ÖGB-Chef macht sich für Hausärzte stark

Gesundheits- und Sozialreformen gehen erfahrungsgemäß nie ohne Konflikte ab. Das scheint auch diesmal so zu sein. Neu ist, dass der schwarze Hauptverbandspräsident Dr. Alexander Biach, der neue ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, einen Schulterschluss versuchen und gemeinsam auf den Ausbau der niedergelassenen Versorgung drängen. „Wenn wir die Kassenmedizin nicht mit höchster Priorität stärken, bleiben die Ambulanzen überfüllt, und die Patienten müssen noch längere Wartezeiten und eingeschränkte Leistungen in Kauf nehmen“, erklärt Szekeres.

Im Gesundheitswesen stehe Österreich vor großen Herausforderungen: „In den kommenden Jahren steht uns eine Pensionierungswelle von Kassenärzten bevor. 60 Prozent der Hausärzte gehen innerhalb der nächsten zehn Jahre in Pension, und österreichweit können derzeit 70 Kassenordinationen nicht nachbesetzt werden. Vier von zehn Absolventen der Humanmedizin gehen ins Ausland, weil sie dort attraktivere Rahmenbedingungen für ihren Beruf vorfinden. Zudem wird unsere Gesellschaft immer älter mit einem zunehmenden Anteil chronisch Kranker. Ein Einfrieren der Ausgaben bedeutet einen Rückschritt in der Gesundheitsversorgung“, betonte der Ärztekammerpräsident bei einer Pressekonferenz mit Biach und Katzian.

Wenn die Kassenmedizin nicht rasch mit höchster Priorität gestärkt werde, blieben die Ambulanzen überfüllt. Für den Patienten bedeute das, längere Anfahrtswege, noch längere Wartezeiten auf einen Termin, weniger Gesprächszeit mit dem Arzt und eingeschränkte Leistungen in Kauf nehmen zu müssen. Das zum Teil schon stattfindende Ausweichen Versicherter auf die Leistungen der Privatmedizin sei teuer und seitens der Ärzteschaft nicht als einziger Ausweg gewünscht, versichert Szekeres. Damit werde eine Unterversorgung Kranker riskiert, die sich einen Privatarzt nicht leisten können. Das Privatsystem sei sozial ungerecht und wesentlich teurer für die Menschen. Im Vergleich: In den USA werden 17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Gesundheitswesen ausgegeben, wobei der Anteil der öffentlichen Ausgaben dabei unter 50 Prozent liegt. Österreich wendet nur zehn Prozent des BIP für das Gesundheitssystem auf, davon werden etwa 75 Prozent öffentlich finanziert.

ÖGB, Kassen und Ärztekammer fordern deshalb eine Stärkung der Kassenärzte und mehr Kassenstellen zur Entlastung der Spitäler. Zudem eine Attraktivierung des Arztberufes, besonders in strukturschwachen Regionen sowie eine Förderung von Gruppenpraxen mit einer Anstellungsmöglichkeit von Ärzten und letztlich auch eine Entkoppelung der Gesundheitsausgaben vom BIP. Szekeres: „Weniger Wirtschaftsleistung darf nicht weniger Gesundheitsversorgung bedeuten.“

Kritik kam von Katzian am überraschenden Gesetzesbeschluss durch die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ zu einer Ausgabenbremse innerhalb der Sozial­-versicherung. „Nach dem 12-Stunden-Tag gefährdet auch diese Anlassgesetzgebung die Gesundheit der arbeitenden Menschen. Oberstes Ziel sind nur noch Ausgabenbegrenzungen und nicht mehr die Qualität und der Stand der Wissenschaft. Die Menschen in Österreich brauchen aber weiterhin die beste medizinische Versorgung, die Beschäftigten der Sozialversicherung müssen ihre Arbeit an den Versicherten leisten können.“ Die Regierung sei aufgefordert, das Gesetz zurückzunehmen. „Wir reichen noch einmal die Hand zum Dialog, um von einer Konfliktkultur wieder zurück zum Konsens zu kommen“, sagte Katzian (mehr im Interview auf Seite 40). Gesundheits- und Sozialministerin Mag. Beate Hartinger-Klein weist die Kritik zurück und sieht darin eine „Verunsicherung der Bevölkerung“. Es werde keinen vertragslosen Zustand zwischen den Sozialversicherungsträgern und den Ärzten geben, betont sie. Das Horrorszenario des angeblichen Versorgungsengpasses sei an den Haaren herbeigezogen: „Ich garantiere eine nahtlose Gesundheitsversorgung im Zuge der Sozialversicherungsreform.“ Die Ausgabenbegrenzung in den Sozialversicherungen diene lediglich dazu, der Kassenzusammenlegung vorzubauen. „Es entbehrt jeder Logik, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt Personalentscheidungen getroffen werden sollen, die völlig am zukünftigen Bedarf vorbeigehen könnten und somit weiße Elefanten auf Kosten der Versicherten produziert werden.

Wir sprechen hier von Positionen mit einem Monatseinkommen von immerhin über 10.000 Euro. So verhält es sich auch mit Bauprojekten, die erst nach einer neuerlichen Bedarfsprüfung unter dem Dach der Österreichischen Gesundheitskasse umgesetzt werden sollen“, erklärt Bundesministerin Hartinger-Klein. Das bedeute aber nicht, dass Stellen bis dahin nicht nachbesetzt werden. „Ganz im Gegenteil, die Ausgabenbegrenzung trifft den Großteil der Stellen nicht, sondern betrifft lediglich leitende Positionen. Aber auch diese werden besetzt, aber eben befristet, damit diese nach erfolgter Reform erneut einer Bedarfsevaluierung unterzogen werden können. Das verhindert weiße Elefanten“, so Hartinger-Klein abschließend.