Soll der Hausarzt eigentlich das „Haus“ behalten?

Wird seine Rolle richtig definiert, gehört es, neben der Unterscheidung zwischen Harmlosem und potenziell Gefährlichem und der Motivierung des Patienten, Therapien einzuhalten, zu den wichtigen Aufgaben des Hausarztes, die beunruhigenden Wehwehchen zu erklären und zu beruhigen, dass alles wieder wird. Die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen sind dabei gutes Zureden, Abwarten und Beobachten. Die meisten Sonderleistungen, die in den Honorarkatalogen der Krankenkassen zu finden sind, sind dabei eher unbrauchbar. Diese Kataloge sind was für Fachärzte.
Nun, es kommt also nicht von ungefähr, dass 2010 der durchschnittliche Umsatz pro e-card-Konsultation beim Hausarzt 14,23 Euro betrug, während der Facharzt 44,20 Euro erreichte. Will der Hausarzt von seiner Tätigkeit leben (und zwar ohne das Zusatzeinkommen einer Hausapotheke, über das ja nur ein Viertel der Kassenhausärzte verfügt), wird er auf Masse spielen müssen – was echt schlecht für ein Hausarztsystem ist.
Aber weil es so ist, wie es ist, ist es logisch, dass ein durchschnittlicher Hausarzt 16.000 e-card-Konsultationen pro Jahr abarbeitet. Da nehmen sich die 8.700 e-card-Konsultation beim Facharzt richtig bescheiden aus.

Schnelle Abferigung

Umgerechnet auf ein Arbeitsjahr mit 212 Tagen (das entspricht der Arbeitszeit einer normalen Angestellten) hat ein Praktiker täglich 75 Patienten zu betreuen. Gut, dass wohl ein großer Teil der Patienten den Arzt nicht sieht, sondern die Rezepte von der Sprechstundenhilfe verlängert werden. Anders ist so eine Arbeitsbelastung nicht zu bewältigen.
Eine durchschnittliche Ordination muss, damit ein Hausarzt ohne Hausapotheke etwa 3.000–3.500 Euro netto pro Monat – 14-mal pro Jahr bei fünf Wochen Urlaub und zwei Wochen Krankenstand und einer 40-Stunden-Woche – verdient, 150 Euro Umsatz pro Stunde machen. Solange das Wartezimmer gut gefüllt ist, es also zwischen den Patienten keine Leerläufe gibt und die Ordination acht Stunden täglich geöffnet hat, ist das machbar – natürlich nur, wenn man pro Patient nur wenige Minuten Zeit benötigt, um ihn wieder loszuwerden.
Ist das unser Bild des Hausarztes? Ist das die gewünschte Realität? Und ist es nicht logisch, dass die Ambulanzen voll von Selbstzuweisern sind?
Ein wesentlicher und immer wichtiger werdender Teil der ambulanten Primärversorgung ist die mobile medizinische Versorgung – also Hausbesuche. Dieses Wissen ist alles andere als neu. Ein funktionierendes Primary Health Care arbeitet nicht nur nach dem biologischen Krankheitsbegriff, es hat viel mehr das biopsychosoziale Krankheitsbild zu berücksichtigen. Anders ausgedrückt, der Patienten muss in seiner Lebenswirklichkeit erfasst werden – und die ist nun einmal nicht das Wartezimmer.

Faschingsscherz?

Wie fördert nun das aktuelle System diese mobile Versorgung?
Um Hausbesuche zu machen, muss man Wege zurücklegen – und glücklicherweise wird das auch bezahlt: im Schnitt mit 90 Cent pro Auto-km. Zieht man das amtliche Kilometergeld ab, das für die Erhaltung des Fahrzeugs gebraucht wird, kennt man den Umsatz des Arztes durch Sitzen im Auto – und das sind dann je nach Krankenkasse zwischen 20 und 70 Cent pro gefahrenem Kilometer.
Weil Fasching ist, rechnen wir das mal um.
Will man die 150 Euro Umsatz pro Stunde erreichen (in der Ordination ist das ja machbar), dann sollte man schon ordentlich Gas geben. Tagsüber wäre in der Steiermark eine Geschwindigkeit von 732 km/h nötig, das ist sicher ein Ausreißer – oder doch nicht? In OÖ wären 613 km/h und in NÖ 423 km/h angebracht. Tirol ist mit 319 km/h richtig moderat – wohl wegen der kurvigen Bergstraßen. Nächtens dürfen die Ärzte dann ein bisschen bummeln – in der Steiermark reichen 288 km/h, in Tirol gar nur 161 km/h.
Dafür muss man in Tirol gut zu Fuß sein. Dort, wo man nicht mit dem Auto hinkommt, kann man Gehzeiten verrechnen – und wenn man es schafft, mit 84 km/h zu laufen, dann erreicht man seinen Zielumsatz. In anderen Bundesländern ist es nicht ganz so dramatisch. Hier nimmt man Rücksicht darauf, dass zu Fuß gehen nicht zur Grundausbildung gehört, aber unter 40 km/h sollte man trotzdem nirgends fallen, sonst wird der Hausbesuch ein Verlustgeschäft.
Zum Patienten zu kommen und trotzdem davon leben zu können, ist mit den heutigen Transportmitteln und wegen schon sehr, sehr schwer – vielleicht ist ja dann der Hausbesuch lukrativ und kompensiert die Verluste durch An- und Abfahrt.
Und ja, das geht, allerdings nur, wenn die Besuche (Umsatz etwa 28 Euro) schnell erledigt sind – also Fieber und Blutdruck messen geht sich aus, Abhören muss man schnell, reden sollte man nicht zu lange. Dauert ein Hausbesuch länger als acht Minuten, wird er zum Verlustgeschäft. Rechnet man jetzt die Zeitverluste durch An- und Abfahrt ab, wird wohl nur ein superschneller Kurzauftritt möglich sein. Und unter uns – Soooo wichtig kann Blutdruckmessen auch wieder nicht sein, Abhören wird sowieso überschätzt, und dass Reden mit Patienten was nützt, dafür gibt es keinerlei Evidenz.
Am Wochenende und an Feiertagen liegt der Umsatz mit knapp über 30 Euro pro Hausbesuch etwas höher – das ist gut, dann kann man sich ein paar Sekunden länger mit dem Patienten beschäftigen, oder hat Zeit seinem Ehepartner zu erklären, dass man jetzt leider nicht mit den Kindern weiterspielen kann. Und wenn man nachts ausrückt, dann hat man, dank des durchschnittlichen Honorars von 50 Euro, auch noch Zeit, sich anzuziehen, ohne gleich Verluste zu machen.
Recht eindeutige Belege dafür, dass Hausärzte angehalten werden, ihre Rolle als Primärversorger wahrzunehmen – also darauf zu schauen, dass Patienten so selten wie möglich durch das Gesundheitssystem wandern und wenn, dann nur in die Hausarztordination – sind heutzutage nicht zu finden. Sieht man von der intrinsischen Motivation der Hausärzte ab (und Gott sein Dank ist die enorm groß), fördern die externen Bedingungen eher das rasche Versenden der Patienten zu Fachärzten und Spitalsambulanzen und geben dem Patienten soviel Anreize wie möglich, diese selbst aufzusuchen – ohne den Hausarzt vorher zubelästigen.
Will man also den theoretischen „Best Point of Service“ (wieder) haben, wird man sich einiges einfallen lassen müssen: Die Zahl der behandelten Patienten pro Tag und Arzt muss auf 30 sinken, Hausbesuche zu allen Tages- und Nachtzeiten müssen lukrativer sein, als in der Ordination auf Patienten zu warten – und dort sollte der finanzielle Anreiz so sein, dass Patienten Termine kriegen, statt Wartezeiten in Kauf zu nehmen.
All das wären Forderungen, die für die Versorgung sinnvoll wären, aber aktuell nicht gehört werden. Stattdessen besteht die Forderung nach 1.000 neuen KassenFACHärzten – Faschingsscherz?