Paul Sevelda – 20 Jahre Präsident der Österreichischen Krebshilfe

Am 15. 09. 2000 wurde Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda zum Präsidenten der Österreichischen Krebshilfe gewählt. Vor 10 Jahren erfolgte die Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich. In der Laudatio wurde der Krebshilfe-Präsident mit den Worten bedacht: „Ein bedeutender Mann, ein großer Mensch, ein außergewöhnlicher Bürger dieses Landes im besten Sinn des Wortes!“ Im Einsatz für die Gesundheit Österreichs pflastern zahlreiche Meilensteine das Wirken von Prof. Sevelda.

Herr Professor Sevelda, wo beginnen? Beginnen wir 2003. Sie sprachen 2003 öffentlich eine Warnung zur Hormonersatztherapie (HET) im Wechsel aus. Was waren die Hintergründe?
Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda: In den 1990er-Jahren wurde vorwiegend von Endokrinologen vermittelt, dass jede Frau im Wechsel eine HRT erhalten sollte – für ein besseres Lebensgefühl, schönere Haut, zur Senkung des kardiovaskulären oder Demenzrisikos. Das Brustkrebserkrankungsrisiko wurde relativiert. Die Stimmung war aufgeladen, denn ­onkologisch tätige Ärzte warnten vor dem Erkrankungsrisiko. Fall-Kontroll-Studien und retrospektive Analysen zeigten immer wieder Zusammenhänge zwischen einer HET und der Entstehung eines Mammakarzi­noms auf. Bereits 1997 wurde in The Lancet von der „Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer“ gezeigt, dass die Einnahme einer HET zu einer Erhöhung des Brustkrebserkrankungsrisikos führen kann. Dieses erhöhte Risiko korreliert mit der Dauer der Einnahme einer HET.
Die „Women’s Health Initiative“ (WHI) hat dann zwei prospektiv randomisierte Studien zur Frage der HET durchgeführt. Dabei wurden Frauen zwischen 50 und 79 Jahren unabhängig von klimakterischen Beschwerden in einen Placeboarm oder in einen HRT-Arm randomisiert. Frauen, bei denen der Uterus vorhanden war, erhielten im HRT-Arm eine kontinuierlich kombinierte Hormonersatztherapie, bestehend aus 0,625 mg konjugiertem Östrogen plus 2,5 mg Medroxyprogesteronacetat (MPA). Frauen, bei denen der Uterus entfernt worden war, erhielten als HET eine alleinige Östrogentherapie mit 0,625 mg konjugiertem Östrogen. 2002 wurden die ersten Ergebnisse dieser prospektiv randomisierten placebokontrollierten Studie publiziert, mit dem Ergebnis, dass das primäre Studienziel – nämlich die Reduktion koronarer Herzerkrankungen um 40 bis 50 % – nicht erreicht werden konnte, auch das Brustkrebserkrankungsrisiko unter der kombinierten Östrogen-­Gestagen-Therapie war erhöht. Die Studie hatte zwar einige Schwach- und Kritikpunkte, und manche Ergebnisse konnten später relativiert werden, aber zum damaligen Zeitpunkt erbrachte die Studie den stichhaltigsten Beweis, dass die HET keine harmlose Therapie ist. Die epidemiologische „1 Million Women Study“ bestätigt erneut das deutlich erhöhte Brustkrebsrisiko unter Kombinationshormontherapie. Zusammenfassend führten diese Publikationen zu einem dramatischen Rückgang in der Verschreibung der HET. Der Anteil der Frauen in der ­Menopause, die eine HET nahmen, fiel von 20 bis 30 % auf unter 5 %. Es kam zu einem generellen Umdenken in der Verabreichung der HET, wobei es mir immer wichtig war, eine faire und faktenbasierte Information zu geben, sprich: weder totale Ablehnung noch Panikmache.

Sie haben sich mehr als 20 Jahre für die Einführung eines organisierten und qualitätsgesicherten Brustkrebs-Früherkennungsprogramms eingesetzt.
Als junger Assistent an der Klinik hatten wir einmal jährlich ein Studientreffen. Das war etwas Besonderes. Wir waren in Wahrheit die erste multidisziplinäre, österreichweite Studiengruppe zur Behandlung des Ovarialkarzinoms. Ich lud Ende der 1980er-Jahre einen Wissenschafter aus den Niederlanden zu einem dieser Treffen ein. Er hielt einen Vortrag über Screening, denn er hatte eine Mammografie-Screening-Studie durchgeführt. Diese Studie zeigte, dass durch das Screening die Brustkrebsmortalität reduziert werden konnte. Ich war damals bereits Sekretär der Österreichischen Krebshilfe und schrieb an den damaligen österreichischen Gesundheitsminister Dr. Michael Ausserwinkler (1991–1994) einen Brief mit dieser Information, aber die politische Linie war: kein organisiertes Screening, sondern Information der Bevölkerung. Erst mit „Pink Ribbon“ kam eine Veränderung. Als Hintergrund: Mit Beginn meiner Präsidentschaft wurde eine neue Geschäftsführung bestellt, die Wahl fiel 2001 auf Doris Kiefhaber (damals Sommer), ein großer Gewinn, da sie Marketingspezialistin ist. Sie stellte uns „Pink Ribbon“ vor. Anfangs wurde diese Aktion von vielen Ärzten sehr kritisch gesehen, Wörter wie „Aktionismus“ und „Eventkultur“ fielen. Wir mussten diese Kritik entschärfen, denn unsere Botschaft war „Aufmerksamkeit“, und zwar mit Prominenten, welche die Botschaften, nämlich „Früherkennung kann Leben retten“ und „Solidarität mit Brustkrebserkrankten“ übermitteln. Parallel dazu gab es aber immer schon die Forderung eines organisierten Screenings unsererseits. Das Problem war, dass es sogar in der Ärzteschaft Skepsis gab. Letztlich wurde es 2014 eingeführt, rückblickend war die Einführung aber nicht sehr klug und geschickt, sondern holprig. Auch heute sind wir leider noch weit entfernt, die angestrebten 70 bis 80 % Teilnehmerrate zu erreichen. Die Zuweisung durch Gynäkologen spielt eine zentrale Rolle, Frauen das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm als sinnvolle Maßnahme zu erklären.

Wenn ich sage: HPV – kostenfreie Impfung im Kinderimpfprogramm 2014 – dann …
… freut mich das sehr. Der HPV-Experte Elmar Joura von der Medizinischen Universität Wien war an vorderster Front an der Entwicklung und klinischen Erprobung prophylaktischer HPV-Vakzinen beteiligt. Die Studienergebnisse waren sensationell, die Wirksamkeitsdaten lagen im Bereich von 98 bis 99 %. Es war klar, dass mit dieser Impfung HPV-assoziierte Krebsarten, sprich Gebärmutterhalskrebs, verhindert werden können. Seit 2006 wurde über die Aufnahme in den Kinder­impfplan diskutiert. Unterstützung erhielten wir von der damaligen SPÖ-Gesundheitssprecherin Sabine Oberhauser († 2017). Sie war von der vielversprechenden Wirkung der HPV-Impfung überzeugt. Die damalige Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky verwies immer wieder auf die fehlenden Mittel im Gesundheitsbudget, um auch diese Impfung (neben der Pneumokokkenimpfung) in den Kinderimpfplan aufzunehmen. Geldmangel, sagte Oberhauser, dürfe kein Grund sein, diese Impfung nicht flächendeckend zu ermöglichen. Sie meinte, würden jetzt (2007) Mittel für die HPV-Impfung freigemacht, könnten enorme Folgekosten und auch menschliches Leid, welche die Krebserkrankungen von Frauen mit sich bringen, verhindert werden. Die Kosten für diese Impfungen zum damaligen Zeitpunkt von rund 400 bis 600 Euro waren natürlich für den Großteil der Bevölkerung nicht leistbar. Kdolsky sprach sich weiterhin für die Vorsorgeuntersuchung – vor allem den Krebsabstrich – als weitaus effektivere Maßnahme für den Kampf gegen Gebärmutterhalskrebs aus. Dann wurde auch noch der unerklärliche Todesfall eines 18-jährigen Mädchens mit einer stattgehabten HPV-Impfung assoziiert. Daraufhin war in Österreich die HPV-Impfung für Jahre tot. Viele Staaten führten die Impfung ein, Australien berichtete sensationelle Daten. Es dauerte weitere 7 Jahre. 2014 wurde unter Mithilfe von Sabine Oberhauser, zu dem Zeitpunkt Gewerkschaftsvorsitzende und Nationalratsabgeordnete, die HPV-Impfung durch Gesundheitsminister Alois Stöger in das kostenlose Kinderimpfprogramm übernommen. Seit Anfang 2014 ist die Impfung für alle Kinder vom 9. bis zum 12. Geburtstag kostenlos. Wichtig ist zu erwähnen, dass die Fachgesellschaften – insbesondere die AGO (Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Onkologie) – hier sehr mitgeholfen haben.

Eine der wohl bedeutendsten Initiativen, der Sie sich widmeten, war der Kampf für den Nichtraucherschutz. 2019 wurde ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie gesetzlich verankert. Wenn Sie einen Blick zurückwerfen, dann …
… ist das die wichtigste gesundheitspolitische Maßnahme der letzten 50 Jahre. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Die Krebshilfe setzt sich bereits seit Jahrzehnten für den Nichtraucherschutz ein. Leider muss man auch sagen, dass es ohne die „Ibiza-Affäre“ wohl nicht möglich gewesen wäre. Und so trug es sich zu:
2014 hat der heutige Rektor der Medizinischen Universität Graz, damals Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO) und Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie LKH am Universitätsklinikum Graz, Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg, der den an Lungenkrebs erkrankten Aufdeckerjournalisten Kurt Kuch behandelte, die Initiative „DON’T SMOKE“ gegründet. Die Experten-Initiative „DON’T SMOKE“ wollte ein stärkeres Bewusstsein für die verheerenden Konsequenzen des Nikotinkonsums schaffen. Aufgrund fehlender Infrastruktur wurde die Initiative von der Krebshilfe übernommen, und wir lebten die Initiative in bester ­Kooperation.
2015 hatten sich SPÖ und ÖVP auf ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie ab Mai 2018 geeinigt. Nach den Neuwahlen 2017 sagte die türkis-blaue Regierung die geplante Reform auf Betreiben der FPÖ hin jedoch ab. Gäste konnten weiterhin in abgetrennten Räumlichkeiten rauchen. Es wäre völlig unverständlich und medizinisch unverantwortlich gewesen, die endlich begonnene Trendwende jetzt plötzlich wieder umzukehren und nachhaltig zu vernichten – Rauchen ist für ein Drittel aller Krebserkrankungen verantwortlich.
Wir initiierten die Online-Petition: „Das Nichtrauchergesetz muss bleiben!“ und lukrierten 468.222 Unterstützer. Diese eindrucksvolle Zahl, die innerhalb weniger Tage erzielt werden konnte, hat dazu geführt, dass die Wiener Ärztekammer und deren Präsident Thomas Szekeres den Beschluss fassten, ein Volksbegehren gemeinsam mit der Österreichischen Krebshilfe zu initiieren. Die Idee des Volksbegehrens „DON’T SMOKE – Wir fordern aus Gründen eines optimalen Gesundheitsschutzes für alle Österreicherinnen und Österreicher eine bundesverfassungsgesetzliche Regelung für die Beibehaltung der 2015 beschlossenen Novelle zum Nichtraucherschutzgesetz (Tabakgesetz)“ war geboren. Der Präsident der Wiener Ärztekammer Thomas Szekeres und ich gaben am 15. Februar 2018 mit den Worten „Jetzt geht’s los!“ den offiziellen Startschuss. Es war das 6. erfolgreichste Volksbegehren der österreichischen Geschichte. In weiterer Folge konnte mit Unterstützung aller Parteien (mit Ausnahme der FPÖ) im November 2019 ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie gesetzlich verankert werden.