„Onkolog:innen müssen um einiges einfallsreicher und kreativer sein als Krebszellen.“

Seit Juli 2021 arbeitet Dr. med. univ. Hossein Taghizadeh, PhD an der Onkologie der Universitätsklinik St. Pölten und ist mitverantwortlich für den Bereich der molekularen Onkologie und der Gastrointestinalen Onkologie. Zeitgleich absolviert er noch seinen Postdoc in der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Prager/Professorin Dr.in Sibilia am Institut für Krebsforschung der Universitätsklinik für Innere Medizin I der MU Wien. Im Interview erzählt er, weshalb er die molekulare Präzisionsonkologie so spannend findet und wo die Reise hingeht.

Als Medizin-Student steht einem die ganze Welt offen. Wie läuft der Entscheidungsprozess ab, sich auf ein bestimmtes Fach wie z. B. die Onkologie festzulegen? Was hat Sie dazu veranlasst, sich hier zu spezialisieren?

Ich habe im Jahr 2010 mein Medizinstudium begonnen, als die Immuntherapien gerade im Aufkommen waren. Die neuen Therapieansätze versprachen eine wesentliche Verbesserung des Gesamtüberlebens beim metastasierten malignen Melanom, und auch im Studium wurden teilweise schon zielgerichtete Therapien wie z. B. Imatinib bei der chronischen myeloischen Leukämie vorgestellt. Imatinib galt als bahnbrechende Entwicklung und Meilenstein in der molekularen Onkologie. Das Konzept des Eingriffs in den molekularen Signalweg der Krebs­zellen hat mich fasziniert. Ebenso hat mich aber auch das Verhalten der Krebszellen fasziniert: wie sie es immer wieder schaffen, unsere Therapien zu umgehen und Resistenzen zu entwickeln. Dabei bekam ich den Eindruck, dass Krebszellen äußerst einfallsreich und kreativ sind und dass die Onkolog:innen daher um einiges einfallsreicher und kreativer als Krebszellen sein müssen, um in Zukunft beim Management der Malignome eher zu agieren als zu reagieren. Das hat mich schließlich dazu veranlasst, mich für die Onkologie zu entscheiden.

Sie arbeiten im Bereich der onkologischen Präzisionsmedizin. Da die Onkologie ein sehr weit gefächerter Bereich ist, muss man hier ein tiefgehendes Verständnis über eine Vielzahl von verschiedene Tumorentitäten haben.
Wie ist die notwendige konstante Fortbildung mit dem klinischen Alltag vereinbar?

Da mich die molekulare Onkologie sehr interessiert und ich diesen Bereich sehr spannend finde, beschäftige ich mich damit hauptsäch­lich in meiner Freizeit. Im Krankenhaus müs­sen wir dem klinischen Versorgungsauftrag nachkommen – es müssen also klinische Qualität und die Versorgung der Patient:innen gewährleistet sein. Wenn ich dann mit dem klinischen Teil fertig bin, beschäftige ich mich mit der Präzisionsmedizin in meiner Freizeit. Ein Vorteil hierbei ist natürlich, dass ich in diesem Bereich arbeite, forsche und lehre und mich damit näher auseinandersetzen muss. Die Tatsache, dass die verschiedenen Tumor­entitäten auf molekularer Ebene viele Gemeinsamkeiten haben, ist allerdings hilfreich. Wenn man die Grundprinzipien der Signalwege einmal verstanden hat, kann man auch leichter den Wirkmechanismus der verschiedenen Therapieoptionen begreifen.

Wird man im Studienplan gut auf die Tätigkeit als Onkologe/Onkologin vorbereitet, wenn man sich für diesen Bereich entscheidet?

Meiner Meinung nach wird man nicht optimal auf die onkologische Tätigkeit vorbereitet. Im Studienlehrgang kommt die Onkologie viel zu kurz, und die Prüfung ist von Altfragen geprägt, wo es reicht, diese auswendig zu lernen. Das gilt aber auch für andere Bereiche, wie z. B. die Pulmologie. Ich finde das schade, da gerade die Onkologie oder die pulmologischen Krankheitsbilder sehr weit verbreitet sind, und als Arzt/Ärztin sollte man wissen, wie man diese Krankheiten diagnostizieren und behandeln kann. Um die Qualität der Lehre in der Onkologie zu steigern, halten z. B.: Prof. Robert Eferl und ich zusammen die Vorlesungsreihe „Oncology for Biotechnologists“, die an der BOKU und an der MU Wien angeboten wird.
Dabei vermitteln wir den Studier­enden, dass die Onkologie ein sehr dynamisches und spannendes Gebiet ist, in dem es viel Bedarf an kreativen Einfällen und Ideen gibt, welche diese Disziplin vorantreiben können.

Hätten Sie Ideen und Vorschläge für das Curriculum im Zusammenhang mit der Onkologie?

Die Tumorbiologie ist sehr komplex, vielschichtig und multidimensional, aber auch faszinierend. Die Art und Weise, wie biochemische Signalwege in der molekularen Onkologie miteinander verbunden sind, kann eine:n Anfänger:in vielleicht etwas verunsichern. Es ist dabei aber wichtig, die Grundprinzipien zu vermitteln: Wie sind die Signalwege aufgebaut, was sind die wichtigsten Komponenten, und was sind die Folgen dieser Signalwege? Daher sollte anfangs darauf Wert gelegt werden, dies so weit wie möglich zu vereinfachen. Es ist oft so komplex dargestellt, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Meinem Erachten nach ist es entscheidend, dass die molekulare Onkologie verständnisvoll aufbereitet wird, damit die Studierenden die Faszination dieses Teilgebiets erkennen. Dies ist sicher eine pädagogische Herausforderung, aber wichtig, um das Feuer für die Onkologie in Jungmediziner:innen zu entfachen.

Die Onkologie ist eine sich konstant weiterentwickelnde Disziplin. Hat man hier ein offenes Ohr für neue Ideen von Jungmediziner:innen, oder geben jene Ärzt:innen mit der längsten Erfahrung den Ton an?

Ich denke, man braucht beides. Man braucht die kreativen, neuen und innovativen Ideen der Jungmediziner:innen, aber auch die Empfehlungen und Vorschläge der Ärzt:innen, die jahrelange Erfahrung auf dem Gebiet mitbringen. Viele Informationen stehen leider nun einmal nicht in den Guidelines, Lehrbüchern oder Publikationen.
Deshalb war es für mich entscheidend, einen Mentor mit langjähriger Erfahrung zu finden, der mich durch das Dickicht der Onkologie führen und begleiten kann. Mit Professor Dr. Prager – ein herausragender Spitzen-Onkologe – hatte und habe ich einen hervorragenden Mentor, von dem ich nach wie vor sehr viel lerne, sowohl in der Forschung als auch in der Klinik. Unter seiner professionellen Supervision habe ich auch meine Doktorarbeit auf dem Gebiet der molekularen Onkologie verfasst.

In der Präzisionsmedizin spielen molekulare Tumorboards eine große Rolle. Wie sieht eine Sitzung in einem solchen Board aus?

Molekulare Tumorboards treten alle zwei Wochen zusammen. Bei diesen Sitzungen kommen Kolleg:innen aus verschiedenen Teilbereichen und Disziplinen zusammen, um unterschiedliche Tumorentitäten zu besprechen. Es gibt einen/eine Tumorboard-Manager/-Managerin, weiters Molekularbiolog:innen und Molekularpatholog:innen und je nach Entität dann Expert:innen aus dem jeweiligen Gebiet. Die Fälle werden dann interdisziplinär diskutiert, und es werden Empfehlungen abgegeben, wo diese möglich sind. Im Grunde wird bei Patient:innen im austherapierten Setting eine molekulare Analyse angefertigt. Wir sehen uns das molekulare Profil gemeinsam an und evaluieren, ob eine Aberration vorliegt, die man zielgerichtet behandeln kann. Die Zeit pro Patient:in kann stark variieren, da manche Profile viele Mutationen aufweisen und die Patient:innen bereits etliche Vortherapien durchlaufen haben. Man muss sich schon vor der Sitzung auf die Fälle vorbereiten.

Eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Methoden wird die Präzisionsmedizin auch in den nächsten Jahren weiter vorantreiben. Wohin wird die Reise Ihrer Einschätzung nach gehen?

Ich denke, wir werden auf dem Gebiet der Präzisionsmedizin noch viele Überraschungen erleben. In der Vergangenheit gab es Mutationen, die lange Zeit als undruggable galten, wie beispielsweise KRAS oder TP53.
Mittlerweile hat Sotorasib einen accelerated approval von der FDA für die Therapie der KRAS-G12C-mutierten NSCLC erhalten. Eprenetapopt, der die normale p53-Funktion in TP53-mutierten Zellen wiederherstellen kann, wurde bereits in einer Phase-Ib/II-Studie getestet, die vielversprechende Ergebnisse gezeigt hat.
Die Entwicklungen in der Präzisionsonkologie werden auch immer mehr von der Bioinformatik und von Artificial Intelligence (AI), (Stichwort Big Data Management) geprägt werden. Ein umfassendes molekulares Tumorprofil besteht nicht nur aus dem genetischen Profil, sondern auch aus Epigenomics, Proteomics, Transcriptomics, Metabolomics und so weiter. Jedoch erzeugt die Erstellung eines derartigen molekularen Profils Unmengen von Daten. Es wird die Aufgabe von Bioinformatik und AI sein, diese Daten zu verarbeiten, zu integrieren und für die Kliniker:innen die klinisch relevanten Informationen herauszufiltern.