Gründen in Zeiten von Corona: Alles anders als geplant

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Die Gründung einer Ordination ist immer eine aufregende Phase im Leben einer Medizinerin oder eines Mediziners. Das gilt erst recht, wenn die ersten Wochen nach der Eröffnung mit dem Beginn einer Pandemie zusammenfallen.

Anfang des Jahres hörte ich zum ersten Mal von einer mysteriösen Lungenkrankheit in China, für die noch ein entsprechender Name gesucht werden musste. Offenbar war ein Virus die Ursache. COVID-19 und SARS-Cov2 waren schlussendlich die gewählten Fachbegriffe. Obwohl es schon kurz danach Besorgnis erregende Bilder aus China gab, hatte ich noch Berichte von ähnlichen Szenarien (SARS, MERS, Ebola etc.) in Erinnerung, die es dann glücklicherweise nie bis nach Europa geschafft haben.

Im Laufe der Zeit und mit Näherrücken des Übernahmetermins meiner eigenen Kassenordination häuften sich die entsprechenden Meldungen zu einer weltweiten Pandemie und spätestens nachdem die ersten Meldungen aus Italien kamen, war schon eine gewisse Unruhe bei mir und bei befreundeten Kolleginnen und Kollegen zu spüren. Je näher der Tag der Übernahme rückte, desto eher wandelte sich innere Unruhe in Sorge und als kurz vor dem Übernahmetermin die landesweite Ausgangsbeschränkung ausgerufen wurde, wusste ich, dass alles nicht so werden sollte, wie von mir in den letzten Monaten geplant. Offenbar waren meine initialen Überlegungen bezüglich „Worst-Case“-Szenario, bei dem ich alle möglichen und unmöglichen Szenarien – außer natürlich einen Alienangriff und eine weltweite Virus-Pandemie – durchgespielt hatte, doch nicht sorgfältig genug.

Lockdown in der Ordination

Die Empfehlung von allen öffentlichen Stellen war, nur absolut notwendige Untersuchungen und Notfälle zu behandeln. Alle elektiven Patientenkontakte und Untersuchungen sollten verschoben werden. Sofern Patientinnen und Patienten an akuten Symptomen litten, sollten auch möglichst nur sehr dringliche „Notfälle“ behandelt werden. Somit war meine erste Tätigkeit als Ordinationsinhaber, mehrere Hundert Termine abzusagen bzw. auf „unbestimmte Zeit“ zu verschieben. Da die Patientenfrequenz in der Ordination in den ersten Wochen um 90 bis 95 % einbrach, sank das Einkommen der Ordination in ähnlichem Umfang. Somit musste – wie in vielen anderen Betrieben auch – für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt werden. Dafür gab es eine entsprechende Unterstützung des Arbeitsmarktservice AMS, alle anderen Kosten wie Miete, Rückzahlungen für medizinische Geräte, Lizenzkosten für Software, Kosten für Wartungsverträge oder Strom/Gas liefen natürlich weiter. Die „Einsparung“ durch Kurzarbeit war überschaubar, da die Ordination für Notfälle weiter geöffnet bleiben musste, auch wenn nur eine Patientin oder ein Patient pro Tag kam. Die Patientinnen und Patienten waren verunsichert, ich ebenso.

In den ersten Wochen waren viele Telefonate an der Tagesordnung, da sich insbesondere die älteren Patientinnen und Patienten – auch bei ausgeprägten Symptomen – nicht trauten das Haus zu verlassen. Seitens der Krankenkassen gab es zwar nun erstmals die Möglichkeit, telemedizinische Leistungen wie Telefonate oder E-Mails abrechnen zu dürfen, die entsprechenden Vergütungen waren trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Schutzmaßnahmen rasch umsetzen

Nächstes großes Thema war die Verpflichtung des Ordinationsinhabers, sowohl gegenüber den Patientinnen und Patienten als auch gegenüber den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die notwendige Sicherheit zu sorgen. Das heißt, der Schutz im Empfangsbereich, um das Empfangspersonal vor möglichen infektiösen Patientinnen und Patienten zu schützen, war erforderlich. Niedergelassene Kolleginnen und Kollegen waren hier – aufgrund der Not – sehr erfinderisch und haben sich zunächst behelfsmäßig aus Plastikplanen einen Schutz zusammengebastelt und die Patientinnen und Patienten mit Warnschildern darauf aufmerksam gemacht, die Ordination nur nach Voranmeldung und nur ohne COVID-19-Symptome zu betreten.

Nach vielen Telefonaten konnten wir eine Firma, die Plexiglasschutzwände herstellt, ausfindig machen. Aufgrund der hohen Nachfrage waren natürlich die Lieferzeit lang und die Kosten entsprechend hoch. Nachdem dieses Problem gelöst war, ging es um den persönlichen Schutz. Welche Schutzmaßnahmen sind ausreichend? Einfacher Mund-Nasen-Schutz? FFP1? FFP2? FFP3? Plexiglasvisier? Doppelte Handschuhe? Einmalmäntel? Hierfür gab es von diversen Organisationen entsprechende, aber sich nicht immer deckende Richtlinien. Nachdem bald von der Ärztekammer eine Empfehlung kam, haben wir uns an diese gehalten. Hier werden das Ansteckungsrisiko und somit die notwendigen Schutzmaßnahmen auf einer möglichen bzw. nicht möglichen Wahrung des Abstandes und von der Art der Untersuchung abhängig gemacht. Das heißt, am Empfang mit einem Abstand von mehr als 1,5 Meter und Plexiglasschutzwand sind einfache Mund-Nasen-Masken ausreichend, während auf der anderen Seite eine Gastrokopie, bei der die Patientin oder der Patient keinen Mund-Nasen-Schutz tragen kann und mit einer entsprechenden Aerosolproduktion zu rechnen ist, als Hochrisikoeingriff zu werten ist. Hierfür brauchten wir FFP2/FFP3-Masken, ein Plexiglasvisier, Handschuhe in zweifacher Ausführung und Einmalganzkörpermäntel. Weiters sollte nur bei entsprechender Dringlichkeit gastroskopiert werden und für eine ausreichende Belüftung der Räume vor allem zwischen den Patientinnen und Patienten musste gesorgt werden.

In „normalen“ Zeiten wären wir dieser Aufgabe mir relativer Leichtigkeit gewachsen gewesen, in Zeiten von Corona, in denen die halbe Welt die Produkte kauft, die wir auch brauchen, hat sich diese Aufgabe als nicht ganz trivial dargestellt. Zunächst konnte primär über persönliche Kontakte und zu Preisaufschlägen von über 1000 % (sic!) Schutzmaterial und Desinfektionsmittel organisiert werden. Schließlich gelang es der Ärztekammer, in gewissem Umfang die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zu versorgen.

Notbetrieb und neue Normalität

Nachdem die ersten Wochen von absolutem Notbetrieb fast ohne persönlichen Patientenkontakt, aber von vielen Telefonaten geprägt war, kehrte langsam eine „neue Normalität“ in der Ordination ein. Die Patientinnen und Patienten wurden im Eingangsbereich darauf aufmerksam gemacht, die Ordination nur mit Termin und mit Mund-Nasen-Schutz (MNS) zu betreten und sich die Hände zu desinfizieren. Denjenigen, die keinen MNS hatten, wurde einer kostenlos zur Verfügung gestellt. Nach Abfrage der COVID-19-spezifischen Symptome konnten die Patientinnen und Patienten die Ordination betreten und wurden ins Wartezimmer gebeten, dessen maximale Patientenzahl ebenfalls massiv reduziert wurde. Alle übrigen Patientinnen und Patienten konnten in einem zusätzlich angemieteten Wartezimmer Platz nehmen. Für jede der patientennahen Tätigkeiten wurde ein entsprechendes Sicherheitsprofil inklusive notwendiger Sicherheitsmaßnahmen erstellt.

Nachdem nun viel Aufwand betrieben wurde, die Ordination „Corona-sicher“ zu machen, ergab sich die Gelegenheit unsere Maßnahmen zu testen. Eines Tages kam der Anruf eines Krankenhauses, dass vor drei Tagen ein Patient, der nun auf Grund von COVID-19 stationär behandelt werden musste, in unserer Ordination zur Gastroskopie vorstellig gewesen war. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit dem Patienten Kontakt hatten, insbesondere diejenigen, die die Gastroskopie durchgeführt hatten, wurden umgehend über die Ärztekammer getestet. Innerhalb weniger Stunden war das Testteam vor Ort und entnahm die entsprechenden Abstriche. Am nächsten Tag wurden die glücklicherweise negativen Testergebnisse verkündet.

Erfahrungsbericht eines niedergelassenen Internisten, Wien