Darf’s ein bisschen mehr sein?

Dass von Beginn einer Idee Produkte und Anwendungsprozesse nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, hat sich auch in der Gesundheitsbranche langsam herumgesprochen. Ein Wundverband und die Wechselzyklen, ein Kernspintomograf und die Energiekosten, ein Hüftimplantat und die Lebensqualität – immer wieder treffen wir auf die Verknüpfung von Produkten und Prozessen. Und doch wird bei der Beschaffung nach wie vor das Hauptaugenmerk auf eines gelegt: Was kostet ein Produkt – ohne dabei den langfristigen Anwendungs- und Behandlungsprozess im Auge zu haben.
Da kann es dann schon vorkommen, dass ein Medizinprodukt in der Anschaffung teurer ist als beim Mitbewerb. Aber über die Einsatzzeit zeigt sich, dass guter Service, ­umfassende Einschulung der Mitarbeiter oder geringe Wartungskosten deutliche Einsparungen im Betrieb lukrieren können und das ursprünglich „so teure“ Produkt doch erhebliche Effizienzpotenziale erschließen kann.

Natürlich ist jede Prozesskostenrechnung komplexer als der eindimensionale und auf den ersten Blick rasch überzeugende Produktpreis. Doch würden Sie heute ein Auto kaufen, ohne sich über Spritverbrauch und Versicherungskosten zu informieren? Die Methode, um zu einer langfristigen plausiblen Einschätzung zu kommen, ist nicht neu und kann ohne große Schwierigkeiten auch auf die Gesundheitsindustrie übertragen werden: Total Cost of Ownership (TCO) heißt das Verfahren, das alle anfallenden Kosten von Investitionsgütern abschätzt. Die Idee dabei ist, eine Abrechnung zu erhalten, die nicht nur die Anschaffungskosten enthält, sondern alle Aspekte der späteren Nutzung wie Energiekosten, Reparatur oder Wartung mit einberechnet. Somit können bekannte Kostentreiber oder auch versteckte Kosten schon im Vorfeld einer Investitionsentscheidung identifiziert werden. Zugegeben, so einfach wie bei einem Auto ist es in der Medizinprodukte-Branche nicht, denn wir haben 500.000 Artikel in über 10.000 Produktgruppen. Hochkomplexe Kernspintomografen, implantierbare Defibrillatoren oder vergleichsweise „einfache“ Hüftprothesen erfordern schon eine umfassende Kostenanalyse, um dem TCO auf die Spur zu kommen. Die Faustformel ist aber einfach: Je komplexer und je ­entwicklungsintensiver das Produkt, umso ­höher ist vermutlich auch der Nutzen über eine Prozesskostenbetrachtung.

In der Vergabepraxis lässt sich dieser Umstand berücksichtigen, wenn nicht nur der Preis, sondern auch die Qualität ins Spiel kommt. Voraussetzung ist, dass der Nutzen über den Lebenszyklus eines Produktes in die Bewer­tungskriterien Einzug halten kann. Nordeuropäische Länder zeigen uns heute schon vor, wie das gehen kann, indem sie zum Beispiel auch die Sozialabgaben des Bieters im Land in diese Betrachtung einfließen lassen. Hierzulande bedarf es noch einiger Verbesserungsprozesse in den Ausschreibungsmodalitäten, damit jene Medizinprodukte-­Unternehmen zum Zug kommen können, die nicht nur heute ­billig, sondern auch morgen noch kosteneffizient sind. In diesem Sinne darf’s ein bisschen mehr sein – an Service, an Qualität und an Leistung.