Der Preis zählt nicht allein

Noch ist kein Ende der aktuellen Pandemie in Sicht, zeigt sich die Medizinprodukte-Branche bereits aktiv und stellt im Rahmen der AUSTROMED-Herbstgespräche die zentralen Fragen, welche Lehren bereits gezogen werden können und wie sich die Branche, aber auch die Politik für die nächste Pandemie rüsten kann und muss. Unter dem Licht der derzeit wieder steigenden Infektionszahlen und der herannahenden Grippezeit sind diese Fragen virulenter denn je. Zu Gast bei Gerald Gschlössl, AUSTROMED-Präsident, waren dazu Mag. Florian Bachner, Leiter der Abteilung für Gesundheitsökonomie und -systemanalyse der Gesundheit Österreich GmbH, Mag. Stefan Eichwalder, Ansprechpartner für die Beschaffung (S4) im Rahmen des Corona-Krisenstabs, Leiter der Abteilung 5/Sektion VIII im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), und DI Dr. Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der AGES-Medizinmarktaufsicht.

 

 

Bringt die Gesundheitskrise gute Zeiten für die Medizinprodukte-Branche?

Gschlössl: Ja und nein, denn es gibt Unternehmen, die durch die Schließungen von Spitälern und Ordinationen bis zu 40 % ihres Umsatzes verloren haben. Natürlich gibt es auch andere, die von der verstärkten Nachfrage, etwa nach Schutzausrüstung oder Desinfektionsmittel, profitieren. Aber auch für die Medizinprodukte-Unternehmen gilt: Schließen geht schnell, das Hochfahren ist nicht so einfach.

 

 

Was hat in den letzten Monaten gut funktioniert, was muss anders werden?

Eichwalder: Das Frühjahr hat gezeigt, dass theoretische Konzepte zu Pandemien ganz rasch Praxis werden können. Die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der sich das Thema entwickelt hat, verbunden mit einer weltweit großen Unsicherheit sowie komplett fehlender Erfahrung, hat es einfach extrem schwierig gemacht, Entscheidungen zu treffen. In dieser Zeit offenbarten sich natürlich Themen, die es auch schon vorher gab, wie etwa Lieferengpässe. Wir wussten, dass viele Lieferketten im Gesundheitswesen vom asiatischen Raum abhängig waren, aber wie volatil sie wirklich sind, hat uns erst die Pandemie gelehrt. Getroffen haben uns auch die absolut inakzeptablen Exporteinschränkungen innerhalb der EU, mit denen wir nie gerechnet hätten. Als einzelnes Land ist Österreich viel zu klein, um hier resilient gegenüber Krisen zu werden.

 

 

Gschlössl: Von der EU waren wir total enttäuscht. Deutschland verfügt über den größten europäischen Hafen, hat aber keine LKWs durchgelassen. In Zagreb hat ein Erdbeben stattgefunden, auch dort war dringend Bedarf an Medizinprodukten gegeben. Positiv haben wir aber wahrgenommen, dass sich trotzdem alle gemeinsam angestrengt haben, den „Extra-Meter“ zu gehen und Lösungen zu finden. Ich finde es lobenswert, dass die Regierung darauf drängte, einfach rasch zu handeln und das „Aufräumen“ auf später zu verschieben. Es gab eine rasche und vorbildliche Vernetzung zwischen der Industrie, der öffentlichen Hand und vielen anderen Stakeholdern. Diesen Spirit sollten wir mitnehmen und Regeln schaffen, wie wir auch in Zukunft mit diesem Thema umgehen.

 

Die Krise hat wie ein Scheinwerfer das Licht auf Beschaffungsprobleme geworfen. Wo gab es noch Herausforderungen?

Wirthumer-Hoche: Die Globalisierung hat es mit sich gebracht, dass die Produktion von Medizinprodukten auch in Ländern mit geringeren Kosten stattfindet. Lieferengpässe gab es immer wieder, aber in der Krise wurden auch Export- und Logistikeinschränkungen evident. Über das Außenministerium und die Botschaften haben wir interveniert, damit Transporte überhaupt stattfinden konnten. Wir haben gelernt, dass wir einen Teil der Produktion an den Standort Österreich holen sollten.

 

 

Kann die Krise doch auch als Chance gesehen werden?

Bachner: Daten und Fakten, die wir beigesteuert haben, bieten sich sehr gut an, um Stärken und Schwächen zu beschreiben. Wir wussten im März noch nicht, wie viele Betten in den Spitälern frei waren. Zum Höhepunkt der Krise waren es aber rund 20.000 und die oft kritisierte Spitalslastigkeit des österreichischen Gesundheitssystem hat uns in der Phase dann doch zuversichtlich gemacht, dass wir mit den Reserven die Krise gut überstehen können. Förderale Strukturen waren oft ein Hemmschuh für Reformen. Erfreulicherweise waren sie in der Krise rasch überwunden und es gab ein harmonisches Krisenmanagement zwischen Bund und Ländern. Für die Telemedizin war die Pandemie auf jeden Fall ein wichtiger Wegbereiter.

 

Die Pandemie ist noch nicht vorbei, die Grippewelle steht vor der Tür. Was ist zu tun?

Eichwalder: Österreich wird nie autark werden, aber wir müssen die EU stärken und wir müssen sinnvolle strategische Lager mit wesentlichen Produkten vorrätig halten. Diese Lager müssen aber auch sinnvoll, rollierend bewirtschaftet werden. Hier sehe ich angesichts vieler strategischer Partnerschaften, die sich in der Krise bilden mussten und gut funktioniert haben, dass wir auf einem guten Weg sind.

Gschlössl: Die Medizinprodukte-Branche darf nicht warten, bis sie Aufträge bekommt, sondern wird sich hier aktiv als Partner anbieten. Wir haben gezeigt, dass man sich in puncto Qualität auf unsere Betriebe und ihre Lieferanten verlassen kann. Wir können nicht alle Produktionen nach Österreich holen, aber Mischkalkulationen durchführen und Kooperationen innerhalb Europas eingehen. Wie wir gesehen haben, kann am Ende nicht nur der Preis entscheiden. Von der Politik brauchen wir dazu Planung und Verbindlichkeit, Standortsicherung und die Abkehr vom Billigbieterprinzip bei Ausschreibungen. Wir als Medizinprodukte-Branche stehen bereit, auch die kommenden Herausforderungen zu meistern!

Fotos: Sabine Klimpt