschiedliche Aspekte des Themas behandelten.

Gendermedizin in klinischen Studien

Ap. Prof. Priv.-Doz. Dr. Michael Leutner, PhD, MSc, Univ.-Klinik für Innere Medizin III, MedUni Wien, betonte gleich zu Beginn, dass die Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen Unterschieden in der klinischen Forschung ebenso wie in Diagnostik und Therapie von großer Bedeutung sei. Auch wenn Gendermedizin in den letzten Jahren vermehrt in klinischen Studien mitberücksichtigt werde, werden Frauen immer noch häufig aus Studien ausgeschlossen. Die Gründe dafür sind laut Leutner u.a.:

  • die Annahme, dass Wirkung und notwendige Dosis bei Frauen dieselbe seien wie bei Männern
  • Beeinflussung der Ergebnisse durch hormonelle Veränderungen bei Frauen über die Lebensspanne
  • Möglichkeit einer Schwangerschaft während der Studie und nicht berücksichtigbare fruchtschädigende Wirkung von neuen Medikamenten

Dieser Gender-Bias in klinischen Studien hat gravierende Auswirkungen wie z.B. falsche Dosierungen, falsche Annahmen bezüglich Wirkung sowie unerkannte bzw. nicht berücksichtigte Nebenwirkungen und Risiken, erklärte Leutner weiter. Zudem hob er in seinem Vortrag die Unterschiedlichkeit von Sex (biologisches Geschlecht) und Gender (psy­chosoziales Geschlecht) hervor und unterstrich, dass Sex und Gender sich immer gegenseitig beeinflussen und es bei klinischen Studien beides zu berücksichtigen gelte.

Studien mit Schwangeren und Stillenden

Über die Herausforderungen und Perspektiven bezüglich Teilnahme von Schwangeren und Stillenden an klinischen Studien berichtete anschließend ap. Prof. Priv.-Doz. DDr. Alex Farr, MPH, stv. Leiter Abteilung Geburtshilfe und feto-maternale Medizin, Univ.-Klinik für Frauenheilkunde, MedUni Wien, und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Prä- und Perinatale Medizin (ÖGfPPM). Er führte aus, dass rund 70–80% aller Schwangeren Medikamente einnehmen – allerdings ohne klinische Evidenz, denn schwangere Frauen sind in klinischen Studien stark unterrepräsentiert. Daher plädiert auch er dafür, vulnerable Gruppen aus der klinischen Forschung nicht auszuschließen, sondern deren Teilnahme abzusichern, denn: „Wir haben eine Verantwortung gegenüber Mutter und Kind!“ Zudem sei interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend, so Farr, der einen Aufruf an alle Fachrichtungen, Studien mit vulnerablen Gruppen wie z.B. Schwangeren und Stillenden prinzipiell einzuplanen, für erforderlich hält.

ICH E21 als Paradigmenwechsel

Um die „ICH E21 Guideline on inclusion of pregnant and breastfeeding individuals in clinical trials – Scientific Guideline“1 ging es im Vortrag von Assoz. Prof.in Dr.in Eva Maria Zebedin-Brandl, PhD, Institut für Pharmakologie, MedUni Wien. Sie betonte, dass Schwangere und Stillende bisher aus klinischen Studien – hauptsächlich aus Sicherheitsgründen und aufgrund von historisch bedingten Bedenken – ausgeschlossen waren. Das führte aber zu weitgehend fehlender Evidenz und Off-Label-Anwendungen während der Schwangerschaft oder des Stillens. Dies stellt ein erhebliches Risiko für Mutter und Kind dar. Daher: „Die klinische Forschung muss sich vom pauschalen Ausschluss von Stillenden und Schwangeren wegbewegen, hin zu einer differenzierten Nutzen-Risiko-Abwägung.“

Hier soll die ICH E21 Guideline eine evidenzbasierte Entscheidungsfindung über die Anwendung von Arzneimitteln in der Schwangerschaft ermöglichen, indem sie einen Rahmen für einen angemessenen Einschluss von Schwangeren und Stillenden in klinische Studien definiert. Zudem richtete Zebedin-Brandl einen Appell an Forschende und die pharmazeutische Industrie, einen Fokus auf nicht-plazentagängige Arzneimittel zu richten.

Gender-Statistik: Sex und Gender ­getrennt erfassen

Valentin Ritschl, PhD, MSc, MSc Data Analyst, Center for Medical Data Science (Institute of Outcomes Research), MedUni Wien, widmete sich dem Thema Gender-Statistik und wies zu Beginn seines Vortrags darauf hin, dass die Unterrepräsentation von Frauen in klinischen Studien zu einer verzerrten Evidenz und einer systematischen Benachteiligung von Frauen in der Forschung sowie in der Gesundheitsversorgung, z.B. bei Organtransplantationen und bei Priorisierungssystemen, führe. Im Anschluss zeigte er Wege aus dieser Situation auf:

  • Bei Studien Sex und Gender getrennt erfassen (biologisch vs. sozial) und die Ergebnisse geschlechtsstratifiziert berichten (auch nicht signifikante Ergebnisse)
  • Statistical Analysis Plan (SAP) präregis­trieren für Transparenz
  • Standards wie SAGER, AARRIVE, NIH/CIHR, Horizon Europe einhalten
  • Versorgungspfade geschlechtssensibel gestalten
  • Klassenungleichgewichte methodisch adressieren (Gewichtung, Oversampling, Regularisierung)

„Wir dürfen Geschlecht nicht als ‚Störfaktor‘ wahrnehmen, sondern müssen es als zentrale Kovariante und wirkrelevanten Faktor verstehen. Sonst produziert Statistik systematisch eine schlechtere Versorgung“, so Ritschl.

Best-Practice-Beispiel: RHEPRO

Über das erste österreichische interdisziplinäre Register für Schwangerschaft bei rheuma­tischen Erkrankungen sprach anschließend Ap. Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Klara ­Rosta, PhD, Abteilung für Geburtshilfe & feto-­maternale Medizin, Univ.-Klinik für Frauenheilkunde, MedUni Wien, sowie gynäkologischeLeiterin der RHEPRO-Ambulanz – Spezialambulanz für Rheumatische Erkrankungen und Reproduktion. In der RHEPRO-Ambulanz werden Frauen mit rheumatischen Erkrankungen vor und während eines Kinderwunsches oder einer Schwangerschaft gemeinsam von Rheumatologin (Dr.in Antonia Mazzucato- Puchner, Rheumatologie MUW) und Gynäkologin beraten. „Da Frauen in klinischen Studien unterreprä­sentiert sind und Schwangere fast immer ausgeschlossen werden, gibt es kaum prospektive Daten zu Krankheitsverlauf, Schwangerschaftsverlauf, Medikamentensicherheit und Out­come. Retrospektive Registerdaten sind daher von enormer Bedeutung, um klinische Entscheidungen evidenzbasiert treffen zu können“, erklärte Rosta. Daher werden beim RHEPRO-Register Daten von Schwangeren mit rheumatischen Erkrankungen in einem relevanten Setting generiert, um auf diesem Wege wichtige Erkenntnisse zu gewinnen.

Bedürfnisse von Frauen mitbedenken

Im letzten Vortrag der Veranstaltung sprach Assoc. Prof.in Priv.-Doz. Dr.in Helga Lechner-Radner, Director of the Clinical Trial Unit (Division Rheumatology), MedUni Wien, über die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen als Teilnehmerinnen von klinischen Studien. Sie hob hervor, dass sich viele Erkrankungen bei Männern und Frauen unterschiedlich äußern bzw. auch unterschiedlich wahrgenommen werden, wie z.B. bei den Symptomen eines Herzinfarktes. Auch hinsichtlich Therapieansprechen, Nebenwirkungen, Krankenhausaufenthalt etc. gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. „Daher ist es von großer Bedeutung, Frauen in Studien einzuschließen“, betonte auch Lechner-Radner und wies gleichzeitig darauf hin, dass dies die Forschung vor einige He­rausforderungen stelle, denn „Frauen sind keine heterogene Gruppe, sondern weisen untereinander noch mehr Unterschiede auf als dies in der Gruppe der Männer der Fall ist. Die verschiedenen Bedürfnisse von Frauen müssen in allen Studienphasen mitbedacht und berücksichtigt werden.“