Focus Andrologie: Aktualisierung der Spermiogramm-Normwerte

Endlich gibt es wieder einmal etwas wirklich Neues! Mit dem heurigen Jahr wurde die mittlerweile 5. Auflage des “WHO laboratory manual for the Examination and processing of human semen” (ISBN 978 92 4 154778 9) veröffentlicht. Nach der letzten Auflage 1999 (4. Auflage) war es an der Zeit, insbesondere die Normwerte des Spermiogramms zu überarbeiten und in manchen Bereichen deutlich zu ändern. Das Manual wurde diesmal so gestaltet, dass es im Labor bei der Analyse direkt als Hilfestellung dienen soll.

Für die tägliche urologisch-andrologische Praxis von besonderem Stellenwert sind dabei die neuen Normwerte, die in Zukunft angewendet werden sollten (Tab. 1). Erfahrungsgemäß sind bei allen Neuauflagen des WHO-Manuals neue Normwerte veröffentlicht worden, die bei den meisten Spermiogrammbefunden auch verwendet wurden. Die Veränderung oder Verschlechterung der Spermiogrammparameter ist ein vieldiskutiertes und medial interessantes Thema, weshalb bei der Interpretation dieser Daten besondere Vorsicht geboten sein sollte. Gibt es klare Hinweise dafür, dass sich die Spermiogrammqualität innerhalb der letzten 3 Jahrzehnte, seit der 1. Auflage des Manuals 1982, deutlich verschlechtern? Hierzu gibt es viele kontroversielle Studien, die im Einzelnen hier nicht diskutiert werden.

Tab. 1: Normales Spermiogramm
(WHO 2010)
 

Normalwerte

Ejakulatvolumen

> 1,5 ml

pH

> 7,2

Samenzellanzahl (Dichte)

>15 Millionen Spermien/ml

Beweglichkeit (Motilität)

> 40% rasch vorwärtsbeweglich + beweglich
  > 32% rasch vorwärtsbeweglich

Spermiengestalt (Morphologie)

> 4% normale Formen

Lebende Samenzellen (Vitalität)

> 58%
MAR-Test < 50%

Vorsicht in der Dateninterpretation

In der neuesten Auflage des Manuals werden nun neue Referenzwerte angegeben, die doch auch “eingefleischte Andrologen” überrascht haben. Es soll im Folgenden dargestellt werden, worauf die Verringerung der neuen Referenzwerte beruht, um auch zu zeigen, dass auch diese Daten vorsichtig interpretiert werden müssen. Anhand einer prospektiven und retrospektiven Untersuchung an über 4.500 Männer in 14 Nationen auf 4 Kontinenten wurden jene Männer zur Analyse eingeladen, die innerhalb von 12 Monaten erfolgreich eine Schwangerschaft induziert hatten. Von diesen Männern wurde ein Spermiogramm erhoben und daraus, entsprechend der Gaußschen Verteilungskurve, ein Verteilungsmuster erhoben, wobei als niedrigster normaler Referenzwert jener Wert festgelegt wurde, der ≥ 5% der untersten Perzentile lag. Somit stellen die Normwerte nur den niedrigsten erforderlichen Wert dar, mit denen Männer innerhalb eines Jahres ein Kind gezeugt haben1. Dies kann aus verschiedenen Gründen diskutiert werden, da bereits ein Grundsatz bei der andrologischen Abklärung, nämlich “ein Spermiogramm ist kein Spermiogramm”, nicht berücksichtigt wurde. Es sind jedoch die neuen Normwerte, und man sollte sowohl bei den eigenen Befunden als auch von kooperierenden Labors einfordern, dass bei jedem Spermiogrammbefund die dafür zugrunde liegenden WHO-Normwerte angegeben werden. Des Weiteren wurden auch die zur Befundung anzuwendenden Begriffe definiert (Tab. 2).

Tab. 2: Nomenklatur der Spermiogrammdiagnostik

Aspermie

Kein Ejakulat

Asthenozoospermie

% der rasch vorwärtsbeweglichen < Norm (5% Percentile)

Asthenoteratozoospermie

% der rasch vorwärtsbeweglichen und Morphologie < Norm (5% Percentile)

Azoospermie

Keine Spermien im Ejakulat

Kryptozoospermie

Keine Spermien im Nativpräparat, aber nach Zentrifugation

Hämatospermie (Hämospermie)

Erythrozyten im Ejakulat

Leukospermie (Leukozytospermie, Pyospermie)

Leukozyten im Ejakulat > Norm (5 % Percentile)

Nekrozoospermie

Geringer Prozentsatz vitaler, hoher Prozentsatz devitaler Spermien

Normozoospermie

Parameter > Norm (5 % Percentile)

Oligoasthenozoospermie

Gesamtzahl der Spermien und prog. Motilität < Norm (5% Percentile)

Oligoasthenoteratozoospermie

Gesamtzahl der Spermien, prog. Motilität und Morphologie < Norm (5% Percentile)

Oligoteratozoospermie

Gesamtzahl der Spermien und Morphologie < Norm (5% Percentile)

Oligozoospermie

Gesamtzahl der Spermien < Norm (5% Percentile)

Teratozoospermie

% Morphologie < Norm (5% Percentile)

Auswirkung auf Renumeration der assistierten Reproduktion

Neben diesen grundlegenden Änderungen gibt es zahlreiche Definitionen und Hilfestellungen für die Spermiogrammdiagnostik, die zur Standarisierung der Befunde und damit zu einer besseren Vergleichbarkeit der Befunde unterschiedlicher Labors führen sollten. Welche Auswirkungen die Änderung der Normwerte auf die Renumeration der assistierten Reproduktion hat, ist derzeit noch nicht klar und wird wohl in den nächsten Jahren mit den reproduktionsmedizinischen Gesellschaften diskutiert werden. Derzeit gelten aus andrologischer Sicht noch folgende Einschlusskriterien (Mann < 50 Jahre; Pathospermie [keine Vasektomie] zumindest einer der vier Faktoren: Dichte < 10 Mio./ml; Motilität < 30% vorwärtsbewegliche Samenzellen [Grad a + b] oder < 20% rasch vorwärtsbewegliche Samenzellen [nur Grad a]; Morphologie < 30% normale Formen).

Kompetente Beratung durch den Urologen

Wissenschaftliches Interesse neben den Spermiogrammparametern haben weiterhin genetische Fragen, weshalb auch die genetische Beratung durch den Urologen erfolgen sollte. Dies beinhaltet jedoch, dass chromosomale und/oder genetische Malformationen erkannt und im Beratungsgespräch mit dem Patienten bzw. dem Paar evaluiert werden. Des Weiteren wurde mehrfach bestätigt, dass Brüche der DNA-Stränge an Spermien mit einer signifikant schlechteren Fertilisationsrate im Rahmen der assistierten Reproduktion assoziiert sind. Ursache hierfür kann unter anderem exzessiver Nikotinkonsum sein. Es sind kommerzielle Testverfahren zur Bestimmung der DNA-Brüche erhältlich, deren Stellenwert jedoch in der Routinediagnostik des andrologischen Patienten noch nicht etabliert ist und derzeit zumeist im Rahmen von Studien angewendet wird. Obwohl der Andrologie und Fertilitätsberatung zumeist kein hoher Stellenwert gegeben wird, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass durch die signifikante Erhöhung des Elternalters als auch möglicherweise einer Verschlechterung der männlichen Fertilität, Zunahme der Hodentumor-Inzidenz etc. in Zukunft mit noch mehr Männern gerechnet werden kann, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben. Die Kernkompetenz in der Betreuung dieser Patienten muss weiterhin beim Urologen liegen, weshalb neue Entwicklungen und Trends an uns nicht unberücksichtigt vorbeigehen dürfen.

Take-Home-Message

Zur Beurteilung des Spermiogramms wurden neue WHO-Referenzwerte veröffentlicht, die berücksichtigt werden sollten. In jedem Spermiogrammbefund sollte angeführt werden, nach welcher Klassifikation beurteilt wurde.
Die Nomenklatur der Pathospermie wurde von der WHO definiert und muss in die Routine aufgenommen werden.
Brüche der Spermien-DNA haben eine signifikant schlechtere Erfolgsrate bei der assistierten Reproduktion.

Prim. Univ.-Doz. Dr. Eugen Plas
Abteilung für Urologie, Hanusch-Krankenhaus, Wien

1 Cooper TG et al., World Health Organization reference values for human semen characteristics. Hum Reprod Update 2010; 16(3):231-45