Onkologische Outcomes und Benachteiligungen

Hintergrund

Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung, wie z. B. Down-Syndrom, Zerebralparese oder Autismus-Spektrum-Störungen, haben ein erhöhtes Risiko, während des Verlaufs einer onkologischen Erkrankung schlechtere Outcomes aufzuweisen. Die Merkmale dieser Personengruppe variieren je nach Erkrankung und Schweregrad, können jedoch eine beeinträchtigte Kommunikation, Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von Informationen und beim Lösen von Problemen sowie Einschränkungen bei der Durchführung von Aktivitäten des täglichen Lebens umfassen. Diese Beeinträchtigungen können es betroffenen Personen erschweren, sich in einem komplexen Versorgungssystem zurechtzufinden. Die Verbesserung der klinischen Versorgung und die Bereitstellung angemessener psychosozialer Unterstützung erfordert nicht nur ein Verständnis für die Besonderheiten von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung, sondern auch für ihre Bedürfnisse. Während Forschung zu „Ungleichheiten und Krebs“ ein aufstrebendes Forschungsgebiet ist, wurden Erwachsene mit kognitiver Beeinträchtigung kaum fokussiert. Bestehende Literaturübersichten zu diesem Thema konnten keine Hinweise zu modifizierbaren Barrieren zur Verbesserung der onkologischen Outcomes von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung liefern, was die Anwendung und Umsetzung der Ergebnisse erschwert.

Scoping-Review

Mit dem Scoping-Review wurden zwei Ziele verfolgt: 1) Es sollte Evidenz zu onkologischen Outcomes für Erwachsene mit kognitiver Beeinträchtigung im Vergleich zu Erwachsenen ohne Beeinträchtigung systematisch erfasst und untersucht werden; 2) es sollten Faktoren identifiziert werden, die onkologische Outcomes und Erfahrungen von Erwachsenen mit kognitiver Beeinträchtigung, die von einer Krebserkrankung betroffen sind, beeinflussen.

Methodik

Für die Durchführung des Scoping-Reviews orientierten sich Stirling et al. am erweiterten Framework von Arksey und O’Malley. Dafür durchsuchten sie die Fachdatenbanken MEDLINE und Embase für den Zeitraum 2000 bis 2019. Die Autor:innen schlossen ausschließlich Studien ein, die sich auf Erwachsene (Alter ≥18 Jahre) mit einer kognitiven Beeinträchtigung konzentrierten, die in englischer oder französischer Sprache verfasst wurden, Primärdaten verwendeten und mit Peer-Review veröffentlicht wurden. Die Studien sollten außerdem einen Fokus auf eine Krebserkrankung haben und über Outcomes entlang einzelner Phasen des „Cancer-Kontinuums“ (Risiko/Inzidenz, Screening, Diagnose, Behandlung, Cancer Survivorship und Mortalität) berichten. Es wurden Studien sowohl mit qualitativem als auch quantitativem Studiendesign berücksichtigt. Die Charakteristika der Studien wurden anhand von Häufigkeiten und Prozentsätzen und die Studienergebnisse narrativ unter Zuordnung am „Cancer-Kontinuum“ zusammengefasst.

Wesentliche Ergebnisse

Von 2.796 Treffern wurden 38 Studien in den Scoping-Review eingeschlossen. Die meisten Artikel wurden zwischen 2010 und 2019 (n = 30) und in den Vereinigten Staaten (n = 13) veröffentlicht. Die Teilnehmer:innen an den Studien bestanden aus Erwachsenen mit kognitiver Beeinträchtigung, Gesundheitsfachpersonen, pflegenden Angehörigen oder aus einer Mischung dieser Personengruppen. Ungefähr ein Drittel der eingeschlossenen Studien stützte sich auf bevollmächtigte Stellvertreter:innen für die qualitative oder quantitative Datenerhebung. Die am häufigsten eingeschlossene Krebsart war Brustkrebs (n=25), gefolgt von Gebärmutterhalskrebs (n=16). Eine Studie untersuchte Magenkrebs, keine untersuchte Speiseröhrenkrebs. Die meisten Studien beschäftigten sich mit onkologischen Outcomes zu einem Zeitpunkt im Krebsverlauf (n=32), die restlichen sechs zu mehreren Zeitpunkten. Screening, einschließlich Teilnahme, wurde am häufigsten untersucht (n=30). Fünf Studien fokussierten jeweils Risiko/Inzidenz, Krebsdiagnose, Outcomes und Erfahrungen mit der Behandlung. Drei Studien untersuchten die Mortalität. Es gab keine Studien, die Unterschiede zwischen Erwachsenen mit und ohne eine kognitive Beeinträchtigung in Bezug auf Gesamtüberleben, krebsspezifisches Überleben, relatives Überleben oder 5-Jahres-Überleben untersuchten.

Kritische Faktoren

Die Themen wie die „Herausforderungen beim Zugang zu Unterstützung“ und die „Gatekeeping-Rolle von Gesundheitsfachpersonen und pflegenden Angehörigen“ wurden über die gesamte Literatur hinweg identifiziert. Als Faktoren, die zu schlechteren Outcomes und einer reduzierten Qualität der Gesundheitsversorgung für Erwachsene mit kognitiver Beeinträchtigung beitragen, wurden am häufigsten der erschwerte Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie unzureichende Kenntnisse und Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen bei der Versorgung genannt.

Schlussfolgerungen der Studienautor:innen

Neben Brust- und Gebärmutterhalskrebs sollte ein breiteres Spektrum von Krebsarten im Kontext von Personen mit kognitiver Beeinträchtigung untersucht werden. Während bislang primär Forschungsarbeiten zum Screening durchgeführt wurden, sollten zukünftig die Phasen der Diagnose, Krebsbehandlung und des Cancer Survival, Aspekte der Lebensqualität sowie die Versorgung am Lebensende erforscht werden. Mittels evidenzbasierter Leitlinien könnten Gesundheitsfachpersonen dabei unterstützt werden, sicherzustellen, dass Fortschritte neuer Diagnose- und Behandlungsmethoden auch Erwachsene mit kognitiver Beeinträchtigung erreichen.

Fazit

Der Scoping-Review von Stirling et al. schafft nicht nur einen Überblick über die Ungleichheiten bei der Versorgung im Rahmen des „Cancer-Kontinuums“ zwischen Menschen mit und ohne kognitive Beeinträchtigung, sondern zeigt weiters die Heterogenität der Versorgung innerhalb dieser Personengruppe auf. Die identifizierten Forschungslücken decken die blinden Flecken von Forschenden überzeugend auf und verdeutlichen den Bedarf fokussierter Untersuchungen.

Aufgrund der akribisch berichteten Literaturrecherche kann für die identifizierten Daten des Scoping-Reviews eine hohe Qualität angenommen werden. Zwar limitieren die Autor:innen ihre Arbeit selbst dahingehend, dass sie nicht zusätzlich sozialwissenschaftliche Datenbanken einbezogen haben, da diese möglicherweise zu mehr relevanten Treffern geführt hätten. Dennoch wurde die Suche umfassend und nachvollziehbar berichtet, beispielsweise wurde die Suchstrategie offengelegt und logisch aus den Hauptfragestellungen abgeleitet. Die Datenextraktion erfolgte systematisch. Eine strukturierte Tabelle beantwortet die Fragestellungen übersichtlich. Die Ergebnisse des Scoping-Reviews sowie die Diskussion um die Bedeutung der sozialen Determinanten der Gesundheit für onkologische Outcomes machen die Verantwortung von Gesundheitsfachpersonen in Praxis und Forschung deutlich. Die eingeschlossenen Studien stammten aus unterschiedlichsten Ländern, unter anderem aus Europa. Eine Untersuchung für den deutschsprachigen Raum könnte die Übertragbarkeit auf den österreichischen Kontext erhöhen.