Wie geht es Frauen mit Blasenschwäche?

Umfrage unter betroffenen Patientinnen 2009*

Harninkontinenz ist in modernen Industriegesellschaften nach Untersuchungen mit hoher methodologischer Qualität mit einer Prävalenzrate von 15% (Alter > 20 Jahre) auch von herausragendem gesundheitspolitischen Interesse, für viele der Betroffenen aber noch immer ein Problem, das beim Arzt nicht direkt angesprochen wird. Eine Umfrage untersuchte die Patientinnenperspektive zu einem Tabuthema. 

Gynäkologinnen im Verein mit anderen thematisch involvierten Fachgesellschaften haben sich in den letzten Jahren auch mit fächerübergreifenden Initiativen verstärkt bemüht, der Tabuisierung aktiv entgegenzutreten und ein verstärktes Problembewusstsein zu generieren. Rezente Umfragen haben hier zumindest bei der Ärzteschaft auch Fortschritte erkennen lassen.
Ob diese und weitere öffentlichkeitswirksame Anstrengungen jedoch auch bei Betroffenen zu einem enttabuisierten, besseren Umgang mit Inkontinenzproblemen geführt haben, war der Hauptfokus einer kürzlich durchgeführten Online-Umfrage* (Stichprobe mit 445 Frauen mit Blasenschwäche mittels Computer-assisted Web-Interviews [CAWI] im Zeitraum von November bis Dezember 2009). Eine erste Screeningfrage hatte dabei generell Frauen mit Blasenproblemen gefiltert (“Haben Sie in den letzten 12 Monaten an Problemen mit der Blase wie starkem Harndrang, häufigen Blasenentleerungen [eventuell auch in der Nacht] oder unfreiwilligem Harnverlust gelitten?”). Zum anderen wurde eine so genannte Boost-Gruppe von 55 Frauen gesampelt, die bereits Erfahrungen mit modernen operativen Verfahren bei Belastungsinkontinenz hatten (Screening-Frage: “Haben Sie sich in der Vergangenheit aufgrund Ihrer Blasenschwäche einer Operation mittels Band [z. B. TVT] unterzogen?”).

Inkontinenz-Tabu und Krankheitslast aus Sicht der Betroffenen

Gynäkologinnen erste Autorität, bei der Informationsvermittlung hapert es nach wie vor: Wenn es gilt, sich Informationen bzw. Rat zu Inkontinenzproblemen zu holen, werden GynäkologInnen in der Ordination am häufigsten als Informationsquelle genützt (von 48%), 32% der Befragten nennen sie auch als wichtigste Ansprechinstanz, in beiden Aspekten rangieren sie damit weit vor dem “Hausarzt” und dem Internet.
Nur 14% der Befragten glauben allerdings, “sehr gut” beraten zu sein! Weit über ein Drittel (36%) sieht sich “eher nicht gut” bis “überhaupt nicht gut” informiert.

“Stell dir vor, man kann etwas tun, aber keine geht hin …” Die Patientinnen sind sich geschlossen einig, was die Notwendigkeit der Enttabuisierung des Themas anbelangt: Nahezu alle (96%) sehen die Lebensqualität bei Blasenschwäche beträchtlich eingeschränkt, damit korrespondierend erachten es nahezu alle (98%) als wichtig, mit dem Arzt des Vertrauens über das Problem zu sprechen. Es stimmen ebenso nahezu alle (92%) darin überein, dass viele Frauen zu wenig darüber informiert seien, was man gegen Blasenschwäche tun kann – dass man etwas tun kann, glauben interessanterweise genauso viele (91%). 84% der Patientinnen beurteilen jedoch Blasenschwäche auch heute noch als ein Tabuthema. Eine solche Einschätzung, die gleichzeitig auch Selbsteinschätzungscharakter hat, impliziert eine hohe Dunkelziffer von Unbehandelten, was durch die folgenden Ergebnisse unterstützt wird: Ein Drittel (33%) gab an, dass sie ihr Problem noch nicht mit einem Arzt besprochen hätten, bei den restlichen Frauen war nur bei 18% die Initiative zum Gespräch über Blasenschwäche von ärztlicher Seite ausgegangen.

Ursachenforschung – Scham und Verdrängung: Wie geht es jenem Drittel, das noch keinen Arzt aufgesucht hat? Zu den Gründen dazu befragt, geben 64% lapidar an, selbst damit zurechtkommen zu wollen. Bei dieser Gruppe lässt sich ebenso ein irrationaler Zugang mit Tabuisierung und Verdrängung im Hintergrund vermuten wie bei jenen weiteren 20%, die hoffen, “dass das Problem von selbst verschwindet”, und bei den 16%, die offen zugeben, dass ihnen “das Thema zu peinlich” wäre.
Aus diesem lässt sich vorsichtig abschätzen, wie vielen zusätzlich geholfen werden könnte, würden Ärztinnen bzw. speziell Gynäkologinnen die Frage der Blasenschwäche generell in die Anamnese aufnehmen.

“Burden of Disease” und “Costs of Illness”: Nicht nur der Verlust an Lebensqualität ist ein wichtiger Faktor der “Burden of Disease”, aufgrund des vielfach chronischen Charakters der Erkrankung kumulieren im Lauf der Zeit erhebliche individuelle “Costs of Illness” (von Slip-, Betteinlagen, selbstgekauften Produkten bis zu Rezeptgebühren etc.). Die Umfrage gab dazu sehr konkret Aufschluss: Für die Interviewten häuften sich im Durchschnitt 20,24 Euro/Monat an zusätzlichen Kosten an, d. h. rund 250 Euro/Jahr.

Bandoperationen als neues Erfolgsparadigma der Inkontinenztherapie?

Tabuisierung kann bei allen Inkontinenz- bzw. Blasen-schwäche-Varianten – die sehr unterschiedliche Behandlungsstrategien und deshalb eine umso sorgfältigere Differenzial-diagnostik erfordern – den Zugang zu wirksamen Therapieoptionen erschweren bzw. verhindern. Umso fataler, wenn dadurch neu verfügbare Therapiechancen verpasst werden -wie z. B. mininal invasive Bandoperationen, die bei entsprechender Patientinnenselektion eine neuen Standard der Behandlungsqualität und Nachhaltigkeit des Therapieerfolgs versprechen. Ob sich dieser medial oft als Quantensprung dargestellte Fortschritt in der operativen Therapie der Belastungsinkontinenz so auch in der Wahrnehmung bereits operierter Patientinnen widerspiegelt, war eine zusätzliche Fragestellung der Umfrage in einer so genannten Boost-Gruppe zu TVT-Bandoperationen (Tension-free Vaginal Tape).

Welche Informationen sind für potenzielle Kandidatinnen einer Bandoperation wichtig? Als wichtige Informationen zur OP beurteilten die meisten der befragten Frauen, dass die Bandoperation ein kleiner, einfacher Eingriff mit kurzem Spitalsaufenthalt und rascher Genesung sei, ebenso die hohe Erfolgsrate (diese wurde von 29% der Frauen – und damit als Einzelaspekt unangetastet in Führung – als der wichtigste Aspekt gewertet). Auch Langzeitergebnisse, die Aussicht auf wenige Komplikationen und einen uneingeschränkten Alltag nach der OP waren den Frauen als Informationen wichtig.

Hohe Zufriedenheit und Weiterempfehlung der OP: Die Frauen beurteilten ihre Beschwerden vor und nach der Operation anhand einer Skala von 0-10 (0 = überhaupt keine Beschwerden; 10 = extreme Beschwerden): ca. 80% der bereits Operierten rangierten hier im Bereich von 0-2 (Durchschnittswert über alle Frauen hinweg: 2,3) (Abb. 1). Entsprechend hoch auch die Prozentsätze bei der PatientenZufriedenheit und die Weiterempfehlung zur Bandoperation (Abb. 2): Positiv resümierten knapp 90% der Befragten ihre Bandoperation (“eher zufrieden” zeigten sich 27%, “sehr zufrieden” sogar 62%) und sprachen in genauso hohem Ausmaß eine Weiterempfehlung für eine Bandoperation aus (“eher sicher” würden sie 31% empfehlen, “ganz sicher” 58%). Dass diese Einschätzung auch langfristig anhalten dürfte, lässt sich mit dem Verweis auf das erhobene Feedback von Operierten im Rahmen kontrollierter Studien vermuten. So zeigten Nilsson et al. in ihren 11-Jahres-Daten zur TVT (Int Urogynecol J 2008) eine bemerkenswerte Übereinstimmung in der Patientenzufriedenheit mit den hier diskutierten Umfrageergebnissen: Von den 69 ins bisher längste Follow-up zu einer modernen Schlingenoperation inkludierten Patientinnen betrachteten 97% die Operation auch nach 11,5 Jahren subjektiv als Erfolg und würden sie im selben Prozentsatz auch weiterempfehlen.

Fazit: Geht man nach der Einschätzung von betroffenen Patientinnen, sind Blasenschwäche und Inkontinenzprobleme Erkrankungen mit beträchtlichem Leidensdruck, aber nach wie vor ein Tabuthema: Immerhin ein Drittel der Befragten gab an, das Problem noch nie mit einem Arzt besprochen zu haben. Es scheint hier einen brach liegenden Bereich an Unterversorgung zu geben, der umso dringlicher aktive Gegenmaßnahmen von ärztlicher Seite und hier besonders von GynäkologInnen verlangt, als heute wirksame konservative, aber – wie der Bereich der TVT-Operation bei Belastungsinkontinenz zeigt – auch chirurgische Therapieoptionen mit studiendokumentiert hoher und nachhaltiger Patientinnenzufriedenheit zur Verfügung stehen. 

* eine Studie von GfK HealthCare Austria im Auftrag von Johnson&Johnson Medical Products GmbH

Redaktion: Peter Lex