„Risikoforscher brauchen das Risiko“

Seit Beginn der Corona-Krise stellt das Dashboard des Gesundheitsministeriums der Öffentlichkeit aktuelle Zahlen zur Entwicklung der COVID-19-Erkrankungen in Österreich zur Verfügung. Dieses amtliche Tool gibt auszugsweise den Status aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) sowie den Datenstand der Bezirksverwaltungsbehörden wieder. Mehrmals täglich erhalten interessierte Bürger Updates – unter anderem zu Hospitalisierten, Infizierten, Getesteten, Bettenauslastungen oder Genesenen. All das mit wenig Aufklärung zur Bedeutung dieser Zahlen, dafür aber umso mehr Spielraum für Interpretation und der Erkenntnis, dass das Veröffentlichen von Zahlen allein nicht notwendigerweise auch zu einem breiten Verständnis von oder gar Zustimmung zu Maßnahmen führt, die daraus abgeleitet wurden. „Flatten the curve“ war das – nicht immer ganz klare – Ziel, doch gemeinsam waren wir umso schneller dort. „Wir alle haben dann rasch erkannt, dass das Zusperren eines Landes deutlich leichter gefallen ist als das Aufsperren. Die Argumentationslinie der Regierung war beim Lockdown von passenden Berechnungen flankiert und von Risikoforschern unterstützt, die nun einmal davon leben, dass ein Risiko vorhanden ist“, bringt es Marktforscher Dr. Peter Hajek auf den Punkt und ergänzt: „Wohltuend war, dass wir von Anfang an auch Experten hatten, die nicht Unsicherheit verbreiten oder die Situation kleinreden wollten, sondern auf Basis von Expertise und belastbaren Daten eine möglichst realistische und differenzierte Sichtweise beisteuerten.“

Panikknopf ausschalten

Auf die täglichen Zahlen gibt es – wie auf so vieles in der Politik – sehr unterschiedliche Sichtweisen: Während die einen überzeugt sind, dass die Veröffentlichung absoluter Werte keinen nennenswerten Wissenszuwachs brächte oder die Zahl der Infizierten nichts über die tatsächliche Pandemieentwicklung aussagen würde, starren andere gebannt auf die Kurven. Nicht einmal die Regierungsspitze scheint sich einig zu sein, wie die Zahlen zu interpretieren sind, denn während sich Kanzler Kurz am Beginn der zweiten Welle sieht, versucht Gesundheitsminister Anschober, nicht auf den Panikknopf zu drücken. Dennoch: Die Maßnahmen wurden aktuell (Stand Ende September) wieder verschärft, denn die Infektionszahlen steigen – und zwar in ganz Europa – massiv an.

Kommunikation entscheidet

„Ich denke, dass die Bürger sehr viel verstehen, wenn es nur richtig aufbereitet ist“, bringt es Hajek auf den Punkt und ergänzt: „Es wird auf jeden Fall schwierig sein, vom Kurs des Angstmachens wieder abzuweichen.“ Dass die Bevölkerung klare und stringente Regeln braucht, ist nicht nur für den Marktforscher das Gebot der Stunde. Je länger die Pandemie dauert, desto schwieriger wird es für die Wähler, die Haltung der Politik zu verstehen.
Der Blick zurück zeigt, dass das heimische Gesundheitswesen nach wie vor gut aufgestellt ist und längst nicht an seiner Kapazitätsgrenze agiert. Offen ist aber die Frage, welche Lehren für die Zukunft gezogen werden. „Bereits im Jahr 2012 hat das österreichische Bundesheer in seinem jährlichen Risikobericht auf drei Gefahren hingewiesen, die für die Sicherheit des Landes eine Bedrohung darstellen können – das waren Migration, Pandemie und Cyberkriminalität. Jetzt wissen wir, dass wir beim Thema Gesundheit das Risiko doch unterschätzt haben. Eine Aufarbeitung der Ereignisse wird dringend erforderlich sein“, hofft Hajek und schlägt vor: „Wir benötigen eine Stelle, die Gesundheits- und Sicherheitsfragen weltweit vernetzt und die Lage laufend beobachtet.“