Digitalisierungen in der Pathologie

Fortschritte in Bezug auf computerbasierte Auswertungen und Hilfestellungen zu diversen Untersuchungen revolutionieren die Medizin seit Jahrzehnten. Auch in der Pathologie werden Themen wie digitale Pathologie, strukturierte Befunde sowie Software-basierte Auswertungen vor allem in der Molekularpathologie, aber auch in der Mikrobiologie und Histologie immer wichtiger. Diese Themen bringen jedoch auch zahlreiche Fragestellungen mit sich – benötigter Datenspeicher, Dauer der Speicherung der Daten, Verifizierungen oder Validierungen von Programmen und deren Updates sind teilweise schwierige Themen, zu denen es noch keine klaren Empfehlungen gibt. Auch die Implementation verschiedener Systeme kann ein Krankenhaus und dessen IT vor große Herausforderungen stellen. Dieser Artikel soll einen Überblick über die genannten Themen geben und die steigende Komplexität der Pathologie, welche immer mehr auf bioinformatische Prozesse angewiesen ist, im Überblick darstellen.

Die Pathologie wird digital

Insbesondere in der Molekularpathologie nehmen bioinformatische Auswerteprogramme inzwischen einen hohen Stellenwert ein. Kaum eine Untersuchung in diesem Teilgebiet der Pathologie kann mittlerweile ohne eine adäquate Software richtig ausgewertet werden.
Standen in den Anfängen der Molekularpathologie unter anderem noch Techniken wie Southern Blot (Gelelektrophorese) im Zentrum der Untersuchungen (Abb. 1), welche selbst ausgewertet werden konnten, wurden diese durch Real-Time-PCR und Sanger-Sequenzierung schnell ergänzt, welche bereits üblicherweise eine Software benötigen. Mittlerweile ist das „Next Generation Sequencing“ (NGS) ein Begriff, der in der Molekularpathologie nicht fehlen darf. Hierbei können wesentlich schneller und kostengünstiger zahlreiche therapierelevante Gene sequenziert werden; ohne adäquate Bioinformatik wäre dies jedoch unmöglich (Abb. 2).

Abb. 1: Southern Blot – Gelelektrophorese

Abb. 2: NGS, Darstellung der Daten mit „Integrated Genome Viewer“

Diese Weiterentwicklung der Pathologie in der digitalen Welt bringt zahlreiche neue Fragestellungen mit sich. Vor allem die notwendige Akkreditierung der Institute, um der EU-Verordnung für In-vitro-Diagnostika (IVDR) zu entsprechen, macht es auch immer wichtiger, darauf zu achten, welche Auswerteprogramme verwendet werden, ob diese dafür geeignet sind, in der aktuellen Version benutzt zu werden, und vor allem vom Institut auch verifiziert bzw. validiert wurden. Insbesondere im Bereich des NGS wird die Bioinformatik oftmals an die Bedürfnisse des Labors und die bearbeitenden Fragestellungen angepasst. Dabei werden beispielsweise Filter erstellt, welche Sequenzierfehler detektieren oder bestimmte Mutationen resp. Varianten hervorheben bzw. ignorieren sollen. Diese Anpassungen führen dazu, dass die Software effektiver genutzt werden kann und die Unterschiede, die im Verarbeitungsprozess jedes Labors auftreten, in der bioinformatischen Auswertung ausgeglichen werden. Die Software muss aber durch dieses „Customizing“ wiederum validiert werden, um sicherzustellen, dass durch die Veränderungen der Bioinformatik nicht andere Probleme hervorgerufen wurden.

Eine Software ist, wie wir alle wissen, aber auch nur so gut wie dessen Benutzer:in. Einschulungen der Mitarbeiter:innen sind unabdinglich, um korrekte Befunde in der Molekularpathologie zu ermöglichen. Oftmals ist aber gerade dieser Punkt schwierig und abhängig von der Betreuung durch die Firmen, welche die Programme zu den Geräten erstellen. Unübersichtliche Bedienungsanleitungen, die mehrere Hundert Seiten umfassen, sind neben der Routinearbeit – trotz der meist vorhandenen Grundeinschulung bei der Etablierung der Methoden – nicht einfach anwendbar. Manche Firmen bieten wiederum weitere vertiefende Softwaretrainings an, welche jedoch meist mit hohen Kosten verbunden sind. Die Einarbeitung in die benutzten Programme kann teilweise Monate dauern. Schlussendlich entsteht oftmals eine Abhängigkeit von gewissen Programmen, da eine Umschulung auf andere Systeme mit Aufwänden verbunden ist, die viele nicht eingehen wollen.

Die generelle Implementation von verschiedenen Programmen in das Krankenhaus-IT-System stellt ebenfalls viele Pathologien vor Herausforderungen. Software und Anwendungen in der Molekularpathologie unterstehen einem stetigen Wandel, der notwendig ist, um am aktuellen Stand der Wissenschaft zu bleiben. Das bedeutet, dass flexibel und zeitnah neue Installationen notwendig sind. Genau dieser Punkt ist aber für viele IT-Supports der Krankenhäuser nicht oder nur schwer möglich, da die notwendige IT-Sicherheit oftmals eine schnelle Umsetzung verhindert. Des Weiteren ist die IT-Betreuung der Pathologien meist nicht proportional mitgewachsen mit dem steigenden Bedarf der immer komplexer werdenden Anforderungen. Eine adäquate Betreuung durch geschultes IT-Personal oder sogar Bioinformatiker:innen hat sich in einigen Instituten vor allem mit Schwerpunkt in der Molekularpathologie als essenzieller Vorteil erwiesen.

Ein weiterer wichtiger und nicht gänzlich geklärter Punkt in Bezug auf die Digitalisierung in der Pathologie ist die Datenspeicherung. Durch Real-Time-PCR, Sanger-Sequenzierung oder Next Generation Sequencing, aber auch Slide-Scanning werden Daten in verschiedenen Formaten und in unterschiedlichen Größen gewonnen. Zur Qualitätssicherung ist es meist notwendig, diese Daten auch noch nach Wochen oder Jahren wieder aufrufen und neu analysieren zu können. Einheitliche Empfehlungen oder Gesetzesgrundlagen, wie man mit diesen Daten umgehen sollte, gibt es aber meist nicht. Dies führt zu unterschiedlichen Interpretationen der vorhandenen gesetzlichen Vorgaben und damit auch zu unterschiedlichsten Ansätzen der Pathologie im Umgang mit Daten. Während manche Institute zum Beispiel NGS-Roh- und Metadaten komplett speichern und damit an die Grenzen der von ihrer IT zur Verfügung gestellten Datenspeicher gehen, speichern andere nur die BAM-Files als Enddaten der Analyse.

Die Digitalisierung und die Nutzung vieler verschiedener Programme in der Pathologie bringen somit viele Fragestellungen und Probleme mit sich, welche die Patholog:innen teilweise an ihre Grenzen stoßen lassen. Einschulungen, Verifizierungen und Validierungen von Prozessen, Datensicherung und adäquate IT-Unterstützung sind schlussendlich die Themen, mit denen sich jedes Institut – bei oftmals mangelnden Empfehlungen und Vorgaben – auseinandersetzen muss, um die Befundung vor allem in der Molekularpathologie, aber auch in anderen Bereichen auf dem aktuellen Stand halten zu können.

Der strukturierte Befund

Die strukturierte Befundung in der Pathologie wird weltweit eingesetzt, jedoch variiert der Grad der Implementierung von Land zu Land. Einige Länder, die schon weit fortgeschritten sind und die strukturierte Befundung in der Pathologie aktiv nutzen, sind z. B. die Vereinigten Staaten, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Australien und die Niederlande. In diesen Ländern gibt es bereits etablierte Standards und Richtlinien für die strukturierte Befundung, die von nationalen Pathologieverbänden oder medizinischen Fachgesellschaften entwickelt wurden. Besonders wichtig sind derartige strukturierte Befunde im Bereich der Tumorpathologie. Die Befundung von Tumorgewebe muss immer von klinischen Gesichtspunkten her erfolgen, das heißt, relevante Daten, die die Therapie derartiger Tumoren beeinflussen könnten, müssenim Befund vermerkt und aufgezählt werden. Am Beispiel eines kolorektalen Karzinoms soll dies demonstriert werden:

  1. Die makroskopische Beurteilung des gesamten Tumors und seine Beziehung zum umgebenden Gewebe, zu Lymphknoten, zur Art der chirurgischen Resektion etc.
  2. Die mikroskopische Beurteilung von Tumortyp, Wachstumsmuster, Zellpolymorphie, Mitoseanzahl, Tumor-Budding, Lymphgefäßeinbruch, Veneneinbruch, Anzahl der befallenen Lymphknoten etc.
  3. Die immunhistochemische/molekularpathologische Beurteilung vom exprimierten Epitopen, wie z. B. Mikrosatellitenstatus etc.
  4. Die molekularpathologische Beurteilung von Genexpressionsmustern, wie z. B. RAS- oder RAF-Mutationen
  5. Auffällige weitere zusätzliche Informationen

Alle diese Daten werden bisher in untersucherabhängiger, äußerst variabler Form im Klartext erwähnt, dabei werden allerdings unterschiedliche Formulierungen verwendet. Einer der häufigsten dabei auftretenden Fehler ist die sehr oft erforderliche Negation eines Sachverhalts, wie z. B. „kein Hinweis auf Lymphgefäßeinbrüche“. Wird dieser Text beispielsweise durch einen Zeilenumbruch so getrennt, dass die Indikation „kein“ in einer anderen Zeile steht, passiert es immer wieder, dass aus dieser ursprünglichen Negation eine positive Formulierung wird. Die seit Jahrzehnten parallel zur Klartext-Befundung angegebene Klassifikation gemäß eines PTNM-Stadiums ist aber nur ein erster zaghafter Schritt in Richtung eines strukturierten Befundes: Wie in einer Tabelle sollen in einem derartigen Befund ALLE RELEVANTEN DATEN tabellarisch und nicht zuletzt auch statistisch verwertbar angeführt werden.

Aus der Klassifikation UICC 2017: pT2 pN1(1/27) L0 V0 Pn0 G1 Bd1 R0 ICD-O: 8140/3 sind zum Beispiel für eine Therapie nur wenige Daten verwertbar, für eine allfällige weitere Chemotherapie gar keine. Der etwa eine DIN-A4-Seite umfassende histologische und molekularpathologische Befund würde dementsprechend etwa so lauten:

45 cm langes, rechtsseitiges Hemikolektomiepräparat, … mit einem 45 mm im größten Durchmesser haltenden bis 15 mm dicken polypoiden grauroten Tumor, … gut differenziertes Adenokarzinom, überwiegend solid mit kleinen tubulokribrösen Abschnitten, geringer Kernpolymorphie, ohne erkennbare Nekrosezonen in Schnitten aus 8 verschiedenen Tumorregionen, … der Tumor bis knapp an die Lamina propria vorgedrungen mit bis 4 Tumorbuds pro mm², ohne Einbruch in (Lymph-)Gefäße, … Immunhistochemische Analyse der Mismatch-Repair-Proteine (MMR-IHC): Immunhistochemisch kein signifikanter Ausfall der nukleären Expression von MLH1, PMS2, MSH2 und MSH6, somit kein Hinweis auf Mikrosatelliteninstabilität (mikrosatellitenstabil), … bei NGS-Untersuchung kein Hinweis auf Mutationen im RAS- oder RAF-Locus, …

Eine Auswertung derartig komplexer Texte ist auch in Zeiten der allgegenwärtigen „künstlichen Intelligenz“ sehr aufwendig und sicherlich mit zahlreichen, nur manuell korrigierbaren Fehlern verbunden. In einem strukturierten Befund stellt sich nur der erste Teil dieses Textes wie in Abbildung 3 ersichtlich dar.
Anstelle von selbst formulierten Begriffen werden vorgegebene, strukturierte Daten ausgefüllt. Der Vorteil dieser Methode liegt klar auf der Hand: Es kann nichts mehr vergessen werden und es ist auch kaum mehr möglich, verwaschene Formulierungen zu verwenden, es muss immer eine Entscheidung getroffen werden, auch wenn diese Entscheidung lauten sollte „Entscheidung kann nicht getroffen werden“. Die angegebenen, strukturierten Daten können auch ganz leicht softwaremäßig erfasst und statistisch umgesetzt werden, z. B. als HL7®-auswertbarer und auch über alle Sprachbarrieren austauschbarer Befund, wenn hinter jedem Feld eine logische Formulierung (vorhanden/nicht nachweisbar/nicht entscheidbar) steht; es muss lediglich der Text sprachlich angepasst werden, die angegebenen und diagnostizierten Daten bleiben gleich. Deshalb standen auch traditionell mehrsprachige Länder wie die Vereinigten Staaten oder Kanada ganz am Beginn der Entwicklung derartiger strukturierte Befunde: Es ist letztendlich egal, ob der Befund ursprünglich im französischsprachigen Quebec oder auf Englisch in Vancouver entstanden ist – die Daten sind dieselben und sie sind ganz einfach übersetzbar.

Abb. 3: Strukturierter Befund, links Sicht des/der Befundenden, rechts fertiger Befund

Die Nachteile dürfen allerdings ebenso wenig verschwiegen werden: Die freie Formulierung hilft ungemein bei der strukturierten Betrachtung eines Tumors im Mikroskop, jede:r Patholog:in hat eine oder mehrere Methoden, wie ein derartiges Tumorpräparat diktiert werden muss, und setzt sich sozusagen im Kopf aus vorformulierten Textblöcken „seinen/ ihren“ Befund zusammen und korrigiert diesen mit dem im Mikroskop Gesehenen. Nicht zuletzt üben wir seit Volksschulzeiten „Bildbeschreibungen“, denn mit der Beschreibung eines Details fallen oft einige weitere, sonst vielleicht übersehene Details auf und ergänzen so das ursprünglich wahrgenommene Bild.
Pathologie-Softwarepakete, die derartige Befunde unterstützen, sind zwar in Entwicklung, aber kaum in adäquater Version am Markt verfügbar. Umgehungskonstruktionen mit Textblöcken und Textbausteinen sind zwar derzeit in klinischer Erprobung, eignen sich aber in den meisten Fällen nicht für den Routineeinsatz. Des Weiteren müssen zukünftige, digital abzählbare Ergebnisse wie z. B. die Anzahl von Mitosen oder das Ergebnis von Hormonrezeptoruntersuchungen automatisch in einen derartigen Befund integriert werden, wobei es dazu lediglich einige experimentelle Voruntersuchungen gibt.

Letztendlich ist auch ein Umdenken bei den behandelnden Kliniker:innen notwendig: Der strukturierte Befund ist zugleich das Ende der von ihnen heiß geliebten einzeiligen Diagnose und wir wissen alle, wie exakt pathologische Beschreibungen im Textfeld „Mikroskopische Untersuchung“ gelesen werden.

Resümee

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Digitalisierung und die Nutzung von bioinformatischen Auswerteprogrammen vor allem in der Molekularpathologie zwar viele Fragen mit sich bringen, aber in der heutigen Zeit unabdingbar sind, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Der strukturierte Befund, wie er in vielen Ländern bereits genutzt wird, ist ebenfalls ein Tool der Digitalisierung, das zu Verbesserungen in der Kommunikation zwischen Patholog:innen sowie Ärzt:innen anderer Fachbereiche führen und die Genauigkeit der Diagnosestellung erhöhen kann. Auch für die Implementierung dieses Themas werden offizielle Empfehlungen sowie Unterstützung bei der Integration in vorhandene Laborinformationssoftware-Systeme benötigt. Eine adäquate IT-Betreuung und Unterstützung muss den Patholog:innen zur Verfügung gestellt werden, um diese Themen in Zeiten des Personalmangels bewältigen zu können.