„Private Konzerne wollen Liberalisierung“

2019 wird das Jahr der Sozialversicherungsreform sein. Wie beurteilen Sie jene Punkte, die bis jetzt bekannt sind, und wie lauten die Forderungen der Ärztekammer?

Thomas Szekeres: Auch den ersten Blick wird den Gebietskrankenkassen Geld entzogen, weil sie an die AUVA zahlen müssen, wo Beiträge gesenkt werden. Zusätzlich hat die Regierung angekündigt, Kassenbeiträge reduzieren zu wollen. Die Verluste sollen dann aus dem Bundesbudget ersetzt werden. Unsere Hauptsorge dabei ist, dass insgesamt das enge Korsett an Leistungen und die Zahl von Ärzten noch enger wird. Dazu kommt, dass die Zahl der Kassenärzte aktuell rückläufig ist – bei einer wachsenden Zahl an Einwohnern. Das kann sich nicht ausgehen. Und auch bei der angeblichen Verschlankung in der Verwaltung bin ich skeptisch.

Wie kann man gegensteuern?

Szekeres: Unsere Forderung lautet, dass es keine Reduktionen in der Finanzierung geben darf. Im Gegenteil: Wir fordern die versprochene zusätzliche Milliarde, um mehr Leistungen finanzieren zu können. Aktuell habe ich die Sorge, dass mit der neuen Gesundheitskasse österreichweite Verträge ausgehandelt werden und nicht mehr auf regionale Gegebenheiten eingegangen werden kann. Besser wäre es, dass Länder und Kassen in einen Topf einzahlen und gemeinsam den ambulanten und niedergelassenen Bereich planen. Ich glaube nicht, dass ein staatliches System ohne selbstverwaltete Kassen Vorteile bringt. Da sehe ich die Gefahr, dass man das System schnell herunterfahren kann – das zeigt England, wo Budgetkürzungen zu einer Mangelversorgung geführt haben.

Wie ist derzeit das Verhältnis mit den Kassen? Gibt es in der Übergangszeit überhaupt Gespräche?

Szekeres: Im Moment ist die Sozialversicherung stark mit sich selbst beschäftigt. Trotzdem gibt es laufend Gespräche – etwa zum Gesamtvertrag für die Primärversorgungseinheiten.

Wo sehen Sie generell Reformbedarf?

Szekeres: Die Ausgaben für das Gesundheitswesen sind in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. Wir geben weniger Geld für Gesundheit aus als Länder wie Deutschland oder die Schweiz. Im Bereich der Prävention muss noch viel getan werden. Unsere 15-Jährigen sind in einem schlechteren Gesundheitszustand, verglichen mit vielen anderen EU-Ländern. Hier gibt es massiven Nachholbedarf. In diesem Zusammenhang sind wir natürlich enttäuscht, dass das erfolgreiche „Don’t Smoke“-Volksbegehren im Parlament nicht die entsprechende Folgen beim Abstimmungsverhalten der Abgeordneten hat. Zwar gehe ich davon aus, dass auch die Politik irgendwann die Notwendigkeit eines Rauchverbots in der Gastronomie einsehen wird – aber warum müssen bis dahin zusätzlich Menschen sterben?

Was macht Ihnen Sorgen im Hinblick auf die künftigen Entwicklungen?

Szekeres: Ich sehe die Gefahr, dass die Gesundheitsversorgung von Konzernen übernommen wird. Diese Entwicklung verläuft bereits international, insbesondere in der Zahn- und Tiermedizin. Konzerne drängen nach einer Liberalisierung des Gesundheitswesens, weil es sich um einen konjunktur-unabhängigen Markt handelt. Menschen müssen aber aufgrund von medizinischen Notwendigkeiten behandelt werden, und nicht aufgrund von monetären Überlegungen. Das würde die Unabhängigkeit der Ärzte gefährden, das System massiv verteuern und insgesamt verschlechtern.

Stichwort: Kostendruck?

Szekeres: Ja, den sehe ich. Es ist aber falsch, in Zeiten, in denen die Bevölkerung mehr und älter wird, zu sparen. Die Zahl der Patienten wird steigen. Ärzte sollten sich auf ihre Kernarbeit, nämlich die Betreuung ihrer Patienten, konzentrieren und von Tätigkeiten entlastet werden, die auch andere Berufsgruppen übernehmen könnten. Ich denke hier etwa an Schreibkräfte und weniger an das Pflegepersonal. Letztere sind selbst überlastet und leiden unter einem ähnlich großen Personalengpass wie wir Ärzte.

Wie sieht es mit dem Ärztemangel aus?

Szekeres: Wir haben an Köpfen so viel eingetragene Ärzte wie nie zuvor. Allerdings rechnen wir im Gegensatz zu anderen Ländern Turnusärzte und Wohnsitzärzte ebenfalls mit ein. Dazu kommt, dass aktuell in Österreich mehr als 50 % der Ärzte Frauen sind, die oft nicht ganztätig arbeiten. Auf Vollzeitäquivalente umgerechnet liegen wir nur im europäischen Mittelfeld – mit regionalen und fachspezifischen Lücken, vor allem in der Allgemeinmedizin. Darüber hinaus stehen wir vor einer Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation. Wir müssen also massiv entgegensteuern. Gefragt sind mehr Wertschätzung seitens der Politik sowie Förderprogramme, die es Ärzten erleichtern, vor allem in Mangelfächern beziehungsweise ländlichen Regionen tätig zu werden.